Auflösungserscheinungen:Schatz am blinden Auge

Eine Woche hat es gedauert, dann war das Osterei aufgespürt: Bei der Lösung SZ-Osterrätsels halfen Dominosteine, eine Breze und der Zephyr.

Von Oliver Rezec

Auf dem Weg zum Osterei, das irgendwo in Deutschland versteckt lag, waren die sieben Rätselfragen (siehe links) nur der Anfang. Wo genau die Schatzsuche ihren Ausgangspunkt nehmen würde, das verrieten die vierzehn Siegel, die an den Fragen hingen. Folgende Wörter waren darauf zu lesen: herd, bein, anmut, sehen, trute, stunde, henne, nach, eis, imme, tundra, ring, beifall, emu.

In jedem davon sollte nun ein Buchstabe ausgetauscht oder gelöscht werden, mithilfe der sieben Rätselantworten und der Hilfstabelle. Die Fragmente, die so entstanden, sahen verdächtig nach Bruchstücken eines neuen Texts aus: derd, sein, nmut, uehen, tgute, stundt, denne, nsch, ais, inme, tundha, rink, beiall, emm.

Richtig sortiert, fügten sie sich zu einem unvollständigen Satz: "Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen . . ." Es ist ein Bibelvers in der Übersetzung Martin Luthers, nämlich Vers 3,13 aus dem Buch Prediger Salomo (in anderen Übersetzungen Kohelet genannt). Bei Luther geht der Satz weiter: ". . . das ist eine Gabe Gottes."

Das war alles, was das Rätsel zunächst preisgab - und das sollte eine Ortsangabe sein? Schwer vorstellbar, denn einen Ort, der "Gabe Gottes" heißt, wird es in Deutschland ja wohl kaum geben.

Es gibt sogar mehrere. "Das ist eine Gabe Gottes!", soll ein Bergarbeiter im thüringisch-bayerischen Grenzgebiet ausgerufen haben, als er nach langer, erfolgloser Suche auf einen Blaustein stieß. Jedenfalls geht so die Sage, die erklärt, woher die kleine Siedlung Gabe Gottes bei Probstzella ihren Namen hat. Nicht nur dort betrachtete man Bodenschätze einst als Gabe Gottes: Auch einige Zechen in Nordrhein-Westfalen und Sachsen tragen diesen Namen. Um eindeutig zu machen, dass die kleine Siedlung bei Probstzella der richtige Startpunkt war, zeigte die Schatzkarte ihre Lage in Bezug auf zwei verschlüsselt dargestellte Nachbarorte (1). "Hier bist du richtig", versprach die Karte.

Diese Gegend hier ist wie gemacht für eine Schatzsuche. Durch ein enges Tal des Thüringer Schiefergebirges zwängen sich die Loquitz, die "Bier- und Burgenstraße" sowie die Gleise der Bahnstrecke von Bamberg nach Jena. Seit den 1760er-Jahren verarbeitete man in Gabe Gottes Eisenerz, später den Schiefer aus den Bergen ringsum. Nach dem Krieg wurde der Siedlung ihre Nähe zur bayerischen Landesgrenze zum Verhängnis: Sie lag in der Fünf-Kilometer-Sperrzone der DDR, was Besuche und Reisen weitgehend unterband.

Auflösungserscheinungen: Nicolas Fournier und Oliver Tischner aus München haben das Rätsel geknackt und das Osterei aufgespürt.

Nicolas Fournier und Oliver Tischner aus München haben das Rätsel geknackt und das Osterei aufgespürt.

(Foto: privat)

Heute sind viele der alten Häuser im Verfall begriffen. Kaum mehr als 50 Menschen leben noch hier, seit einigen Jahren hält auch kein Zug mehr in Gabe Gottes. Benannt war der Haltepunkt ohnehin nicht nach dem kleinen Weiler, sondern nach dem Nachbarort Marktgölitz, zu dem Gabe Gottes gehört. So ist es auf der verwitterten Fassade des Bahnhofsgebäudes zu lesen, das auf der Schatzkarte skizziert war. Die dortige Anweisung war also zu lesen als: "In Marktgölitz findest du . . .", daneben das Symbol für eine Kirche.

Eine Viertelstunde Fußmarsch ist es bis dorthin. Wie alle Häuser hier ist auch die Kirche mit Schiefer gedeckt, ein Schild oben am Turm (2) nennt das Erbauungsjahr 1733. Auf der Schatzkarte fand sich genau dieses Schild wieder, identifizierbar durch seine Form, die Position der Befestigungsnägel und die schnörkelige 1. Alle weiteren Ziffern waren durch ein Liliensymbol ersetzt - dieses stand folglich für die Zahl 733, was später für die genaue Ortung des Ostereis noch wichtig werden würde.

"Kehre zurück", wies die Schatzkarte nun an, nach Gabe Gottes also. Dazu zeigte sie ein Haus mit charakteristischem Dach, einigen Symbolen und Zahlen. Beim Spaziergang entlang der nahezu einzigen Straße des Ortes wurde klar, was damit gemeint war: das einst prächtige Haus Nummer 65, in dem heute Heu für die Ziegen nebenan bevorratet wird. (3) Quer über die Fassade verläuft ein schon recht verblasstes Spruchband, und zwar - erwartbar in dieser vormals protestantisch geprägten Gegend - wiederum eine Bibelstelle in Lutherworten: "Der Herr behütet dich, der Herr ist dein Schatten über deiner rechten Hand. Daß dich des Tages die Sonne nicht steche, noch der Mond des Nachts." Anhand dieses Psalms war das Haus eindeutig zu identifizieren als Ausgangspunkt für den nächsten Schritt der Schatzsuche: die Abfolge aus Zahlen und Symbolen, die sich auf der Schatzkarte aus einer Wasserpumpe ergoss. Dass die Zahlen in einen Text zu übersetzen waren, lag nahe, unter anderem wegen des Doppelpunkts am Schluss. Aber wie - und warum eine Wasserpumpe?

Das abgebildete Gerät steht an prominenter Stelle in Gabe Gottes: nördlich des verfallenden Bahnhofsgebäudes, wo auf der Schatzkarte ein Wassertropfen eingezeichnet war (4). Die Pumpe wird von einer ringförmigen Aufschrift bekrönt: "armaturen & maschinfnfabrik a-g. nürnberg", wobei der Fehler im zweiten Wort lediglich einem abgebrochenen Querstrich geschuldet ist. Nummerierte man diese Buchstabenfolge nach dem simplen Prinzip A=1, R=2, M=3 durch, ließ sich die Zahlenfolge auf der Schatzkarte entschlüsseln:

Dass die Wappenlilie für 733 stand, war vom Marktgölitzer Kirchturm bekannt. Um 7 Prozent vermehrt, ergeben sich gerundet 784 Meter. Und die 2⁵, das sind 32 Meter. Ungeklärt war nur noch das Symbol, das eine Flasche und einen Hammer überkreuzt zeigte - und zwar kopfüber, was auf Landkarten üblicherweise Stätten außer Betrieb bezeichnet. Gemeint war die Ruine der Brauerei Eisenhammer (5) im Süden von Gabe Gottes. Im Klartext begann die verschlüsselte Botschaft also: "Geh 32 Meter gen Eisenhammer . . ." Vom aktuellen Standpunkt aus, dem Haus mit dem Psalm, gelangt man so zur Bushaltestelle Richtung Probstzella. Weiter hieß es: ". . . und dann 784 Meter mit ihm".

Mit wem? Zu sehen waren ein Schachbrett und eine allegorische Wind-Darstellung. Eines der Schachfelder war markiert: dritte Spalte von links, vierte Reihe von unten, nach internationaler Konvention heißt dieses Feld C4. Wer das laut ausspricht, nennt einen Wind beim Namen: Zephyr, den mythologischen Westwind.

Irritierenderweise werden Winde im Deutschen stets nach ihrer Herkunftsrichtung benannt. Dem Westwind zu folgen, bedeutet also: nach Osten, in die waldigen Hügel des Kolditzbergs. Die Landkarten verzeichnen dort einige aufgegebene Bergwerksstollen - und einen davon genau 784 Meter östlich der Haltestelle.

Nur zwei Wege führen von der Straße aus in den Hügel. Auf halber Höhe vereinigen sie sich, sodass das letzte Wegstück zum Ziel in beiden Fällen dasselbe ist. Vorausgesetzt freilich, man verlässt die Wege nicht, wie es die Hinweisschilder verlangen - schließlich betritt man hier ein Landschaftsschutzgebiet (wohlgemerkt kein Naturschutzgebiet, für das deutlich strengere Verhaltensregeln gelten, weshalb die Spielregel dies auch ausgeschlossen hatte). Kurz vor dem Ziel zweigte vom steilen Weg ein zweiter, unscheinbarer nach links ab (6).

Noch gut 100 Meter ging es diesen Weg entlang, dann blickte den Schatzsucher das "blinde Auge" an, das auf der Karte als Hüter des Verstecks dargestellt war: ein Stollen, einst offenbar erfolglos in den Schieferberg geschlagen, nur zwei Meter tief, eher eine kugelförmige Höhle (7). Das Auge auf der Schatzkarte war dem Eingang der Höhle genau nachgeformt, sodass kein Zweifel blieb: Hier ist es! Im linken Augenwinkel, in einem Holzkästchen unter einer Handbreit Laub, lag das Osterei verborgen.

Welche Antwort sind wir Ihnen noch schuldig? Was hat Ihnen gefallen, was sollen wir nächstes Mal besser machen? Wir freuen uns auf Ihre Mail mit dem Betreff "Feedback" an osterei@sueddeutsche.de

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