Benachteiligung:"Geringschätzung von Hebammen und Müttern"

Ein Gespräch mit einer Hebamme in einem Land, in dem vor allem Frauen für den Anfang des Lebens zuständig sind.

Birgit Lutz-Temsch

Geringes Einkommen und hohe Haftpflichtprämien haben in den vergangenen beiden Jahren dazu geführt, dass zehn Prozent der Hebammen das Handtuch warfen. Ulrike Geppert-Orthofer, Landesvorsitzende des Hebammenverbands Baden-Württemberg, über die Schwierigkeiten im Alltag einer Hebamme in einem Land, in dem für den Anfang des Lebens mit all seinen Risiken und Nebenwirkungen noch immer vor allem Frauen zuständig sind.

Protest der Hebammen

Geboren wird immer - doch die Betreuung durch Hebammen wird zunehmend schwieriger.

(Foto: Foto: AFP)

sueddeutsche.de: Wie viele Kinder haben Sie auf die Welt gebracht?

Ulrike Geppert-Orthofer: Zwischen 400 und 500. Ich habe 1997 mit der Arbeit als Hebamme begonnen - seit ich aber im Verband arbeite, bin ich nicht mehr bei Geburten dabei.

sueddeutsche.de: Was hat sich in der Zeit, in der Sie als Hebamme arbeiten, verändert?

Geppert-Orthofer: Was uns sehr zu schaffen macht, sind die hohen Haftpflichtversicherungsbeiträge, die Freiberufliche bezahlen müssen. Die Beiträge sind von 2008 auf 2009 um mehr als 90 Prozent gestiegen, und jetzt im Juli werden sie wieder um 60 Prozent steigen.

sueddeutsche.de:  Warum?

Geppert-Orthofer: Weil die Krankenkassen seit Mitte der Neunziger und besonders in den vergangenen Jahren versuchen, Regressforderungen und Kosten auf andere abzugeben. Und weil, was ja gut ist, behinderte Menschen länger und besser leben können, weil sie besser versorgt werden. Das heißt: Bei hohen Behandlungskosten von Neugeborenen wird immer nach jemandem gesucht, der der Verursacher sein könnte. Wir mussten die Deckungssumme für den Einzelfall auf sechs Millionen Euro anheben. Bisher waren es 4,5 Millionen. Aber das reicht nicht, wie der Fall einer Kollegin zeigt. Sie kann nicht beweisen, dass die Behinderung eines unter ihrer Aufsicht geborenen Kindes nicht auf einen Fehler von ihr zurückzuführen ist. Sie wird im Leben nicht abbezahlen können, was da an Forderungen auf sie zukommt. Denn wenn die Summe nicht reicht, haften die Kolleginnen mit ihrem Privatvermögen.

sueddeutsche.de: Wie viel verdienen Hebammen?

Geppert-Orthofer: Laut einer internen Erhebung kommen Hebammen im Schnitt auf einen Stundenlohn von 7,50 Euro. Zu versteuern, wohlgemerkt.

sueddeutsche.de: Warum verdienen Hebammen so wenig?

Geppert-Orthofer: Die Ursache liegt in dem jahrzehntelangen Versäumnis des Bundesgesundheitsministeriums, das sein Versprechen, unsere Sätze anzuheben, nicht eingehalten hat. Gesellschaftlich betrachtet ist es aber auch eine Geringschätzung unserer Arbeit - wir haben einfach keine Lobby. Es gibt im gesamten Bundesgebiet etwa 17.000 Hebammen. Bei einer Großdemo in Berlin sieht uns ja gar keiner.

sueddeutsche.de: Da schwingt aber auch typisch weibliche Zurückhaltung mit ...

Geppert-Orthofer: Ja, durchaus. Wir haben uns lange gescheut, die Bezahlung so in den Mittelpunkt zu stellen. Jeder Kollegin, die diesen Beruf ergreift, ist klar, dass man damit nicht reich wird. Bei dieser Wahl ist sehr viel Berufung dabei. Aber jetzt kann man, wenn man 40 Stunden arbeitet, seine Familie nicht mehr ernähren. Deshalb muss man sogar noch einen Schritt weitergehen: Hebamme zu sein ist ein Frauenberuf, der sich noch dazu mit Frauen beschäftigt - und deshalb geringer bezahlt wird. Es ist also nicht nur eine Geringschätzung der Arbeit der Hebammen sondern eine Geringschätzung den Frauen gegenüber, die sich dafür entscheiden, Mütter zu werden. Die Leute sind ja entsetzt, wenn sie hören, wie wenig wir verdienen.

sueddeutsche.de: Aber jetzt nehmen die Hebammen die geringe Bezahlung nicht mehr hin.

Geppert-Orthofer: Genau. Die Frauen haben sich verändert, sind nicht mehr bereit, nur dazuzuverdienen. Frauen haben mittlerweile selbstverständlich den Anspruch an ihren Beruf und dessen Bezahlung, dass man davon leben kann - und das kann man als Hebamme nur sehr schwer. Dabei haben Hebammen sehr oft ein gutes Abitur, haben bereits eine andere Berufsausbildung, teils sogar studiert. Für diesen Beruf braucht es auch eine gewisse persönliche Reife. Es ist ein äußerst anspruchsvoller Beruf mit viel Verantwortung.

sueddeutsche.de: Was zählt zu Ihren Aufgaben?

Geppert-Orthofer: Hebammen sind ein integraler Bestandteil unserer Gesundheitsfürsorge. Wir betreuen Frauen lange vor der Geburt, mit einer großen psychosozialen Komponente. Wir stärken das Selbstvertrauen der Frauen in ihre Kompetenz, das Kind auszutragen, zu gebären und danach auch zu ernähren und zu erziehen. Bei jeder Geburt muss außerdem eine Hebamme anwesend sein. Die Nachsorge wird durch die immer kürzere Verweildauer im Krankenhaus immer wichtiger. Die Frauen werden heute nach einer normalen Geburt nach zwei Tagen entlassen. Da ist weder der Nabel des Kindes abgefallen, noch der Milcheinschuss abgeschlossen und die Gebärmutter nicht rückgebildet. Der Bedarf wird auch erkannt, man erwartet unsere Arbeit auch. Aber wir werden nicht gefördert.

sueddeutsche.de: Abseits dieser Ärgernisse hatten Sie aber sicher auch schöne Erlebnisse in Ihrer Hebammenzeit.

Geppert-Orthofer: Natürlich. Jede Geburt ist ein Wunder. Ich fand es immer wieder großartig, wenn ein Mensch geboren wird. Es ist überwältigend, bei der Geburt eines Menschen dabei zu sein. Einmal kam ein Paar in der Nacht auf Heiligabend in die Klinik, und das Kind kam relativ schnell. Das Paar ging dann auch gleich wieder nach Hause. Sie wollten zu ihren anderen Kindern - das Christkind nach Hause bringen. Das hat mich sehr gerührt. Es ist auch sehr schön, zu beobachten, wie sich Mutter und Kind aufeinander einspielen, wie die Mutter die Persönlichkeit ihres Kindes langsam kennenlernt. Und ganz schön war es auch, wenn die Frauen hinterher gesagt haben, das sei eine schöne Geburt gewesen. Das gibt es selten, aber das gibt es.

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