Autobiographie:Affäre Wedel - "Du kleiner Fernseharsch"

Warum verfilmt Dieter Wedel nicht mal sein Leben? Wir hätten da ein paar Vorschläge für die schönsten Szenen von "Wedel: Der Film".

Hans-Jürgen Jakobs

Der Meister hat viele Ideen. Wenn etwas Großes passiert auf der Welt, bringt Dieter Wedel, 70, eine Verfilmung ins Spiel. Vor dem lockigen Mann mit großer Brille war in den letzten Jahrzehnten nichts sicher, weder die Kalamitäten beim Hausbau wie bei den Semmelings, noch Schiebereien beim Zoll ("Schwarz-Rot-Gold"), Machtkämpfe in der Wirtschaft ("Der große Bellheim"), Mafia-Strukturen ("Der Schattenmann") oder politische Intrigen ("Die Affäre Semmeling").

Autobiographie: Er übersprang die Grundschule, schrieb mit 14 sein erstes Drama und erkannte schon früh, dass man sich am besten mit mehreren Frauen gleichzeitig umgibt: Das Leben von Dieter Wedel bietet ausreichend Stoff für einen Film.

Er übersprang die Grundschule, schrieb mit 14 sein erstes Drama und erkannte schon früh, dass man sich am besten mit mehreren Frauen gleichzeitig umgibt: Das Leben von Dieter Wedel bietet ausreichend Stoff für einen Film.

(Foto: Foto: ddp)

Jetzt kommt sein neuestes Werk ins Fernsehen, eine Abrechnung mit dem Finanzbetrüger Jürgen Harksen und Seinesgleichen ("Gier"). Und jeder fragt sich, was der Regisseur wohl als Nächstes plant, schließlich fand er sogar ein TV-Stück über Horst Seehofer und die CSU spannend. Oder redet von einer modernen Version des "Jud Süß", einem Stück über August den Starken und Gräfin Kosel, über eine Mallorca-Komödie, den letzten Staatszirkus der DDR, die Inflation in den zwanziger Jahren und die VW-Affäre.

Die Antwort auf das Rätsel des neuen Werks liegt im Autor selbst: Dieter Wedel hat dankenswerterweise gerade bei Lübbe seine Autobiographie veröffentlicht ("Vom schönen Schein und wirklichen Leben"). Nach dem Lesen dieses Œuvres kann es nur eine Antwort auf die Frage aller Fragen geben: Der nächste Wedel muss ein Wedel sein. Dieses 540-Seiten-Buch muss ins Fernsehen. Der beste Plot Dieter Wedels ist: Dieter Wedel selbst.

Zehn Gründe und Szenen, warum das so ist.

Erstens: Bescheidenheit ist keine Zier.

Der Künstler Wedel zitiert vorweg gleich einmal sich selbst mit der eigens geschöpften Weisheit, wonach man vermutlich Filme macht, "weil man sich nach etwas Unerfüllbarem sehnt, weil man an einem kaum gedachten, nie ausgesprochenen Heimweh krankt". An Heimweh nach Wedel soll keiner kranken. Deshalb hat Wedels Ko-Autorin Claudia Thesenfitz ("Willst Du mit mir gehen?") natürlich recht mit der Beobachtung vom "Regisseur als Medienstar". Sie hält fest: "Der Name Dieter Wedel ist viel auf Papier gedruckt worden." Auch online scheint er allgegenwärtig zu sein. Und mit einem einzigen Tatort ("Ein ganz gewöhnlicher Mord") hat er 1973 sagenhafte 27,4 Millionen Zuschauer erreicht.

Zweitens: Der wahre Held zeigt sich schon in der Jugend.

Was wird aus einem, der Sonntagmittag um zwei geboren wird, gerade als die Sonne einmal im herbstlichen Wolkenhimmel auftaucht? So erblicken Stars das Licht der Welt. Die Mutter, eine Konzertpianistin (Ada Stroh alias Ada Torana); der Vater, ein Geschäftsmann, der nach dem Krieg eine Lederwarenfabrik in Offenbach kauft; die Kindheit: behütet im hessischen Bad Nauheim, jedoch oft durch Krankheiten belastet. Ein Jahr lang wird Wedel wegen Tuberkulose im Taunus in ein Dorfhotel einquartiert und dort von einem Lehrer geschult - danach geht er direkt aufs Gymnasium und überspringt die Grundschule komplett. Was für ein Start für "Wedel: Der Film"!

Natürlich gewinnt er als Jugendlicher mit seiner Partnerin Tanzturniere und inszeniert mit zwölf die Weihnachtsgeschichte an der Schule. Mit 14 schreibt er das Drama "Massada" und bekommt einen ersten Tobsuchtsanfall, weil die armen Klassenkameraden lieber mit der elektrischen Eisenbahn spielen, anstatt Rollen zu lernen. Er liest viel und kann deshalb noch heute die Monologe von Hamlet auswendig. Im Tennis ist Wedel ein richtiges Ass ("Meine Vorhand war ganz schön hart") und gewinnt meistens. Später wird er Tennistrainer und verhilft Prominenten wie Rudolf Schock zur besseren Vorhand.

Es regnet oft im Taunus, aber Dieter Wedel, der Held, ist von Sonnenstrahlen umgeben. Leider stirbt der Vater 1957 beim Betreten des Schlosshotels in Kronberg. Mit 17 hat Wedel sein Abitur und geht nach Berlin zum Theater.

Auf der nächsten Seite: Die "Affäre Wedel": Schon früh übt er sich in seinem liebsten Spiel: Frauen aufreißen. Die Szene drei.

Die Leiden des jungen W.

Drittens: Das schönste Spiel heißt: Cherchez la femme!

Autobiographie: Dieter Wedel - ein Grenzgänger zwischen Fiktion und Fakt. Womit das Hauptmotiv des Wedel-Wedel-Films feststeht.

Dieter Wedel - ein Grenzgänger zwischen Fiktion und Fakt. Womit das Hauptmotiv des Wedel-Wedel-Films feststeht.

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Liebe ist Leben und Arbeit ist Liebe, lehrt Dieter Wedel: "Frauen versuchen, den Regisseur mit ihrem Spiel und ihrer Weiblichkeit zu verführen. Manchmal vermischt sich beides ununterscheidbar", weiß der Filmemacher. Wie leicht kann sich der hinter der Kamera in die Frau vor der Kamera verlieben! Diese Grenzgängerei zwischen Fiktion und Fakt ist ein Hauptmotiv des Wedel-Wedel-Films.

Es sind Szenen wie bei François Truffauts "Der Mann, die die Frauen liebte". "Sie war eine schöne, hochgewachsene Frau mit strahlenden Augen, einem breiten, sinnlichen Mund, einer blendenden Figur und langen blonden Haaren." Als Wedel 19 ist und Theater macht, gibt er eine Rolle sofort dieser bewunderten 29-Jährigen. Sie ist typisch für sein Beuteschema. "War sie noch anfangs in der Liebe meine geduldige Lehrmeisterin gewesen, meinte ich bald mit glücklichem Stolz ihre wachsende Abhängigkeit von mir zu spüren", schreibt Wedel über Johanna, die leider verheiratet ist, woraufhin er zwei Röhrchen Schlaftabletten schluckt.

Nach den Leiden des jungen W. beginnt er, "eine neue Spielart auszuprobieren: Mädchen aufreißen". Wedel wörtlich: "Von nun an hatte ich immer zwei, drei, manchmal auch vier Freundinnen gleichzeitig. Ließ mich eine fallen, waren immer noch genug da, um mich aufzufangen." Diese Szenen von "Wedel: Der Film" müssen in künstlichem Licht, wie im Schlaraffenland, inszeniert werden.

Nicht nur Johanna erwartet ein Kind, sondern gleichzeitig auch die reiche Tochter aus einer Schuhfabrik-Dynasie. Wedel begreift früh, "wie viel man bei Frauen erreichen kann, wenn man sie zum Lachen bringt". Insgesamt wird er es noch zu vier weiteren Kindern bringen.

Als er Jahre später das Bergdrama "Eger" verfilmte, ist es die "sehr hübsche, blonde Schweizer Assistentin, die sich in den kalten Nächten im Zelt bemühte, mich etwas aufzuwärmen". Üblicherweise aber sind es Schauspielerinnen wie Monika, die Frau eines berühmten, zwischen Ost und West pendelnden Schauspielers, oder Herlinde oder die Polin Barbara, denen er sich nähert. Es folgt der Theaterstar Sylvia Manias, "ein verlockendes, erotisches Geheimnis", eine Schauspielerin, die jung bei einem Autounfall stirbt.

Weitere Frauen kommen vor, Ingrid Steeger beispielsweise, bei "Klimbim" als Ulknudel bekanntgeworden. "Innerhalb kürzester Zeit wurden wir ein Paar", erklärt Wedel, und das für drei Jahre: "Sie hatte ein unübersehbares Bedürfnis nach beschützender Freundschaft und nicht die geringste Vorstellung vom Wert des Geldes." Sie schenkt ihm in Los Angeles eine Pelzjacke für 10.000 Dollar. Steeger habe immerfort von ihrer unglücklichen Kindheit erzählt ("Irgendetwas erstickte in ihr"), sie sei "das Geschöpf des verstorbenen Regisseurs Michael Pfleghar" gewesen, "der sie auch im Tod nicht losließ". Beim "großen Bellheim" spielt sie noch mit, doch ihr Absturz ist für Wedel tragisch: "Ingrid ist inzwischen fast vergessen."

Auf der nächsten Seite: Der Casus Stemberger, warum Fernsehkritik im Fernsehen gut ankommt - und was Wedel mit Leitkultur zu tun hat. Die Szenen vier und fünf.

Alle lieben Wedel

Autobiographie: Uschi Wolters, die Frau mit dem Ohrring: Wedel lernte sie im Alter von 26 Jahren kennen und lebt noch heute mit ihr zusammen.

Uschi Wolters, die Frau mit dem Ohrring: Wedel lernte sie im Alter von 26 Jahren kennen und lebt noch heute mit ihr zusammen.

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Fatal wird die Beziehung zur Wienerin Julia Stemberger während der chaotischen Dreharbeiten zum Fünfteiler "König von St. Pauli": Er fühlt sich wie Professor Higgins bei Eliza in "My Fair Lady". "Was ist jetzt eigentlich mit uns beiden?", flüstert sie, entfremdet ihn vom Team, heiratet überraschend in Wien ihren Freund und flüstert, als erste gute Kritiken kommen und ihr angeblich eine Goldene Kamera zukommt: "So, jetzt brauche ich dich nicht mehr." Antwort: "Wenn du dich da mal nicht täuschst." Irgendwann hält sie dann ein Brotmesser in der Hand.

Wedel bilanziert über den Casus Stemberger, es habe eine "sexuelle Irritation" über dem Set gelegen: "In Wahrheit spielte sie Erotik, satt erotisch zu sein." Tritt fasst er erst, als er die Tänzerin und Schauspielerin Dominique Voland kennenlernt, mit der er heute zusammenlebt und ein Kind hat. Beschreibung: "Eine zarte, verletzlich wirkende Frau, ein bisschen Typ Michelle Pfeiffer - also ganz mein Typ!" Mit ihr kauft er eine Wohnung auf Mallorca, was Friede Springer empfiehlt.

Er sei Frauen gegenüber "eher schüchtern", sagt Wedel, nie habe er eine Frau angemacht. Aber es gab ja "einen sicheren Trick", Frauen zu begeistern: einfach reden lassen und hin und wieder bewundernde Laute einstreuen. Sein Motto: "Abwarten können zahlt sich aus. Ein guter Jäger wartet."

Viertens: Man muss mit der Wahrheit kokettieren.

Dieter Wedel kann mit seinem Ruhm umgehen, das macht ihn für ein großes Publikum sympathisch. "Ich bin ehrgeizig und eitel, aber nicht selbstverliebt." Er habe nie zu den Berühmtheiten gezählt, sei aber "bekannt" und bleibe in Erinnerung. Natürlich hat Wedel nicht "gegen das Image vom feuerspeienden Tyrannen am Drehort, vom diktatorischen Schleifer, vom Frauen-Aufreißer angekämpft". Wie auch: So lieben alle Wedel. So muss es auch in "Wedel: Der Film" sein.

Fünftens: Im Fernsehen kommt Fernsehkritik gut an.

Der Mann ist selbstkritisch genug gegenüber dem Medium, für das er arbeitet. Er packt aus. So redet Wedel vom "Programmbrei, der allabendlich aus sämtlichen Fernsehkanälen quillt". Quote dürfe kein Maßstab sein, werde es aber immer mehr. Und: "Eine solche Verflachung des Fernsehens, bei der leider auch die Öffentlich-Rechtlichen mitmachen, hätte ich nie für möglich gehalten." Das ganze Land sei "auf einer merkwürdigen Flucht vor der Wirklichkeit". Besonders die Programmverantwortlichen kritisiert er: "Sie unterschätzen ihr Publikum - wenn jemand zu faul zum Kauen ist, darf man ihm nicht nur Breichen geben."

Das geht auch an ARD und ZDF, was die Zuschauer interessieren dürfte. "Die Gebührenfinanzierten sollten mehr bieten: So etwas wie 'Leitkultur' für eine Gesellschaft, die ihre Mitte zu verloren zu haben scheint. Sie sollten nicht dem schlechten Geschmack hinterherlaufen, sondern dem guten vorangehen."

Wedel wird in einer Zeit groß, als Qualität zählt. Bei Radio Bremen ist er dafür zuständig, für Hör- und Schulfunk Geräuschbänder zusammenzustellen. Dann lernt er den berühmten Egon Monk kennen, den Fernsehspiel-Chef des NDR, der kurzzeitig Intendant des Hamburger Schauspielhauses ist. Wedel ist viele Jahre später entsetzt, wie der im Rollstuhl sitzende Monk bei einer Branchenveranstaltung ignoriert wird. Der Jung-Regisseur begreift, "wie gedanken- und respektlos die Senderapparate mit Personen, die für das Fernsehen Großes geleistet haben, umgehen." Ähnliches habe er bei Bernhard Wicki empfunden - Ähnliches fürchtet er womöglich für sich selbst.

Im NDR wird Wedel zum Liebling des Drehbuchpapstes Dieter Meichsner, seinem "Ersatzvater". Wedel dominiert ihn beim Tennis. Später verkrachen sie sich. Wedel wird zu gut, zu eigenmächtig. Wedel über das Fernsehen vor 30 Jahren: "Es war noch nicht zur drögen Zeit-totschlag-Maschinerie von heute verkommen, sondern bemühte sich um Aufklärung, um Bewältigung von Gegenwartsproblemen." Das sei anders als im Kino gewesen - heute jedoch sei es gerade anders herum. Oberster Lehrsatz Meichsners ist ein Spruch Fontanes: "Es ist besser zu finden, als zu erfinden."

Beim NDR hat er mit 26 seine erste Regiearbeit und lernt die Mitarbeiterin Uschi Wolters kennen, mit der er heute noch, neben Dominique, zusammenlebt. Uschi wird die Frau sein, die just ihren Ohrring verliert, als Wedel vom Bundespräsidenten Roman Herzog mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wird. "Wir plauderten eine Weile. Als sich Herzog schließlich entfernte, war der Ohring unter seinem Gewicht zermalmt." Der zermalmende Bundespräsident darf in "Wedel: Der Film" keinesfalls fehlen.

Auf der nächsten Seite: Was Dieter Wedel mit der Pudelnummer zu tun hat, und was er von Gerhard Schröders Schauspieltalent hält. Die Szenen sechs bis acht.

Pudel und Politik

Autobiographie: Wedel und die Pudelfrisur: Ihm gefällt's.

Wedel und die Pudelfrisur: Ihm gefällt's.

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Sechstens: Charakter zählt.

Dieter Wedel hasst es, wenn man ihn umarmt, und das merkt man auch. Er bezeichnet sich als "zurückhaltend, vielleicht verschlossen - nicht arrogant". Schreiben wiederum sei für ihn "Hand-Werk", nur mit dem Füller und Kuli möglich: "Erst wenn ich den Text mit der Hand aufschreibe, kann ich beurteilen, ob er lebt oder nach Papier klingt."

Siebtens: Der Hund ist der beste Freund.

Es gab Drolly, den Foxterrier vom Papa. Und dann kam Pudel auf Pudel: Andy, Buffy, Billy, zwischendurch Dackel Karlchen vor dem sicheren Tod auf Mallorca gerettet, und schließlich Pudel Willy. Als die Presse einmal über die Pudelfrisur Wedels witzelt, freut ihn das. Immer wieder müssen Pudel in "Wedel: Der Film" auftauchen, auf seinem Arm oder am Regiestuhl.

Auch die "Wedel-Familie" am Set liebt die Pudelnummer, all die Schauspieler, die der Meister immer wieder geholt hat, all die Häckermann, Lichtenhahn, Hagen, Kurt, Hoenig, Majanow und so weiter. Nur Heinz Schenk passt nicht dazu, der hesselnde Biederwirt aus dem "Blauen Bock", er habe Minderwertigkeitskomplexe gegenüber den anderen.

Achtens: Politik ist eine gefährliche Zone.

Noch in jungen Jahren glaubt Dieter Wedel an den Sozialismus, doch dann reist er für den Film "Gedenktag" (1970) in die DDR, lernt die graue Trostlosigkeit Leipzigs kennen und ist entsetzt über Bitterfeld. Von da an ist Sozialismus für ihn etwas, was intellektuell Verblendete schick finden. Er begreift: "Gegen den Strom zu schwimmen gehört zu unserem Beruf, auch wenn das Wasser, das man dabei schlucken muss, dreckig ist."

Später lernt er, dass man Politiker einbinden muss, und so bekommt der Sozialdemokrat Gerhard Schröder, der damals als Ministerpräsident in Hannover den demokatischen Sozialismus noch nicht ganz hinter sich hat, eine kurze Gastrolle in "Der große Bellheim". Der Gast braucht statt geplanter anderthalb Stunden ganze sechs Stunden und überzeugt den Regisseur: "Schröder erwies sich als sehr begabter Schauspieler mit großer Bildschirmpräsenz und erledigte seine Aufgabe, wie nicht anders zu erwarten, hochprofessionell."

Als Schröder 1998 um die Kanzlerschaft kämpft, trifft Wedel ihn erneut bei Recherchen für seinen Film "Die Affäre Semmeling". Schröder erklärt ihm mit Ehefrau Doris das Wesen der politischen Karriere: Man scheitere seltener am politischen Gegner als an den eigenen Parteifreunden. Die Macht hätten immer die anderen. Womöglich, so Schröder, habe ein Regisseur am Drehort mehr Macht, denn er benötige keine Mehrheiten. Wedel widerspricht nicht.

Wedel lernt auch von Ex-Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann, dass Politker unter der Borniertheit von Wirtschaftschefs leiden. Bestelle man sich in einer großen Runde eine Flasche Wein oder Champagner, so der verstorbene FDP-Politiker, "dann winkten die Herren Unternehmer gleich ab: 'Nee, nee, Herr Minister, lassen Sie mal. Das können Sie sich doch gar nicht leisten.'"

Auch Helmut Kohl imponiert Wedel, der ja dessen Leben verfilmen soll (auch das!). "Seine listigen, flinken Augen verrieten hinter seinem bräsigen Gehabe einen überaus scharfen, schnellen Verstand." Kohl amüsiert sich, was für ein Schwächling Wedel doch sei, weil er sechs oder sieben Wochen Medienattacken nicht aushalte, wo ihm das doch über 16 Jahre Kanzlerschaft hinweg gelungen sei. Kohl und Schröder müssen bei "Wedel: Der Film" dabei sein, nur Möllemann ist leider tot.

Auf der nächsten Seite: Warum Manie krank macht, und was Mario Adorf mit Wedels Erfolg zu tun hat. Die Szenen neun und zehn.

Wenn Mario Adorf böse wird

Autobiographie: Da waren sie noch nett zueinander: Dieter Wedel und Mario Adorf bei der Premiere des ZDF-Sechsteilers "Die Affäre Semmeling" im Hamburger Rathaus, 2001.

Da waren sie noch nett zueinander: Dieter Wedel und Mario Adorf bei der Premiere des ZDF-Sechsteilers "Die Affäre Semmeling" im Hamburger Rathaus, 2001.

(Foto: Foto: dpa)

Neuntens: Nur der Kraftvolle ist manisch.

Filmerei ist nicht gesund, erkennt Wedel. "Wenn ich drehe, leide ich unter Schlaflosigkeit." Einmal beschreibt der Künstler, wie die beiden Hauptdarstellerinnen von "Einmal im Leben" glücklicherweise abwechselnd versuchen, "mich über die schlaflosen Nachtstunden hinwegzutrösten". Die Beziehung zu Dagmar Berghoff, der späteren "Tagesschau"-Sprecherin, erweist sich als dauerhafter - "aber die versteckte Eifersucht der beiden Frauen kam den Filmszenen zugute, in denen sie sich gegenseitig eifersüchtig belauern sollten".

Als die Manie mit den Frauen zu groß wird, schreibt er einmal "Bekenntnisse eines hässlichen Mädchens": Eine wenig attraktive Frau freut sich darauf, 40 und älter zu werden, damit sie mit den Hübschen gleichziehen wird. Insgeheim träumt er von einem großen Theaterengagement, hat er doch schon in jungen Jahren als Leiter der Berliner Studentenbühne mit Kotzebues Satire "Die deutschen Kleinstädter" großen Erfolg.

Einmal, bei der "Affäre Semmeling", springt der manische Regisseur spontan während der Dreharbeiten vom hohen Kamerapodest - und kommt unglücklich auf dem Kopfsteinpflaster auf. Der Hüftkopf ist abgebrochen, doch Wedel verweigert sich der Operation, nimmt Tabletten, hinkt ein Jahr und stellt unter großen Schmerzen den Film fertig.

Wie sagt der Titelheld: "Man muss sich in diesem Beruf immer wieder neu erfinden. Oder man verschwindet."

Zehntens: Wer das Bild hat, hat die Macht.

Den Erfolg seiner besten Werke "Der große Bellheim" und "Der Schattenmann" hat Wedel auch einem Star des Gewerbes zu verdanken: Mario Adorf. Der Schauspieler gehört zu den Mitinitiatoren der Nibelungen-Festspiele in der Nibelungenstadt Worms - und damit schleicht sich das Prinzip Schwertkampf ins Leben des Regie-Allgewaltigen Wedel.

Am Anfang ist noch alles Sonnenschein, Wedel wird als Regisseur für das Wormser Stück gewonnen und das aufzeichnende ZDF rettet im letzten Moment mit dem eigenen wunderbaren Technik-Equipment die Aufführung. Doch dann muckt sich Mario Adorf, der sich angeblich schon bei der Premiere dagegen verwahrt, dass sich die Schauspieler einzeln verbeugen sollen, wie Wedel ätzt: "Fürchtete er, die anderen könnten mehr Beifall bekommen?"

So ist das Theater, immer geht es um den meisten Beifall, und das Fernsehen ist nicht viel anders. Nach einer weiteren Aufführung beschwert sich Adorf, das Licht sei schlecht gewesen: "Hatten die Leute heute Abend nicht ein Anrecht auf korrektes Licht?", brüllt er: "Scheiß doch auf das Fernsehen!" Irgendwann sagt Wedel: "Weißt du was, Mario, leck mich am Arsch!" Und Adorf erwidert mit kippender Stimme: "Weißt du, was du bist? Ein kleiner Fernseharsch! Nichts weiter als ein kleiner Fernseharsch!"

Mit diesem Dialog endet "Wedel: Der Film". Adorf muss natürlich selbst sprechen.

PS Dieter Wedel darf in den Jahren darauf, sehr zum Kummer von Adorf und der Festspiel-Initiatoren, sogar als Intendant in Worms wirken. Und das ist wirklich ziemlich viel für einen "kleinen Fernseharsch".

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