BGH-Entscheidung zu Heimkosten:Verstoßen, aber vielleicht zahlungspflichtig

Muss ein Sohn für die Heimkosten des greisen Vaters aufkommen, auch dann, wenn es seit Jahren keinen Kontakt mehr gibt? Darüber entscheidet der Bundesgerichtshof. Im konkreten Fall geht es um eine Vater-Sohn-Beziehung, die schon seit 1971 unterbrochen war.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Seinen Vater hatte der Mann ein paar Jahrzehnte lang nicht mehr gesehen, weswegen er sich gewundert haben wird über den Brief vom bremischen Sozialamt: Der Vater sei jetzt im Heim, die Behörde behalte sich vor, den Sohn für die Kosten haftbar zu machen. Das war vor fünf Jahren. 2012 starb der Vater, fast 90 Jahre alt. Jetzt soll der Sohn, Jahrgang 1953, rund 9000 Euro nachzahlen: Unterhalt für den Vater, der ihn 1971 verstoßen hat.

Ob es wirklich dazu kommt, darüber verhandelt an diesem Mittwoch der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Wobei es im Grundsatz unumstritten ist, dass erwachsene Kinder für die Heimkosten ihrer mittellosen Eltern herangezogen werden können; die Sozialbehörden klagen diesen Anspruch stellvertretend für die Eltern ein.

Freilich hat der BGH die Haftung in vielen Urteilen reduziert. Auch wer Eltern im Heim hat, darf zunächst für seine angemessene Altersvorsorge sparen - und er muss zuerst für die eigenen Kinder aufkommen. Außerdem gewährt der BGH einen großzügigen "Selbstbehalt", damit man seinen Lebensstandard halten kann. Der Normalverdiener wird nach all diesen Abzügen kaum noch nennenswerte Beträge für den "Elternunterhalt" übrig haben. Es sei denn, er verfügt über genügend Vermögen.

"Grober Mangel an verwandtschaftlicher Gesinnung"

Doch diesmal geht es beim BGH um eine moralische Frage im rechtlichen Gewand: Kann der Vater, der sein Leben lang von seinem Sohn nichts wissen wollte, am Ende auf die finanzielle Solidarität der Familie pochen? Oder hat den Anspruch verwirkt, wer den Begriff Familie nie selbst mit Inhalt gefüllt hat; also mit Zuwendung und Anteilnahme?

Die Familie war 1971 auseinandergebrochen, der Sohn suchte noch etwa ein Jahr lang den Kontakt zum Vater, aber der zeigte kein Interesse. Sein Kommentar zum bestandenen Abitur: Achselzucken. Zur Verlobung: "Du bist ja verrückt." Bei der Beerdigung des Großvaters fünf Jahre später kam schon kein Gespräch mehr zustande. 1998 erinnerte sich der Vater noch einmal an den Sohn - als er ihn enterbte: Ihm solle nur der "strengste Pflichtteil" zustehen, schrieb er ins Testament. Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg, dessen Urteil nun vom BGH geprüft wird, hielt den Anspruch für verwirkt.

Allerdings entfällt nach Paragraf 1611 des Bürgerlichen Gesetzbuches der Unterhaltsanspruch nur bei "schweren Verfehlungen". Oder, wie es die Gerichte altertümlich formulieren: bei einem "groben Mangel an verwandtschaftlicher Gesinnung". Bloße Vernachlässigung genügt nicht, um die Familiensolidarität einzubüßen.

Ohnehin werden den Gerichten oft bedrückende Lebensbilanzen vorgelegt, wie ein Fall des OLG Celle zeigt. Der Beklagte, inzwischen Rentner, lehnte einen Regress für die Heimkosten der Mutter ab. Weil es für ihn in der Nachkriegszeit immer nur Tafelmargarine gab. Weil er - anders als sein Bruder - kein richtiges Bett gehabt habe. Und weil man ihm einmal fünf Mark vom Taschengeld abgezogen habe - er hatte beim Füttern versehentlich ein Küken getötet. Das OLG indes billigte ihm lediglich eine Kürzung des Anspruchs zu: Nicht wegen der frühen Kränkungen. Sondern weil der Kontakt zwischen Mutter und Sohn seit Jahrzehnten abgerissen war.

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