Beziehungen:Liebe braucht Geheimnisse

Ein Paar schaut sich in die Augen

Terror der Transparenz: Mitteilungsdrang wird in Liebesbeziehungen allzu oft mit Vertrauen verwechselt.

(Foto: Nicolas Balcazar; nicolasberlin / photocase.com)

Ehepartner sind keine Psychotherapeuten. Geliebte nicht beste Freundinnen. Hört endlich auf, allen alles zu erzählen!

Von Evelyn Roll

Angefangen hat es bei Facebook und Twitter. Sätze wie: "Ich pinkel zur Strafe jeden Morgen heimlich in ihr Waschbecken" oder - "Shut up, or I'll instagramm your penis" sind inzwischen offenbar zu einer Art Kunstgattung avanciert.

Und jetzt ist dieser enthemmte Alles-muss-mitgeteilt-werden-Narzissmus aus der Pöbelmaschine ins Real Life geschwappt. Diskretion ist aus der Mode gekommen. Die Psychologen konstatieren vor allem in der Beziehungskommunikation eine Art Quantensprung in die Geheimnislosigkeit. Der infantile und hemmungslose Zwang, sich ununterbrochen erklären zu müssen, wird mit absoluter Liebe und Ehrlichkeit verwechselt.

Liebe wird aber nicht besser oder näher, wenn man keine Geheimnisse mehr voreinander hat. Wenn das Befindlichkeitsgequatsche und die Wasserstandsmeldungen über den aktuellen Beziehungsstatus zum Dauerthema eines Paares geworden sind, sprechen die Psychologen von einer Meta-Liebe.

Natürlich gibt es Geheimnisse, die destruktiv im Untergrund wuchern und das Leben von Familien und Staaten vergiften. Es ist gut, dass es heute sehr viel weniger dieser elenden Familien- und Nationalgeheimnisse gibt. Was gar nicht gut ist: Die vollkommene Abschaffung des Geheimnisses.

Terror der Transparenz

Das Zeitalter der Geheimnislosigkeit hat nicht nur in Wirtschaft und politischer Kultur, sondern auch in Liebesbeziehungen zu einem Terror der Transparenz geführt, der Offenlegung und Mitteilungsdrang mit Aufrichtigkeit und Vertrauen verwechselt. Früher wurde auf keinen Fall über Sex gesprochen, auch und gerade in Beziehungen nicht. Heute dafür viel zu viel. Früher haben Jungs gar nicht über Gefühle geredet. Heute gibt es mehr männliche Befindlichkeits-Schwätzer als weibliche. Wahrscheinlich werden heute genauso viele Ehen zerquatscht, wie früher zerschwiegen.

Warum soll es in Liebesdingen auch anders sein als in Politik und Wirtschaft: Hyperkommunikation erzeugt Wiederholung. Wiederholung schafft Enge und erdrückt die Fantasie. Funktionierende Beziehungen und Systeme brauchen Abstände. Durch Abgrenzung erst wird Identität gestärkt.

Kreativität. Ehepartner sind keine Psychotherapeuten. Geliebte nicht beste Freundinnen. Politiker keine Serienhelden.

Wenn ein Unternehmer oder die Bundeskanzlerin nicht mehr mit ein paar verschwiegenen Vertrauten gründlich nachdenken kann, ohne dass das sofort in den Diskurs eingespeist wird und die Börse oder Facebook durch die Decke gehen lässt, wäre alles gelähmt. Das ist das Paradox im Zeitalter der Geheimnislosigkeit.

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