Berliner Modelabel:Dieses Hauptstadt-Ding

Nur die Erwähnung Berlins lässt modesüchtige Japaner entzückt aufkreischen; zu Recht, im Fall von C.neeon.

Tina Hüttl

Jeder hat vermutlich schon einmal einen Freund an Berlin verloren, und die Geschichten dahinter klingen immer gleich: Die Hauptstadt lockt junge Menschen mit billigen Wohnungen, niedrigen Lebenshaltungskosten und exzessivem Nachtleben an.

C.neeon; AP

Das Berliner Label C.neeon präsentiert spielerische Mode.

(Foto: Foto: AP)

Und wenn die jungen Menschen erwachsen sind und der Stadt nicht irgendwann wieder den Rücken kehren, machen sie das Berlin-Ding: Sie gründen Nachtclubs, Modeateliers und Künstlerkollektive in verfallenen Hinterhöfen, Industrieetagen oder Kindergärten, für die Besucher die richtigen Klingelknöpfe kennen müssen. Sie wollen auffallen, rausstechen, alles anders machen, zumindest eine Zeitlang - und machen es dabei wie viele andere auch.

Die Geschichte von C.neeon hat den gleichen Anfang wie diese Berlin-Ding-Geschichten. Zwei Designerinnen lernen sich beim Studium kennen, gründen ein Modeatelier, ziehen in ein verfallenes Hinterhofgebäude ohne Klingelknopf-Beschriftung.

Allerdings: Im Gegensatz zu den meisten Berliner Kreativkollektiven bringen sie etwas hervor, von dem man schon bald auch in New York und Tokio redet: das Label C.neeon.

Das C steht für Clara, neeon war Doreens Spitzname als Kleinkind. Ihre Entwürfe haben häufig großflächige, graphische Muster oder auffällige Knallfarben, ihre Röcke und Kleider werden gerafft, gewickelt, gewurschtelt, sind geschlitzt oder plissiert. Allein die darunter getragenen, grell gemusterten Leggings erinnern wieder daran, wo sie entstanden sind: im 80er-Jahre-Verwertungslabor Berlin.

Die Schnitte dieser beiden haben dagegen nichts Improvisiertes, Zufälliges, sondern sind wohldurchdacht. An vielen Oberteilen finden sich Kapuzen, angenähte Schulterschals oder auch mal eine 20 Meter lange Kordel, mit der man im Nachtleben jagen gehen kann.

Das Spiel mit den Vorurteilen

"Und das ist jetzt Deutschland? Diese Frage kommt, sobald wir unsere Kollektion auspacken", erzählt Clara Leskovar. Die 31-Jährige hat ihre langen dunkelblonden Haare zum Pferdeschwanz gebunden, sie wirkt jünger und, ja, irgendwie brav - jedenfalls ganz anders als die verrückten Muster, die sie entwirft.

Leskovar hat sichtlich Freude daran, mit Vorurteilen zu spielen: "Mit Deutschland hat die internationale Modewelt bisher Jil Sander und Boss in Verbindung gebracht. Klares, puristisches Design. Von unseren Sachen sind alle erst mal irritiert."

Was da gerade in Berlin abgeht, überraschte auch die internationale Jury um den französischen Modeschöpfer Roland Mouret. 2005 zeigten die Nachwuchsdesignerinnen ihnen eine ihrer ersten Kollektionen, beim 20. "Festival International de la Mode et de la Photographie" im südfranzösischen Hyères; immerhin einem der wichtigsten Modefestivals für Nachwuchsdesigner. C.neeon waren als kleine deutsche Unbekannte angereist - und gingen mit dem "Grand Prix du Jury" nach Hause.

Danach wurde rasch klar: Hinter dem Label stecken keine abgedrehten Fashion Victims, sondern zwei disziplinierte Talente, die sich gut ergänzen. Insgesamt dreimal präsentierten die beiden seitdem - als einzige Deutsche - auf der London Fashion Week, kreierten eine Minikollektion für den britischen Bekleidungsgiganten Topshop - eine Ehre, die normalerweise gefeierten Designern wie Christopher Kane oder Prominenten wie Kate Moss zuteil wird - und präsentierten ihre Mode auf Messen in Tokio, Mailand und Wien.

Nur die Händler zu Hause in Deutschland tun sich noch etwas schwer. "Leider sind sie hier wenig experimentierfreudig", sagt Leskovar. Und so kam es, dass C.neeon zuerst im modemutigen Japan getragen wurde und dann von dort aus langsam den heimischen Markt erobern muste. Japan ist nach wie vor größter Umsatzmarkt: "Die Japaner reagieren sehr emotional auf unsere Mode. Sie kreischen, wenn sie ein neues Teil von uns sehen", sagt Doreen Schulz.

Mittlerweile beliefern die Designerinnen 25 Länder, darunter Island, Panama und Zypern, und fast immer spielt ihr Standort eine Rolle bei der Vermarktung. "Manche drehen völlig durch, wenn sie hören, dass wir aus Berlin kommen. In Tokio oder New York denken alle, wir tanzen den ganzen Tag an der Spree."

Organisiert statt schick

Von Ausflippen kann bei den beiden Frauen keine Rede sein. Doreen Schulz ist ungeschminkt, zum schlichten schwarzen Kapuzenshirt trägt sie ein bunt gemustertes Tuch um den Hals - unschwer zu erkennen, von welchem Label. Vor einigen Monaten ist die 30-Jährige Mutter geworden, seitdem muss sie ihr Leben noch straffer organisieren.

Spätestens um acht Uhr morgens stehen die beiden Frauen in ihrem Atelier, das sie sich bewusst fernab von den hippen Stadtteilen Prenzlauer Berg und Mitte gesucht haben, wo sich die Konkurrenz tummelt. Sie haben sich in Lichtenberg angesiedelt, einem etwas unwirtlichen, als Neonazi-Hochburg verschrienen Bezirk im Nordosten der Stadt.

Der zweistöckige Flachbau kauert inmitten eines Urwalds aus Plattenbauten. Auch drinnen ist es nicht besonders schick. Ein Laptop, ein großer Zuschneidetisch und drei alte Textima-Nähmaschinen aus dem Nachlass eines abgewickelten ostdeutschen Textilbetriebs; mehr wollen und brauchen die Designerinnen nicht.

Das Atelier bietet dafür viel Raum und Licht; der wahre Luxus, wie die beiden wissen. Immer wieder versuchten Leute aus der Branche, sie zu einem Umzug nach London oder Paris zu überreden, doch "dann hätten wir nie die Möglichkeit, in so einem Haus zu arbeiten. Fast alle dort sitzen in teuren Miniateliers und vergleichen einander ständig."

Leskovars Blick wandert nach draußen zu einem riesigen Sandkasten. Früher war hier mal ein Kindergarten. Nun ist es für diese beiden Erwachsenen der perfekte Spielplatz. Ein Ort, an dem man sich austoben kann, ganz ohne Druck, mit wenig finanziellem Einsatz und fernab vom Einfluss der Industrie, während in den angesagten Bezirken Berlins Hunderte Nachwuchstalente fieberhaft an ihrem Durchbruch arbeiten.

Lesen Sie weiter: Wie das Spielerische zum Leitmotiv des Labels wurde.

Dieses Hauptstadt-Ding

Tatsächlich ist das Spielerische, Kindliche eines der Leitmotive des Labels. Mit null Euro Startkapital, inspiriert von einem Sonic Youth-Song über verlorene Kindheitsträume, bastelten die Studentinnen der Kunsthochschule Weißensee 2003 gemeinsam an ihrem Diplom.

"Wir wollten mit Kleidung umgehen wie Kinder. Aus einem riesigen Kleiderhaufen zogen wir alles verdreht und übereinander an, sodass die einzelnen Sachen nicht mehr erkennbar waren. Dann haben wir uns fotografiert, die Bilder zerschnitten und zu Kollagen zusammengeklebt. Daraus entwickelten wir die Muster und Formen von "Daydreamnation".

Das war ihre erste Kollektion, für die es neben dem Diplom gleich mehrere Preise und eine Einladung der Berliner Modemesse Premium gab; dort orderten japanische Einkäufer wie besessen. "Damals hatten wir noch nicht mal Produzenten", sagt Doreen Schulz, eine Restmenge aus Schock und Freude im Blick.

Ein Label zu gründen, das hatten sie zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht geplant, oder noch nicht so schnell, zumal die studierte Modedesignerin Schulz und die Textildesignerin Leskovar nicht nur inhaltlich aus sehr verschiedenen Richtungen kamen.

Mangelnde Feminität?

Doreen Schulz wuchs in einem Dorf im Thüringer Wald auf und hatte lange als Schneiderlehrling beim Traditionsbetrieb "Plauener Spitze" Brautkleider restauriert. Die Westberlinerin Leskovar ist gelernte Friseurin. Als die beiden sich an der Kunsthochschule Weißensee trafen, mussten sie sich erst langsam annähern, bevor sie merkten, wie gut sie harmonieren.

Da Doreen Schulz während ihres Studiums schon als Produktionsmanagerin für den Designer Bernhard Willhelm in Antwerpen gearbeitet hatte, war sie diejenige, die die Kontakte zu Produzenten aufbaute. C.neeon lassen heute ausschließlich in Berlin und Brandenburg nähen, nicht etwa in Fernost. Nur so könne sie gut schlafen, sagt Schulz.

Auch die Stoffe, die sich auf dem Zuschneidetisch im Atelier häufen, kommen aus der Nähe: Jersey und Strick aus Apolda, die gemusterten Baumwollstoffe aus Sachsen. Nur die Seidenstoffe für die Sommerkollektion sind aus Italien importiert.

Kritiker werfen den Entwürfen von C.neeon mangelnde Femininität vor. Und tatsächlich scheinen die plakativen Muster in der aktuellen Kollektion zarter zu werden. "Wir wollten weg vom Kapuzensweatshirt-Leggings-Image und Kleider in den Vordergrund stellen", sagt Schulz, während sie mit nur einer Hand den Schalkragen einer Chiffonbluse mit floralen grünen Prints absteckt und mit der anderen ihr Baby über ihrer Schulter hält.

Ist das ein Zugeständnis an die Kritik oder an den Markt? Nichts dergleichen, sagt sie kurz, es werde sonst einfach langweilig.

Dann kommt die Ablösung: Doreens Mann Alex Kohouts, mit dem sie seit ihrer Jugend zusammen ist, steckt den kurzgeschorenen Kopf zur Tür rein, grinst und nimmt ihr den Säugling ab. Kohouts' Fotostudio liegt einen Stock höher. Dort lichtet er die Muster für die Kataloge von C.neeon ab.

Ebenfalls im Erwachsenen-Kindergarten ansässig sind die Graphik- und Kommunikationsdesigner von "anschlaege.de": Sie entwerfen die Layouts für das Label und helfen bei der Konzeption von Schauen und Ausstellungen. "Jeder von uns hat Leute reingebracht, die sich gut ergänzen", sagt Leskovar. Eine von ihnen ist auch die 64-jährige Rentnerin Frau Paschke. Wie viele andere Lichtenberger auch hat sie schon zu DDR-Zeiten in der Textilbranche gearbeitet, heute näht sie Muster für C.neeon.

In neue Welten vorstoßen

Die Graphiker, Autoren und Designer haben ihren Kindergarten in Anlehnung an das chinesische Wort für Raumfahrt - Teikonaut - "Heikonaut" getauft: "Von hier aus kann man trefflich in neue Welten vorstoßen" steht auf dem Poster, das in der Eingangshalle hängt. "Uns gefällt der Bauhaus-Gedanke: interdisziplinär zusammenzuarbeiten und die Werkstätten im Haus zu integrieren", erklärt Leskovar.

So ist es wohl kein Zufall, dass der Stil des Modelabels, die großflächigen Drucke und die Elementarfarben, zur Formensprache der zwanziger Jahre passt. Das New Yorker Modemagazin Nylon und die Trendscouts von "Thecoolhunter.net" sprechen schon von "Neo-Bauhaus Fashion".

Das ist Leskovar ein bisschen zu vereinfacht. "Unser Stil sieht so aus, weil uns eine besondere Welt umgibt." Weil sich C.neeon nicht auf bunte Looks reduzieren lassen will, arbeiten die Macherinnen daran, dass auch ihr Kontext Teil ihres Images wird. Im Sommer 2006 präsentierten sie ihre Kollektionen im staatlichen Kunstgewerbemuseum am Potsdamer Platz, dazu projizierten sie Videos, Fotoplots und Bilder von ihrem Kindergarten an die Wände.

"We like it big", hatte Schulz seinerzeit in Hyères selbstbewusst der Modepresse in die Mikrophone diktiert. "Unsere Vision ist, nicht nur den Körper, sondern die ganze Umgebung um ihn herum zu gestalten."

Besser könnte es da kaum ins Konzept passen, dass kürzlich auch der Teppichriese Vorwerk auf C.neeon aufmerksam wurde. Sechs ihrer Designs prangen nun auf deren Teppichböden, im Juni kommt eine exklusive Kollektion auf den Markt. Das haben bisher nur Karl Lagerfeld, Vivienne Westwood und der Künstler Gerhard Richter geschafft.

Dass C.neeon eines Tages groß rauskommen wird - dafür spricht momentan einiges. Und falls nicht? Dann ist ihre Geschichte wenigstens eine der Berliner Geschichten, an die man sich erinnert.

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