Beliebte Kindernamen:Der Namenjäger

Rüdiger, Ronny oder Shanania? Kein Mensch kann sich so für diese Frage begeistern wie der Hobby-Namensforscher Knud Bielefeld. Jedes vierte 2012 in Deutschland geborene Kind ist in seiner Datenbank erfasst. Er jagt und ordnet Namen - beliebte, schräge und verrückte. Besuch bei einem Sammler.

Von Charlotte Frank

Beliebte Kindernamen

Ansammlung beliebter Kindernamen

(Foto: Illustration: Stefan Dimitrov SZ)

Das Baby Rüdiger sieht reizend aus. Noch etwas zerknautscht blickt er in die Kamera der Erfurter Klinik, in der er Anfang März zur Welt kam. In der linken Hand hält er ein blaues Kissen, die rechte ruht neben dem Kopf, zur Faust geballt. Das sieht kämpferisch aus, als ahne Rüdiger schon, was spätestens mit dem Tag der Einschulung auf ihn zukommen wird. Die anderen Kinder auf der Webseite der Klinik tragen Namen wie Liam, Lewis, Colin.

Rüdiger, so heißt seit dem kleinen Vampir kein Mensch mehr. Rüdiger, so sagt die Statistik, war bis 1970 ein Renner bei jungen Eltern, er zählte zu den hundert beliebtesten Namen Deutschlands. Heute taucht Rüdiger nicht einmal mehr in der Liste der Top 500 auf. Selbst Artjom, Phileas und der immerhin klangverwandte Rüzgar liegen weiter oben. Sagt jedenfalls Knud Bielefeld - und irgendwem muss man in dieser Frage ja trauen. In Deutschland, wo das Statistische Bundesamt das Alter hessischer Musikschüler kennt und den Sendeanteil der Bühnendarbietungen im ZDF, gibt es keine amtliche Vornamen-Statistik.

Namen mit Bedeutung

Es gibt viele Hitlisten, von der Uni Leipzig, von der Gesellschaft für deutsche Sprache, von Elternheften. Es gibt vage Ahnungen, wonach Emma und Finn später in ihrem Freundeskreis nicht die einzigen Emmas und Finns sein werden. Es gibt den Wunsch, über Vornamen und ihre Geschichte Bescheid zu wissen, weil Vornamen so viel mehr über einen Menschen sagen als nur, wie er heißt. Und es gibt: Knud Bielefeld.

Der Name des 45-Jährigen fällt einmal im Jahr in den Nachrichten, meist so: "Laut einer nichtamtlichen Auswertung durch den Hobby-Namensforscher Knud Bielefeld", dann geht es mit den beliebtesten und schrägsten Namen weiter. Und während man überlegt, warum einer sein Kind Sexmus Ronny nennt, drängelt sich jedes Jahr aufs Neue die andere Frage dazwischen: Wie wertet einer so etwas aus? Weshalb? Hat er nichts Besseres zu tun?

Ein Zimmer unter dem Dach in Ahrensburg, Schleswig-Holstein, in den Regalen Bücher wie das "Vornamens-Lexikon von A-Z", "Oxford First Names", und "Namensgebung in Ostfriesland". Bielefelds Hobbyraum. Von hier aus hat er für die aktuelle Liste 165.979 Geburtsmeldungen ausgewertet, jedes vierte 2012 in Deutschland geborene Kind ist in seiner Datenbank erfasst. "Es werden jedes Jahr mehr", sagt er.

Dabei ist Bielefeld Wirtschaftsinformatiker, seine Seite "beliebte-vornamen.de" betreibt er privat. Er hat keinen Anspruch darauf, dass ihm Behörden verraten, wie viele Mias wo geboren werden. "Ich muss alles selbst sammeln", sagt er. Wenn es gut läuft, drucken Standesämter die neuesten Vornamen im Amtsblatt. Oder Mitarbeiter geben Interviews, wie kürzlich die Beamtin aus Hamburg-Nord, die über den in ihrem Bezirk gemeldeten Don Armani Karl-Heinz philosophierte.

Häufiger aber muss Bielefeld die Websites von Kliniken durchforsten. In Zeiten wütender Datenschutzdebatten klingt es kurios, aber: Die meisten Häuser haben eine "Babygalerie", eine Seite, auf der sie die Neugeborenen vorstellen. Mit Foto, Geburtsdatum, Größe - und Namen. Davon profitiert Bielefeld.

Lasse ist nur im Norden hip

Durch die wachsende Zahl der Babygalerien hat er mittlerweile 430 Quellen. Fünf Mitarbeiter helfen ihm bei der Auswertung nach einem komplizierten Schlüssel: "Ich achte darauf, dass ich in allen Bundesländern gleichermaßen suche", sagt Bielefeld, "sonst entstehen regionale Ungleichgewichte." Auch das zeigt ja seine Seite: Wie ungleich Namen über Regionen verteilt sein können. So steht etwa in Schleswig-Holstein Lasse auf Platz acht - deutschlandweit landet Lasse auf Rang 78.

25.000 Leute wollen so etwas jeden Tag wissen. So viele Besucher hat Bielefelds Webseite. Das reicht, um mit Werbung genug Geld zu verdienen, um seine Helfer zu bezahlen. "Aber nicht genug, damit wirklich etwas übrig bleibt", sagt er.

Also warum das alles? "Vielleicht hat es mit meiner Geschichte zu tun", sagt Bielefeld; wenn man Knud heiße, seien Vornamen von klein auf ein Thema. Wobei diese weniger über uns selbst aussagten, als über diejenigen, die sie ausgesucht haben: unsere Eltern. "Wahrscheinlich interessieren wir uns deshalb so dafür", sagt Bielefeld. Er aber habe, als er in den Neunzigern anfing zu suchen, im Internet kaum gute Seiten zu dem Thema gefunden. Also bastelte er etwas Eigenes.

Anfangs war es mühsam, wie eine Schatzsuche. Dann fand er die ersten Perlen. Zum Beispiel? "Einmal hieß ein Baby Shanania", sagt Bielefeld, "als ob man unter der Dusche singt". Noch mehr kann er sich aber über Namen freuen, die heute rar sind: "Wenn ein Baby Stefan heißt, das ist was Besonderes." Bielefeld erzählt mit der Leidenschaft eines Schmetterlingsfängers: Er jagt Namen, zählt und ordnet sie - fertig. In der Wissenschaft macht ihm das nicht nur Freunde.

Seine Tabelle kommt seit Jahren früher heraus als die der professionellen Namensforscher. Sie unterscheidet sich auch seit Jahren von den Listen der anderen. So waren laut Uni Leipzig 2012 Marie und Maximilian die häufigsten Namen - und nicht, wie bei Bielefeld, Mia und Ben. Bielefeld erklärt das damit, dass die Forscher im Gegensatz zu ihm nicht zwischen Erst- und Zweitnamen unterscheiden.

Kritik perlt an ihm ab: "Ich stelle Namen online, und wer nicht will, muss sie nicht lesen. Wer will, kann sie lesen." Es wollen mittlerweile ziemlich viele Menschen. Die einen suchen einen Namen für ihr Kind. Die anderen suchen ihren eigenen Namen - und den Rang, auf dem er geführt wird. Manchmal muss man wissen, wo man im Leben steht.

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