Beichte:Von der Seele reden

Beichtstuhl -  Immer weniger Katholiken gehen beichten

Immer weniger Katholiken gehen zur Beichte. Warum?

(Foto: dpa)

Wer nicht regelmäßig beichtete, dem drohte früher das Höllenfeuer. Aber wer macht das heute noch? Ein Beichtgespräch mit Pfarrer Gregor Arndt.

Von Hannes Vollmuth

Eines muss der Pfarrer gleich am Anfang loswerden. "Irgendwie seltsam", sagt er, "jeder kennt die Beichte, aber keiner geht mehr hin." Er muss nur den Fernseher anschalten oder ins Kino gehen: überall Morde, Betrug und Ehebruch, gestanden durch dichtes Holzgeflecht. Das bringt den 59-Jährigen ins Grübeln: die Beichte, ein popkulturelles Accessoire? Nach 31 Jahren und mehr als 10 000 Beichtgesprächen fragt sich Pfarrer Gregor Arndt tatsächlich: "Sehnen sich die Menschen vielleicht doch danach?"

Hoch oben auf dem Erfurter Domberg, im Hauptportal der Kirche, hinter einem dunklen Türchen aus Holz wartet Gregor Arndt. Jeden Samstag, von 17 bis 18 Uhr. In einem Beichtstuhl wartet er nicht, weil sich auch in Erfurt keiner mehr in einen alten Holzkasten zwängen will. Also hat er aus einer schummrigen Nische vor der Sakristei ein Beichtzimmer gemacht: auf der Anrichte Mutterkraut in einer Vase, Kerzen, ein Holzkreuz, Gebetsbücher. Davor zwei knarzende, gepolsterte Klappstühle.

Pfarrer Gregor Arndt sitzt auf dem einen Klappstuhl, ein kleiner Mann mit rundem Bartgesicht, der schwarze Hosen trägt, schwarzes T-Shirt, über das er ein schwarzes Sakko gezogen hat. Draußen kocht die Mittagssonne den Erfurter Domberg. Drinnen, in der kühlen Beichtnische mit den Steinplatten am Boden, zieht Pfarrer Arndt das Sakko zu.

Leere Beichtstühle

"Eigentlich ist es ganz leicht", sagt Arndt mit brummig-zarter Stimme. Man kann als Katholik zu ihm kommen und seine großen und kleinen Sünden gestehen, die der Pfarrer dann tatsächlich mit diesem Satz auflöst: "So spreche ich dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes." Eigentlich richtig wunderbar. Nur die Menschen kommen irgendwie nicht mehr.

Wenn man Zahlen zur Beichte braucht, landet man bei der Deutschen Bischofskonferenz, die sagt, das sei schwierig. Es gibt nichts: keine Statistiken, keine Untersuchungen, kein Datenmaterial. Man muss mit vielen Pfarrern sprechen, bis man merkt: Fast alle warten in ihren Beichtstühlen, in ihren Beichtzimmern und kühlen Beichtnischen, auf Klappstühlen und gepolsterten Hockern. Aber der zweite Stuhl bleibt oft leer.

Es gibt inzwischen Kirchen ohne Beichtstühle, man hat sie abgebaut. Oder den Staubsauger reingestellt. Der Beichtstuhl wurde ursprünglich erfunden, damit man nicht mehr vor der Gemeinde beichten musste. Das war im Barock. Jetzt ist daraus eine Abstellkammer geworden. Aber das ist längst nicht alles, was sich mit den Jahren geändert hat.

Ahnungslose Sünder

Gregor Arndt war 28 Jahre alt beim ersten Sünder. 1984, thüringische Provinz, seine erste Pfarrei: Acht Menschen kamen, "das Beichten war noch einfach", sagt Arndt, "kurz und knapp." Es gab natürlich immer welche, die es sich noch einfacher machten. Drittes Gebot: einmal; fünftes Gebot, zweimal; neuntes Gebot: viermal.

Heute gibt es Samstage, da wartet Arndt vergeblich. Kommt einer, ist er schon froh. Früher nahm er 600 Beichten im Jahr ab, heute 150. Und viele, die im Erfurter Dom das dunkle Holztürchen aufziehen und sich auf den Klappstuhl gegenüber von Arndt setzen, sind ahnungslos. "Die meisten haben das letzte Mal in der Kindheit gebeichtet", sagt Arndt. Das merkt der Pfarrer, wenn einer seine Sünden bekennt, gleich wieder rausrennen will, und Arndt hat ihn noch gar nicht losgesprochen.

Ein Junge kam in die Beichtnische. Zuerst wippte er mit den Füßen, dann guckte er Löcher in die Luft. Als Arndt den Jungen fragte, ob er getauft sei, schüttelte der den Kopf. Der Junge schwieg ein bisschen, dann erzählte er, dass sein Vater ihn geschickt habe, der übrigens auch nicht getauft sei. Arndt freute sich dann, einerseits. Eine nicht christliche Familie, und die kennen die Beichte, toll. "Aber ich musste das Kind natürlich wieder wegschicken", sagt Arndt. Er hat dem Jungen dann kurz die Beichte erklärt und ihm dann einen Segen gegeben, zumindest das.

Pornographie und Vielfliegen als Sünde

Wer kommt also noch? "Querbeet", sagt Arndt. Der 20-jährige Student, die 40-jährige Mutter mit Kindern, der 60-jährige Versicherungsangestellte, Mitarbeiter aus den Ministerien unterhalb vom Domberg, Schlosser aus der Nachbarschaft. Er bekommt auch Anrufe, wenn jemand einen Beichttermin am Abend braucht. Per Mail will niemand beichten, auch wenn es im Internet jetzt diese schrägen Beichtseiten gibt. Manchmal liest einer von seinem Smartphone die Sünden ab.

Alles, was früher gebeichtet wurde, kommt auch heute noch vor: Gewalt in der Familie, Ehebruch, windige Geldgeschichten, Diebstahl, Gotteslästerei, dass einer keine Zeit zum Beten findet, und sich sündig fühlt. "Da bleibt der Mensch sich treu." Manches sei aber auch neu: Beichten, in denen Pornografie eine Rolle spielt zum Beispiel. Oder jemand fliegt ständig und fühlt sich wegen der Umwelt schlecht.

Mord? Der Pfarrer schüttelt den Kopf. Notorisches Fremdgehen? Der Pfarrer zögert: "Kommt vor, aber selten." Ein Filmklischee. Das kann er so nicht bestätigen.

Leben statt Sünden

Wobei der Pfarrer schon froh ist, wenn einer überhaupt mit Sünden kommt. Früher hockten sich die Menschen zu ihm und benannten ihre Sünden: gestohlen, geschlagen, die Ehe gebrochen. Heute bringen die Menschen ihr Leben mit.

Ein ausländischer Student setzte sich zu Gregor Arndt in die Beichtnische und begann zu erzählen. Der Student sprach von seinem fremden Leben in Erfurt, wie einsam er war, erzählte von den Eltern, die ihn eigentlich brauchten, von seiner Freundin, die er vermisste, von Heirat und Kindern, auch das sehr weit entfernt. "Da habe ich gleich gemerkt, das ist ein Riesenkonvolut von Problemen", sagt Arndt, "aber schuldig war der nicht."

Viele Menschen, die zu Pfarrer Arndt kommen, machen das heute so. Sie schleppen keine Sünden zu ihm, sie kommen mit Sorgen und Nöten. "Das Leben der Menschen ist diffus geworden", sagt Arndt. Der Pfarrer will die Menschen von ihren Sünden lossprechen, die Menschen kommen zum Pfarrer, um ihr Leben zu ordnen.

Bis 1965 wöchentliches Beichtgebot

Kommt jemand mit einer Sünde, spricht der Pfarrer ihn los. Gibt es keine Sünde, wird es kompliziert. Ein Mann kam zu Arndt ins Beichtzimmer, er wünschte eine Lossprechung von seiner Schuld, welche Schuld, konnte der Mann nicht sagen. Hat er nicht gemacht.

"Der Beichtstuhl war ja früher auch eine Folterkammer", sagt Arndt. Man musste auf dem rundgescheuerten Bänkchen knien, und der Beichtvater bog jede Aussage in Richtung Sünde. Bis 1965 galt ein wöchentliches Beichtgebot von sieben Jahren an - und wer nicht kam, dem drohte das "Höllenfeuer". Und wie viele Kinder denken sich noch heute eine Sünde aus, wenn sie zum Beichten gehen?

Auch deshalb ist es Gregor Arndt inzwischen lieber, wenn er sagt: "Tut mir leid, Sie haben nichts zu beichten, aber ich kann Ihnen zumindest einen Segen geben." In der Öffentlichkeit wird behauptet, die Menschen hätten kein Schuldbewusstsein mehr. "Das stimmt nicht", sagt Arndt. Sie fühlen sich schuldiger als je zuvor.

Volle Wartezimmer beim Psychotherapeuten

In diesem Moment fliegt die Tür auf, aber es ist nur die Küsterin. Als die Türe wieder ins Schoss fällt, sagt der Pfarrer: "Eigenartigerweise war ich nie neugierig." Gut, man könnte sich die Leute schon einprägen. Aber er hat da so eine heilige Vergesslichkeit. Er sitzt ja vor den Sündern, als wäre es ein Spiegel: Genau das sind auch meine Schwächen, denkt er sich.

Schickt er Menschen auch zur Therapie? "Natürlich, das passiert immer wieder." Auch wenn er weiß, dass die Sprechzimmer der Psychotherapeuten längst voll sind, die Beichtstühle und Beichtzimmer dafür leer. Er hört die Menschen mit ihrer Therapieerfahrung prahlen, als wären es Kriegsverletzungen.

Wie auf einer Couch

Wer keinen Therapeuten hat, bekennt im Internet. Promis gleich im Fernsehen. Manchmal wünscht sich der Pfarrer, dass auch der Therapeut mal zu einem sagt: "Wir können noch vier, fünf Sitzungen machen, aber ich gebe Ihnen einen Rat: Gehen Sie zur Beichte." Doch gekommen ist noch niemand.

Eine Frau kam zu ihm und sagte, sie käme gerade vom Jakobsweg. Als Nächstes wollte sie mit der besten Freundin sprechen, vier Wochen Meditation seien geplant, Therapie. Dann erzählte sie dem Pfarrer von ihrem Leben, als säße sie auf einer Couch.

"Früher habe ich noch die Fäden gezogen aus dem Lebensknäuel", sagt der Pfarrer. Was genau läuft schlecht in Ihrer Ehe? Das macht er kaum noch. Zur Frau sagte er am Ende: "Sie haben jetzt Ihre ganzen Nöte aufgezeigt. Gehen Sie Ihre Mitmenschen durch: Um wen könnten Sie sich mal kümmern?" Arndt versucht, die Menschen wegzulocken von sich selbst.

Zahnpflege statt Seelenheil

In den Eingeweiden des Doms verschließt jetzt die Küsterin geräuschvoll alle Türen. Es ist spät. Aber Pfarrer Arndt beugt sich vor auf seinem knarzenden Klappstuhl, nicht mehr brummig-zart ist seine Stimme, sie ist laut, Predigt-Modus: "Die Leute gehen zu viele Umwege, sie denken andauernd über sich nach."

Die Menschen gehen zwei Mal im Jahr zum Zahnarzt. Zahnstein entfernen lassen, Zwischenräume reinigen, damit die Wurzel nicht angegriffen wird. "Wieso gilt das nicht auch für das Seelenheil?", fragt Arndt. Wieso nicht kurz mal beichten und wieder raus ins Leben mit diesem Gefühl von Schwerelosigkeit?

"Es wäre ja so einfach", sagt der Pfarrer im Erfurter Dom, hinter einem dunklen Holztürchen, im Hauptportal, gleich links. Man könnte in fünf Minuten seine Sünden bei ihm abladen, bis der Pfarrer schließlich sagt: "Gibt's noch was? Ansonsten würde ich das gerne so stehen lassen." Dann spricht er einen los. Schluss. Aus. Amen.

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