Berliner Hundegesetz:Schau mir in die Augen, Hund

Tapsy und Toulouse

Tapsy und Toulouse beim Hundetraining in Bernau bei Berlin.

(Foto: Hannah Beitzer)

Schlecht erzogene Hunde in Parks und Seen regen die Berliner auf. Wie lässt sich das verhindern? Ein Besuch beim Hundetraining.

Reportage von Hannah Beitzer, Berlin

Tapsy schaut. Das ist fein. "Schau!" - "Fein!", ruft seine Besitzerin Gabi deswegen wieder und wieder über die Brandenburger Wiese. Sie macht kreisende Bewegungen mit ihrer zur Faust geschlossenen Hand vor Tapsys Kopf. Der Mischlingshund folgt der Hand mit den Augen, dann guckt er seinem Frauchen ins Gesicht - und bekommt zur Belohnung ein Leckerli.

Blickkontakt zwischen Mensch und Hund ist wichtig, erklärt Hundetrainerin Annette Wiendieck an diesem Sonntag in Bernau bei Berlin Gabi und fünf weiteren Hundehaltern: "Es geht darum, dass der Hund Selbstkontrolle lernt."

Selbstkontrolle ist ein ziemliches Menschenwort, nichts jedenfalls, über das ein Instinktwesen wie ein Hund einfach so verfügt. Und doch etwas, das im Zusammenleben von Mensch und Hund dringend nötig ist - gerade in einer Großstadt wie Berlin.

Hunde treffen Jogger - ein Berliner Problem

Hier kommt es regelmäßig in Parks, an Seen, auf den Straßen zu Zusammenstößen zwischen Mensch und Tier: Berliner ärgern sich über Hunde, die Joggern hinterherjagen, über Picknickdecken trampeln und an Kindern hochspringen. Im vergangenen Jahr gipfelte das in einem regelrechten Kampf um ein Hundeverbot am beliebten Schlachtensee, inklusive Beschimpfungen von beiden Seiten.

Seit drei Jahren feilt der Senat schon an einem Hundegesetz. Die Politiker achten im sogenannten "Bello Dialog" tunlichst darauf, sämtliche verfeindete Gruppen zu beteiligen. Doch immer wieder scheitert der Prozess an der Kritik der einen oder der anderen Gruppe. Es geht zum Beispiel um einen verpflichtenden Hundeführerschein oder darum, wo Hunde überhaupt spazieren gehen dürfen. Und immer wieder natürlich um die Frage: Warum haben so viele Hundehalter ihre Tiere nicht im Griff?

Zuletzt hatte es Streit gegeben, weil der Hundeführerschein nur für neue Hundehalter verpflichtend sein soll. Wer länger als drei Jahre einen Hund besitzt, würde den jüngsten Entwürfen zufolge nicht unter die Regelung fallen. Auch Hundetrainerin Wiendieck findet das falsch. "Jemand kann auch fünf Jahre einen Hund halten und von Tuten und Blasen keine Ahnung haben."

Ein Hundwelpe jagt Blätter? Wie niedlich!

Sie hat selbst Hunde und mag die Tiere - bei ihrem Beruf auch kaum anders vorstellbar: "Ich finde, Hunde bereichern das Zusammenleben, auch in einer Großstadt." Trotzdem kritisiert sie die Verantwortungslosigkeit vieler Hundehalter. Die meinten es oft nicht einmal böse. "Sie finden es niedlich, wenn ein Hundewelpe Vögeln und Blättern hinterher jagt. Dabei löst genau das beim Hund Jagdverhalten aus."

Was niedlich ist, solange der Hund klein und die Jagdobjekte Blätter sind, wird schnell zum Problem, wenn ein ausgewachsenes Tier im Park einen Jogger stellt. "Hunde unterscheiden nicht zwischen sich bewegenden Objekten", sagt Wiendieck. Wieso auch? Jagd ist Jagd. Das versucht Wiendieck den Tieren in einem Anti-Jagd-Training abzugewöhnen. Da lernt der Hund zum Beispiel, nicht einfach loszurennen, wenn der Halter ein Stöckchen wirft. Sondern erst dessen Erlaubnis abzuwarten.

Wie Hunde Selbstbeherrschung lernen

Das ist genau das Thema der heutigen Gruppenstunde. Denn damit Hunde überhaupt um Erlaubnis fragen können, müssen sie lernen, von sich aus Blickkontakt aufzubauen. Ganz zu Beginn haben die Halter ein Leckerli für ihre Hunde in der Hand. Erst wenn die Tiere ihren Besitzern ins Gesicht gucken, bekommen sie es.

In der zweiten Stufe üben dann alle die Schwingbewegungen, die auch Tapsy und Gabi beschäftigen. Diesmal ist das Leckerli nicht in der geschlossenen Faust, sondern die Hand wischt ohne Inhalt durch die Luft. Folgen die Hunde ihr mit dem Blick, bekommen sie ihre Belohnung aus der anderen Hand. "So lernen die Hunde, die Hand vom Leckerli zu trennen", erklärt Wiendiecks Praktikant Patrick Burmeister, der heute die Stunde leitet. Er läuft zu Gabi: "Pass auf, dass er Dir wirklich direkt ins Gesicht guckt. Hunde sind sehr genaue Tiere."

An der Leine ziehen genügt nicht

Später geht es in eine Art Impulskontrolle-Parcours: Burmeister stellt eine Reihe Futterschüsseln auf, die Hunde müssen lernen, erst aus ihnen zu essen, wenn ihnen der Halter es erlaubt. Der Beagle Cayden ist heute zum ersten Mal dabei. Er ist erst einige Monate alt und braucht noch etwas Hilfe von Besitzerin Desiree. Sie darf ihn ausnahmsweise noch beim Namen rufen und an der Leine ziehen, damit er vom Futterschälchen weg geht.

Eigentlich, so erklärt Burmeister später, muss es aber ohne Leine und Kommando gehen. "Denn beim Spaziergang im Park hat das Frauchen oder Herrchen auch nicht immer alles im Blick, was der Hund gerade sieht. Daher soll er grundsätzlich nichts machen, ohne um Erlaubnis zu fragen." Doch der kleine Beagle macht heute Fortschritte, schließlich guckt er seiner Besitzerin ins Gesicht und lässt die Futterschale in Ruhe. "Gut gemacht", sagt Burmeister.

Auch der Mops Toulouse weiß am Anfang nicht so recht, was seine Besitzerin Silvia von ihm will, läuft ein wenig orientierungslos von links nach rechts und schnuppert an den Futterschüsseln. Doch auch er lernt schnell. Irgendwann sitzt er einträchtig neben Tapsy und guckt Silvia erwartungsvoll an.

Auch einige Menschen müssen Rücksicht lernen

15 Euro kosten 45 Minuten Gruppentraining bei Wiendieck. Sie bietet auch Einzeltrainings und Hausbesuche an, außerdem Lernspaziergänge am Wildgehege emtlang. "Das ist nett, weil man einfach mal besprechen kann, was die einzelnen Hunde für Probleme haben. Und für die Hunde ist es eine gute Herausforderung, an einem Wildgehege vorbeizugehen und sich nicht vom Geruch verrückt machen zu lassen", sagt sie.

In der nächsten Gruppenstunde wird sie mit Tapsy, Cayden, Toulouse und den anderen üben, locker an der Leine zu laufen. "Wenn ein Hund sofort in der Leine steht, sobald er einen anderen Hund oder einen Radfahrer sieht, dann hat er seine Impulse nicht unter Kontrolle", sagt sie. Da ist sie streng. Auch Kommandos wie "Sitz!", "Platz!" und "Komm!" stehen noch auf dem Programm.

"Das wichtigste ist doch Rücksichtnahme", sagt sie nach der Stunde. Nicht nur von Seiten der Hunde. An diesem Morgen zum Beispiel sei sie mit ihren Tieren im Park gewesen. Und sofort wieder umgedreht. Überall Müll, leere Bierflaschen und Scherben. Vor allem letztere treten sich in den Pfoten der Hunde fest und schmerzen. "Da wundert man sich schon manchmal", sagt sie. "Bei jedem Hundehaufen rufen die Leute gleich nach der Bürgerwehr. Aber sie sind nicht in der Lage, ihren eigenen Müll wegzuräumen." Und wenn sich der Mensch schon nicht benimmt - von wem soll es der Hund da lernen?

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