Badezimmer-Geschichte:Clash der Körperkulturen

Die Nasszelle war gestern. Wer heute etwas auf sich hält, badet sich und seine Seele im hauseigenen Spa.

Lisa Spitz

Als der Krieg aus war und die Männer heimkehrten, nahmen sie als Erstes ein heißes Bad. Das klingt unzulässig harmlos, weil die noch einmal Davongekommenen existenziellere Sorgen quälten; aber das Bad galt als quasi ritueller Wiedereintritt in die Zivilisation. Der Wahrheitsgehalt solcher immer wieder erzählten Episoden ließ sich lange Zeit belegen, denn in den meisten Haushalten gab es kein Badezimmer.

In den Arbeiterhäusern verwahrte man im Keller eine Zinkbadewanne, die bei Bedarf in die Küche bugsiert wurde. Die Wanne hatte die Abmessungen 68 x 175 Zentimeter. So steht es in der 1949 erschienenen ,,Bauentwurfslehre'' von Ernst Neufert, 12. Auflage. Also auch hier keine Stunde Null! Zur Vorbereitung des Familienbads wurde auf allen Öfen und Herden Wasser erhitzt, die Kinder hat man vorab in einem Zinkwännchen abgeschrubbt, danach die Küchentür verriegelt, und die Erwachsenen stiegen in vereinbarter Reihenfolge in die warme Seifenbrühe.

Wenn Vater später das Badewasser eimerweise zum Seiher in den Hof schleppte, erzählte er gerne von den alten Römern. Die hatten, das muss man sich mal vorstellen, schon 2000 Jahre vor uns Badeanlagen, groß wie Fußballstadien, mit unzähligen Zubern und Mulden, voll mit Wasser unterschiedlicher Temperaturen. Die Ziegelböden waren als Hypokausten ausgebildet, ebenso die Wände. Es war rundherum warm, junge Sklavinnen warteten aufmerksam...

Wem es in den fünfziger Jahren schon etwas besser ging, hatte sich in der Waschküche eine Wanne aus Gusseisen oder Feuerton aufgestellt. Ein Kohlebadeofen oder sogar ein Durchlauferhitzer in der Größe und mit der Geräuschentwicklung eines Düsentriebwerks lieferte heißes Wasser. Nicht auszuschließen, dass es das alles bald wieder bei Manufactum zu kaufen gibt.

Als einzige Waschgelegenheit diente das Spülbecken in der Küche, darüber ein weißer Spiegelschrank für Rasierzeug, Kamm, Zahnbürsten, eine Dose Nivea und vielleicht ein Fläschchen 4711. Das reichte für einen Vier-Personen-Haushalt. Der Abort lag außerhalb der Wohnung, bei Siedlungshäusern irgendwo zwischen Schuppen und Hühnerstall, bei städtischen Mietshäusern war eine Gemeinschaftstoilette mit Wasserspülung neben dem Eingang oder auf dem Treppenpodest eingerichtet.

Aber schon mit den ersten Signalen des Wirtschaftswunders wurden richtige Bäder gebaut. Auf dem Dorf kannte man einen Spengler, der die Sanitärobjekte anschließen konnte, und einen Gipser zum ,,Plätteln''. Baumärkte für die erst später absatzsichernde Spezies der Heimwerker gab es noch nicht. Vor allem war man noch froh um einen verchromten Wasserhahn und brauchte keinen Wegweiser durch die Bäderstraße des Baumarkts, wo heute Myriaden von Mischern, Batterien, Brausen in allen Farben und Formen, oft mit rätselhafter Kipp-Dreh-Drück-Mimik für das heimische Erlebnisbad funkeln.

Immerhin tauchten schon Ende der fünfziger Jahre die ersten Edelausstattungen auf. Von Design sprach niemand. Aber wenn die halbwüchsige Tochter im rosa gefliesten Bad mit dem verruchten schwarzen Waschbecken sich die Haare blondierte, dann war schon ein Hauch von Hollywood in Wattenscheid zu spüren. Jetzt konnte es ja nur bergauf gehen. Dass sie später in ihrer WG die Klotür aushängen würde, um sich gegen die repressive bürgerliche Sexualmoral zu wehren, hätten sich die Eltern nicht träumen lassen.

Clash der Körperkulturen

Nasszelle ade

Richtig ist daran, dass das Bad nicht nur der hermetische Ort für Ausscheidungs- und Reinigungsvorgänge ist, sondern auch Rückschlüsse auf den Stand des gesellschaftlichen Intimlebens zulässt. Das Doppelwaschbecken und das Bidet waren erste, therapeutisch anmutende Erfindungen der Sanitärbranche, die inzwischen von voluminösen Wannen, ausreichend für zwei bis drei Erwachsene übertroffen werden. Wie bei allen soziologischen Veränderungen kommen bei der gerade stattfindenden Neuerfindung des Badezimmers verschiedene Bedingungen zusammen.

Nachdem alle Räume des Hauses ihre besondere Zuwendung erfahren haben - im Zentrum die Küche, die sich in Etappen zu einem Werkraum für genussmittelnahe Verfahrenstechnik entwickelt hat -, durfte das Bad nicht länger zurückbleiben. Beauty und Wellness hießen die Leitbegriffe in den Frauen- und Lifestylemagazinen, während die Krankenkassen Ratschläge zum Stressabbau erteilten und die Reformhäuser ihre neuen Additive für entspannende Körperpflege empfahlen.

Die öffentlichen Badeanstalten hatten es vorgemacht, wie sich kalte Sportbäder und kassenärztlich anerkannte Wasserkureinrichtungen zu Erlebnis-Tempelanlagen verwandeln konnten. Hatte vor einigen Jahren ein laues Wasser im Boden noch den Wert einer Ölquelle, so verwandelten sich viele Badeorte nach dem Versiegen der großzügigen Kurmittelzuschüsse in Wellness-Oasen. Aus den entferntesten Winkeln der Welt eingesammelte Anregungen lösten die klassische Balneo- und Hydrotherapie ab.

Maghreb, Karelien, Nippon und Tirol brachten uns den lustvollen Clash der Körperkulturen. Huntington fürs Bad! Sauna war gestern, jetzt wurde, um die ,,Mysterien des Selbst'' zu finden, Wasser in allen erdenklichen Aggregatzuständen angeboten. Massagetechniken, die sonst nur in Dominastudios praktiziert werden, applizieren Sahne, Honig und Schokolade auf die sensiblen Körperpartien, gerne auch heiße Steine ,,bis zur völligen Entspannung''. Thalasso und Shiatsu werden von den Erquickung Suchenden konsumiert wie Risotto und Sushi.

Da war es nur noch ein kleiner Schritt zum ,,täglichen Wellness-Urlaub'', wie es in der Werbung für ein Duschsystem heißt. Das heimische Bad ist zum Experimentierfeld abgesteckt. Statt Normfliesenraster bieten Architekten jetzt neben obligatem Glas und Edelstahl samtigen Sichtbeton, edlen Terrazzo oder gemütliche Schiffsdielen als Oberflächen. Was an Ausstattungsvarianten mit im Zimmer freistehenden Wannen und gläsernen Duschvitrinen möglich ist, hat man in den geschmacksbildend bemusterten Design-Hotels lernen können. Auch die altarähnlich präsentierte Salatschüssel als Waschbecken kennen wir von dort.

Deshalb darf man auch nicht mehr ,,Nasszelle'' sagen, das ist für Peter Joehnk ,,der größte Irrtum der Innenarchitektur in der Nachkriegszeit. Übrigens: Laut einer Emnid-Umfrage ist Hotelgästen ein ordentliches Bad wichtiger als ein bequemes Bett. Auch dafür werden neue Materialien riskiert. Und Formen. Holz mit Glas, kastenartig verklebt, dient zur Wasseraufnahme, aber auch Beton- und Steinkästen in der Form flacher Aktentaschen, falls nicht nur eine Glasscheibe mit umlaufender Fuge das Becken ersetzt. Dazu gehört eine endlose Dramaturgie, wie Wasser aus der Wand rinnen, speien, fluten, schwallen soll. Duschköpfe, groß wie Bratpfannen, beregnen unsere Leiber oder schneiden in sie wie Hochdruckreiniger.

Ein Narr, wer glaubt, das ließe sich alles billig zusammenbiegen. Fünf Jahre dauert die Entwicklung einer neuen Produktlinie. Allein um den Abstand zwischen Oberkante Griff und Unterkante Auslauf einer Armatur ästhetisch zu bewältigen, ihre Tiefenwirkung und die Lichtreflexion der gewölbten und geraden Flächen, das entspricht dem Karosserieschneider eines Sportwagens, verrät ein Designexperte.

Dass wir in dem Moment die Lust am Wasser entdecken, wo 1,2 Milliarden Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser leben und 2,7 Milliarden ohne Abwasserentsorgung auskommen müssen, darf uns nicht aufhalten. Wir dürfen nicht weniger Wasser verbrauchen, weil sonst bei schwindenden Einwohnern die Klärwerke nicht mehr funktionieren. Global gesehen interessieren uns vor allem die Chinesen. Was werden wir ihnen verkaufen, wenn sie alle ein Auto haben? Badezimmer!

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