Berlin:Schrebergärten: Gegen das Spießerimage

Kleingärten im Wettbewerb

Sind Schrebergärten noch zeitgemäß?

(Foto: dpa)
  • Ein Kleingartenverein in Berlin hat zwei Familien angeblich die Mitgliedschaft mit Hinweis auf ihre türkische Herkunft verweigert.
  • Immer wieder kommt es zu Konflikten in Schrebergärten, die als Inbegriff deutscher Spießigkeit gelten.
  • Doch tragen sie dieses Image überhaupt zurecht? Forscher widersprechen.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Wie soll der urbane, progressive, um Toleranz bemühte Berliner da auch nicht die Augen verdrehen? Ein Kleingartenverein in der Hauptstadt hat angeblich zwei Familien die Mitgliedschaft samt Parzelle verweigert - weil diese türkischer Herkunft sind. Und Leute mit Migrationshintergrund habe man schon genügend in der Anlage. Diese nähmen häufig nicht am Vereinsleben teil und hielten die Ruhezeiten nicht ein. Sogar von einer maximalen Migrantenquote von 20 Prozent war die Rede.

So schildern die Situation die betroffenen Familien den Medien, so bestätigten es dem Tagesspiegel und dem rbb auch Mitglieder des Kleingartenvereins bis hin zum Vorstand. Die türkischen Familien empfinden das als Diskriminierung, ebenso der Türkische Bund Berlin-Brandenburg und einige Lokalpolitiker, die die abgelehnten Gärtner ansprachen.

Sind Kleingartenvereine noch zeitgemäß?

Wer darf mitmachen - und was bedeutet "mitmachen" eigentlich? Mit Konflikten wie diesen geraten Kleingartenvereine immer wieder in die Medien. Etwa 900 Anlagen gibt es in Berlin, sie nehmen insgesamt drei Prozent der Stadtfläche ein. Erst im vergangenen Jahr beschäftigte Berlin ein Fall, in dem in einer Kolonnie junge Familien mit alteingesessenen Gärtnern über diese Frage aneinandergerieten. Erstere wollten die Kolonie weiter zum Stadtteil öffnen, letztere fühlten sich überrumpelt und übergangen. Der Streit ging sogar vor Gericht. Inzwischen haben sich die Wogen geglättet.

Auseinandersetzungen wie diese sind jedoch immer wieder der Anlass für die Frage: Ist das Konzept Kleingartenverein überhaupt noch zeitgemäß in ständig wachsenden, multikulturellen und vielfältigen Großstädten? Der Kleingartenverein mit seinen rigiden Aufnahmeprozessen, den strikten Regeln und Bräuchen aus dem 20. Jahrhundert, mit seinen verpflichtenden Grillfesten, der genormten Heckenhöhe und den strengen Ruhezeiten?

Mit Fragen wie diesen beschäftigen sich Wissenschaftler schon seit der Jahrtausendwende. Der Geograph Martin Sondermann vom Institut für Umweltplanung der Leibniz Universität Hannover hat sechs Jahre zu Schrebergärten und alternativen Gartenprojekten geforscht. Ganz wie sie wollen, das macht der Stadtforscher deutlich, können die Vereine nicht schalten und walten. Zum einen, weil sie ihre Gemeinnützigkeit nachweisen müssen. Und zum anderen, weil viele von ihnen städtischen Boden gepachtet haben.

Streit um den öffentlichen Raum

"Was mit öffentlichen Flächen geschieht, ist immer eine Frage des Interessenausgleichs", sagt Sondermann. Nicht nur Gärtner hätten hier Ansprüche, sondern zum Beispiel auch Sportler, Kinder oder Spaziergänger. "Es darf nie eine Gruppe den öffentlichen Raum ganz für sich vereinnahmen." Daher sei es wichtig, diese Fragen immer wieder zu verhandeln. Auch in Bezug auf die Kleingärten.

Schrebergärten haben sich dem Stadtforscher zufolge in den vergangenen Jahren stärker verändert, als es von außen manchmal den Anschein hat. "Viele Kleingärten sind längst nicht mehr so starr, wie man glaubt. Dinge wie die Heckenhöhe und die Ruhezeiten sind nicht mehr so wichtig wie früher."

Auch seien sie keineswegs vom Rest der Gesellschaft abgekoppelt. Viele Kleingärten arbeiten Sondermann zufolge längst mit multikulturellen Projekten oder Schulen der anliegenden Stadtteile zusammen. Statt dem klassischen deutschen Rentner fänden sich heute dort viele junge Familien, die vom alten Gartenzwerg-Lebensstil meilenweit entfernt seien. Und eben Pächter mit Migrationshintergrund. "Wir haben in den Städten allgemein eine Pluralisierung der Lebensstile. Das spiegelt sich auch in den Schrebergärten wieder", sagt der Forscher.

Warum auch alternative Projekte nicht für alle offen sind

"Wenn diese unterschiedlichen Nutzergruppen aufeinander treffen, gibt es natürlich auch Konflikte", sagt der Forscher. Da brauche es in aller erster Linie jemanden, der zwischen den Parteien vermittle - zum Beispiel der Vorstand. Das scheint im Fall der Berliner Kolonie nicht besonders gut geklappt zu haben. Dort versucht inzwischen der Vizepräsident des Berliner Landesverbands der Gartenfreunde, Karl-Franz Bothe, zu beschwichtigen. Es gebe keine Migrantenquote in den Vereinen sagte er dem Tagesspiegel: "Kleingärten sind für alle da."

Viele Großstädter finden allerdings inzwischen, dass Konzepte wie Urban Gardening oder für alle offene Stadtteilgärten diesen Anspruch besser erfüllen als ein Verein, in dem Anwärter teilweise jahrelang auf einen Garten warten müssen. Doch Martin Sondermann wägt ab. Auch die modernen, alternativen Projekte seien nicht immer für alle offen. "Viele Urban Gardening-Initiativen sind zum Beispiel sehr politisch, verschreiben sich dem nachhaltigen Nahrungsanbau, richten sich gegen die kapitalistische Wirtschaftsweise." Da seien dann auch all jene ausgeschlossen, die diese Philosophie nicht teilen.

Erst ohne Regeln - dann plötzlich doch als Verein

Und mit der Zeit näherten sie sich den Kleingartenvereinen organisatorisch sogar an. "Viele dieser Initiativen starten mit der Idee: Wir wollen ganz anders sein als Schrebergärten, viel freier und ohne Regeln und Vereinssatzung", berichtet Sondermann. Doch dann gründeten sie doch einen Verein, etablierten feste Regeln und Zuständigkeiten. Das sei durchaus sinnvoll. "Erfolgreiche Projekte brauchen klare Zuständigkeiten und Menschen, die Verantwortung übernehmen", sagt Sondermann.

Das wichtigste, so resümiert der Forscher, sei es, dass die Akteure begriffen, dass sie Teil der Öffentlichkeit seien - egal, ob es nun die von Sozialwissenschaftlern geleitete Urban-Gardening-Initiative oder der Ostberliner Schrebergartenverein sei. "Es gibt natürlich Akteure, die denken, sie handeln im öffentlichen Interesse - und merken gar nicht, dass sie eigentlich nur im Interesse ihrer Peergroup handeln."

Park und Schrebergartenkolonie

Für mehr Offenheit verweist Sondermann auf neue Ansätze, in denen zum Beispiel Kleingärten in öffentliche Parks integriert werden, entlang öffentlich zugänglicher Spazierwege oder in der Nachbarschaft von Kinderspielplätzen. "Da fühlt sich jeder eingeladen, spazieren zu gehen oder mit seinem Kind den Spielplatz zu besuchen."

Ein Beispiel sei der Umgang der Stadt Lissabon mit Gärten, die auf städtischen Brachflächen entstanden und danach in das Grünanlagen-Konzept der Stadt integriert wurden. Sondermann nennt auch den interkulturellen Gemeinschaftsgarten "Rosenduft" im Berliner Park am Gleisdreieck als gelungene Mischform, in dem sich einige Dutzend Menschen unterschiedlicher Herkunft engagieren.

Und so bleibt der Eindruck: Die Zeit des ganz Unter-Sich-Bleibens, sie ist vorbei. Das gilt für die zögerlichen Schrebergärten in Berlin und anderswo.

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