Bottle Flip:Flasche, Wasser - tschikkebong!

Bottle Flip

Vielleicht klappt es ja beim 262 712. Mal.

(Foto: Martina Borsche)

Warum werfen Kinder und Jugendliche zur Zeit mit Plastikflaschen um sich? Unser Autor versucht, die Faszination des Bottle Flip zu verstehen.

Von Georg Cadeggianini

Es sind merkwürdige Geräusche, die aus dem Kinderzimmer kommen. Zuerst: tschikebong, tschikebong, tschikebong. Sehr oft hintereinander. Irgendwann plötzlich Stille. Kurz darauf taucht der Sohn im Türrahmen auf, Zeige- und Mittelfinger an den Schläfen, Augen und Mund weit aufge­rissen, dreht den Kopf nach links, nach rechts. Wespenstich? Zimmerbrand?

Dann tänzelt er, die Finger immer noch an den Schläfen, den Flur entlang: "I-am-the-one-I-am-the-one-I-am-the ..." Ein ratloser Blick in sein Zimmer. Klamottenhaufen, Hausaufgaben und Bett ungemacht - alles so weit unauffällig. Alte Brotzeitboxen auf dem Schreibtisch, eine Flasche Wass... Stopp! Eine Flasche Wasser. Die Flüssigkeit schaukelt noch. Das ist es!

Bottle Flip: Das ist zunächst einmal nichts weiter als ein Rückwärtssalto einer Flasche. Man wirft die Flasche, sie dreht sich einmal und kommt - wenn es denn funktioniert - auf dem Flaschenboden zum Stehen. Zutaten: eine etwa zu einem Drittel gefüllte Plastikflasche und verdammt viele Versuche. Tschikebongtschikebongtschikebong.

Angefangen hat alles vergangenes Jahr im Mai mit dem 18-jährigen Mike Senatore aus Charlotte, North Carolina. Bei einer Talentshow seiner Highschool präsentierte er zum ersten Mal den Bottle Flip. Riesengetöse. Das Video ging viral.

Seitdem fliegen die Flaschen überall. In Pausenhöfen und im Urlaub, auf Wohnzimmerteppichen und in Kaffeeküchen. Es gibt ganze Bottle-Flip-Familien und eine App, mit der man auf dem Handybildschirm flippen kann. Die Flaschen landen auf Klorollen und in Ecken, auf dem Flaschenkopf ("Cap Flip") oder auf Straßenlaternen, auf Geländern oder auf anderen Flaschen.

Manchmal läuft was schief: "Tut mir leid, Papa, die Flasche war nur zu voll. Leider mit Mezzo Mix. Sorry." Die Brühe läuft über den Arbeitstisch. Rechnungen, Bücher, ein Telefon. Hier flippt nix mehr - außer vielleicht der Vater.

Das Glück ist eine Plastikflasche, die richtig zum Stehen kommt

Es ist wie beim Klavierspielen. Gestümpert wird im Verborgenen, bei der Präsentation muss das Stück sitzen. Und am besten hilft der Zufall mit. Eins der berühmtesten Bottle-Flip-­Videos dauert weniger als fünf Sekunden: Zwei Mädchen versuchen einen Parallelflip, werfen also gleichzeitig. Eine Flasche kommt früher auf, landet auf der Seite, die zweite kommt auf ihr zum Stehen. Tschiketschikebäng.

Gesteigert wird die Obsession noch dadurch, dass in den Videos nur die Erfolge zu sehen sind. Bottle Flip mit gleichzeitigem Rückwärtssalto des Flaschenwerfers, wobei die Flasche auf der Ladefläche eines ferngesteuerten Minigeländewagens landet, der mit Vollstoff durchs Bild rast? Vielleicht klappt es ja beim 262 712. Mal. Die Versuche davor und danach jedenfalls landen nicht auf Youtube.

Zur eigenen Ästhetik der Videos gehört auch der irre und haltlose Jubel, das Ausrasten nach dem gelungenen Flip. Preis­lage Zimmerbrand halt. Man ahnt dann doch, wie oft es nicht geklappt hat. Und immer wieder der Denzel-Curry-Song, "I-am-the-one ...", die aktuelle Teenager-Siegesfanfare. Das Glück ist eine Plastikflasche, die richtig zum Stehen kommt.

Der Bottle Flip ist demokratisch, magisch, kindisch. Demokratisch, weil es nur so wenig braucht, die Flasche, ein paar Schluck Wasser, eine waagerechte Fläche - fertig ist die Heraus­forderung. Überall auf der Welt, quer durch alle Schichten. Magisch, weil die Bewegung einem Harry-Potter-Spruch gleicht. Die Wurfhand bleibt in der Luft stehen, als ob der Zauber erst dadurch seine Wirkung ent­falten könnte: Expelliarmus!

Und kindisch obsessiv: Erwachsene kommen bei diesem Grad an Hingabe kaum noch hinterher. Nicht, weil es unmöglich wäre, den Flaschensalto selbst hinzubringen. Sondern weil einem Zeit, Geduld und Nerven fehlen, Tausende von Fehlversuchen zu verkraften. Weil einem der Sinn für das Sinnfreie abhandengekommen ist. Obwohl. Tschikebong.

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Dieser Text stammt aus Süddeutsche Zeitung Familie. Das 2in1-Magazin für Eltern und Kinder - jetzt hier bestellen.

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