Berlin Fashion Week:Saloongirls oder: Die Suche nach Spaß

Namhafte Designer, Nachwuchs-Stars, Promis und ihre modischen Fehltritte - eine Bilanz der "Fashion Week". Star in Berlin war Bernhard Willhelm.

Katharina Höller, Berlin

Im Vergleich zu Paris, Mailand und New York ist Berlin das totale Provinzkaff. Die wirklich bekannten deutschen Designer lassen sich an einer Hand abzählen. In Berlin gefeierte Jungdesigner können im internationalen Wettbewerb nicht mithalten. Mal fehlen ihnen die guten Ideen, mal das notwenige Kapital. Und deutsche Konsumenten beweisen kein glückliches Händchen für Stil: Sie sind entweder bieder oder tragen zu dick auf.

Berlin Fashion Week: "Meet and Greet im Skigebiet": Ein Model präsentiert auf der Fashionweek Berlin die neue Kollektion des Paradiesvogels Bernhard Willhelm.

"Meet and Greet im Skigebiet": Ein Model präsentiert auf der Fashionweek Berlin die neue Kollektion des Paradiesvogels Bernhard Willhelm.

(Foto: Foto: AP)

Kurzum: Vorurteile über die Deutschen und ihr Verhältnis zur Mode und über die Berlin Fashion Week gibt es genug. Dennoch war zum vierten Mal in Folge das bunte Treiben der Modewoche im Gange - und mit mehr als 18.000 Gästen auch so gut besucht wie nie. Der richtige Zeitpunkt also, um das Szenario in der Hauptstadt genauer unter die Lupe zu nehmen. Eine Bestandsaufnahme kann Vorurteile entkräften.

Das Geschehen eröffnen durfte am Mittwochabend Boss Black. Im alten Tropenhaus des Botanischen Gartens in Berlin-Dahlem schuf Designer Ingo Wilts mit rechteckigen Betonsäulen die Silhouette einer Skyline. Sie war Kulisse für die Herbst-Winter-Kollektion der eleganten Business-Linie aus dem Hause Boss - ziemlich beeindruckend inszeniert und professionell umgesetzt. Doch die Looks in offwhite, beige, schwarz oder grau waren leider ziemlich langweilig.

Eine lange Smokingjacke für Damen war noch eines der ausgefallenen Teile. Ansonsten gab es nichts, was die 700 geladenen Gäste nicht schon gesehen hätten. Milla Jovovich war unter ihnen und definitiv Star des Abends. Aber auch die deutsche Prominenz zeigte Interesse: Schauspieler Clemens Schick kam mit Verushka von Lehndorff, Thomas Kretschmann schäkerte mit Kollegin Jessica Schwarz, Anna Maria Mühe und Hannah Herzsprung posierten für die Fotografen. Die Sportler David Coulthard und Mario Gomez schauten ebenso vorbei wie die schwangere Jasmin Tabatabai mit Freund Andreas Pietschmann.

Für Modebegeisterte interessanter wurde es erst am nächsten Tag mit den Labels Schumacher, Lala Berlin und Kaviar Gauche. Dorothee Schuhmachers Design ist international erfolgreich; ihr Umzug nach Berlin kann ohne Zögern als Aufwertung für den Standort gesehen werden. "Schuhmacher ist zwar kommerziell, aber Dorothee gestaltet ihre Looks mit sehr viel Liebe" - Melissa Drier, Korrespondentin des US-Fachblattes Women's Wear Daily war angetan.

Auch die Looks von Lala Berlin überzeugten die Modekritikerin. Designerin Leyla Piedayeh schwelgte in exquisiten Materialien wie Kaschmir und Seide, die auch ihre bisherige Arbeit dominierten. Lange, grobe Strickjacken, aus verschiedenfarbigen Flicken zusammengesetzt, kombinierte sie mit zarten schwarzen Seidenkleidern.

"Ich habe dabei ein spezielles Paillettengarn eingesetzt, mit dem man tolle Effekte erzielt", erklärt Piedayesh, die in Berlin lebt und arbeitet. "Das Thema der Kollektion ist Western - im subtilen Sinn. Saloongirls haben mich dazu inspiriert, Lederdetails zu verarbeiten. Grobe Maschen spiegeln dabei eine gewisse Lässigkeit und Funktionalität wieder."

Strenesse Blue bot neben klassisch schöner Mode ein Highlight des Entertainments: Till Brönner eröffnete die Show mit einem Trompetensolo, bevor Viktoria Strehle ihre Looks zeigte, die sie zum ersten Mal in Eigenregie ohne Firmengründerin Gabriele Strehle entworfen hatte. Waren die Gäste von ihren schmeichelnden Entwürfen noch sanft eingelullt, ging kurz danach bei Kaviar Gauche ein überraschtes Raunen durch die Reihen. Die Köpfe wurden zusammengesteckt, irritiertes Tuscheln war zu hören.

Johanna Kühl und Alexandra Fischer-Roehler schickten ihre Models allesamt mit hautfarbenen Slips und XL-Fransenketten bekleidet über den Laufsteg. Die Brüste wurden notdürftig verdeckt von glatt gebügelten Haarverlängerungen. Das einzig wechselnde Element waren die Handtaschen, die dazu getragen wurden.

Egal ob großer Shopper oder kleine Clutchbag, die Entwürfe waren stets angelehnt an Designelemente der Lamella-Bag, die Kaviar Gauche vor ein paar Jahren bekannt machte.

Saloongirls oder: Die Suche nach Spaß

Wollen sich die Designerinnen in Zukunft ganz auf das Entwerfen von Accessoires beschränken? Mit hochwertigen Handtaschen und Gürteln lässt sich in der Branche mehr Geld verdienen - insofern könnte dies ein geschickter geschäftlicher Schachzug sein. Die Reaktionen im Publikum auf die Show waren sehr gemischt: Während Wolfgang Joop grinsend Beifall klatschte, war Melissa Drier von WWD enttäuscht: "Ich hatte gehofft, dass die Mädels mir noch mehr geben. Mensch, Kaviar Gauche hätten die Stars sein können! Sie haben ihre Chance verspielt."

Designer-Kollegin Bernadett Penkov war einfach nur erstaunt: "Die Überraschung ist gelungen. Das ist schon echt mutig. Ich halte das für eine ziemlich coole Aktion." Doch vielen Gästen fehlte trotz der Aufsehen erregenden Show das gewisse Etwas. "Wurden die Mädels etwa nicht fertig mit ihrer Kollektion?", fragte einer der Besucher kopfschüttelnd.

Den Bekanntheitsgrad der Berlinerinnen wird dieser PR-Gag in jedem Fall steigern. Womöglich hängt derweil die eigentliche Kollektion schon im Showroom und wartet auf Einkäufer.

Bei Kaviar Gauche war auch die Frontrow gut besetzt mit Prominenz, die ihrerseits nicht gefeit war vor einem kleinen, aber feinen Skandal: Schauspielerin Hannelore Elsner und Model Eva Padberg passierte genau das, wovor allen Damen bei großen Veranstaltungen besonders graut: Sie trugen dasselbe Kleid! Während die Fotografenmeute sie umringte, versuchten beide mit heldenhaft stoischen Mienen, den Vorfall zu ignorieren.

Total vernachlässigt wurden daneben Oskar Roehler, Martina Gedeck, Heike Makatsch, Boris Becker und Lily Kerssenberg, Schauspielerin Alexandra Neldel und die Designerkollegen Michalsky und Wolfgang Joop. Zu der illustren Runde gesellte sich auch Christiane Arp, Chefredakteurin der Vogue.

Ohne Zweifel modische Highlights waren die Show von Joop! am Donnerstagabend und der von Peek & Cloppenburg ins Leben gerufene "Designer for Tomorrow"-Award.

Joop!-Designer Dirk Schönberger zeigte im Hamburger Bahnhof, der sonst zeitgenössische Kunst beherbergt, dass der Unterschied zwischen Paris, Mailand und Berlin nicht so groß sein muss. Schmale, klare Silhouetten in dunklen Farben und glänzendes Material, das mal wie Satin, mal wie Latex anmutete, wurde vorgeführt von Topmodels wie Toni Garrn oder Katrin Thormann.

Herausragende Ideen bot auch der "Designer for Tomorrow"-Award. Acht junge Talente, die noch nie zuvor öffentlich präsentiert hatten, durften in einer großen Show jeweils fünf Looks zeigen. Zwei von ihnen wurden zum Schluss ausgezeichnet.

Mit kunstvollen Skulpturen aus Strick und Filz konnte Julia Knüpfer aus Berlin die Profis in der Jury überzeugen. "Yes, she can. Das habe ich als Amerikanerin mir notiert. Sie hat vollständige Kontrolle über das Material und schafft interessante Volumina", urteilte Jury-Mitglied Melissa Drier, Modekritikerin von WWD.

Auch die Entwürfe von Joel S.Horwitz wurden prämiert. "Er geht ganz eigene Wege. Seine Anzüge aus Netzgewebe waren einfach super." Die Modelle seien aus Baumwolle und Polyester, erklärte Horwitz selbst. "Ich habe mit digitalen Fotoprints und bunten Stoffen gearbeitet, um neue Kontraste zu schaffen."

So sehr die Designer von morgen hoffen und Vorfreude aufkommen ließen - leider hatte die Fashion Week auch ihre Tiefpunkte. Vor allem der gefeierte Nachwuchs der letzten Modewoche enttäuschte. Marcel Ostertag kopierte schamlos die Handtaschen von Kaviar Gauche. Es schien fast so, als hätte er lediglich das Material ausgetauscht. Bei Kilian Kerner hingegen ließ die Verarbeitung wünschen übrig. Der Stoff beulte, warf Falten und stand vom Körper ab - überall dort, wo er nicht sollte. Ein paar einzelne gute Ideen hatte er wohl, aber leider war ersichtlich, dass Kerner sich das Entwerfen und Schneidern selbst beigebracht hat.

Saloongirls oder: Die Suche nach Spaß

Kontrovers diskutiert wurde auch die Präsentation von Michael Michalsky, die Prominenz von Klaus Wowereit bis hin zu Vicky Leandros anlockte. Die vierte Kollektion seines Labels stand unter dem Motto "Saints and Sinners". Passend zum Konzept lud er in die geschichtsträchtige Zionskirche. Aber nicht nur das sakrale Ambiente war Anspielung auf das Thema. Die Kollektion enthielt Hinweise wie Priesterkrägen, Aufdrucke inspiriert von Kirchenfenstern, sündige schwarze Spitze, Latex und Pelz als Materialien.

Frisuren und Styling der Models erinnerten an Madonnas Domina-Outfit von Jean-Paul Gaultier anno 1990. Bewundernswert in der Konsequenz der Umsetzung war Michalskys Konzept damit sicherlich. Doch bei all dem Pomp der Inszenierung fehlte den eigentlichen Entwürfen die Substanz. Bei Tageslicht betrachtet und ohne die beeindruckende Kulisse der Zionskirche werden diese Outfits einfach nur nach Rotlichtmilieu aussehen.

Auf so manche Ernüchterung des Modefreunds folgte am Samstagabend - als Entschädigung - die Präsentation von Bernhard Willhelm im alten Postbahnhof. Der gebürtige Ulmer wurde schon im Vorfeld mit Spannung erwartet. Schließlich hat er nicht nur an der renommierten Hochschule in Antwerpen studiert und seine Kollektionen in Paris gezeigt. Der Paradiesvogel hat neben seiner Mode auch Theaterkostüme und die Bühnenoutfits für Björks "Volta"-Tour im Jahre 2007 entworfen.

Sein Motto für Berlin hieß "Meet and Greet im Skigebiet": In einer riesigen Halle hatte er aus Holz, Baugerüsten und zweckentfremdeten Krankenhausbetten eine Fantasielandschaft zusammengezimmert. Dort verteilte er männliche Models in voller Skiausrüstung, die seine Winterkollektion trugen. Kurz umrissen handelte es sich dabei um Skiunterwäsche in grellen Farben im Stil der Siebziger Jahre. Wer aber genau hinsah, entdeckte liebevoll ausgearbeitete Details wie zum Beispiel die Raffung um das männliche Geschlechtsteil an einer Jogginghose.

Willhelms Publikum verschwand nicht wie bei anderen Shows im Dunkel der Sitzreihen, es wurde Teil der überdimensionalen Installation. Wie in einer Ausstellung konnten die Besucher zwischen den Models hindurch laufen und sie aus der Nähe ansehen.

So entstand eine rege Interaktion zwischen Objekt und Betrachter. Die Leute lachten, deuteten, gestikulierten, fotografierten was das Zeug hielt; manche verfütterten sogar Pralinen an die Models: "Meet and Greet im Skigebiet" also. In dem Trubel fiel der Designer selbst gar nicht auf. Bernhard Willhelm stand mitten in seiner eigenen Installation, vor einer Wand, die er ganz versonnen bemalte. Ein Happening der ganz besonderen Art war dieser Samstagabend - und ganz bestimmt weit mehr als nur eine Modenschau.

Als Außenstehende Brancheninterne zog Melissa Drier von WWD ihre Fashion-Week-Bilanz: "Deutschland ist kein Land, in dem Mode ein Kulturgut ist. Die Menschen hier sind entweder normal und bieder angezogen, oder ihre Klamotten sind so "into your face", dass jeder denkt: Okay, das ist Entertainment. Niemand hier sieht schöne Kleidung als privates Vergnügen."

Dass sie Recht hat, wenn sie sagt: "Mode muss Spass machen" bewies Bernhard Willhelm in seiner Darbietung sehr anschaulich. Ausnahmslos alle Besucher haben sich amüsiert, haben mit seiner Mode gespielt und sich ganz naiv auf die Fantasie des Designers eingelassen. Man kann die Deutschen also erziehen. Also: Bitte in Zukunft nicht mehr so bemüht und verkrampft. Die Berliner Modewoche muss Spaß machen.

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