Aufklärer der Nation:Was uns Sexkolle eingebrockt hat

Oswalt Kolle wird 80. In den 60ern bereitete er die sexuelle Revolution in Deutschland vor und ebnete Erotik-Entertainern den Weg.

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Sommer, dpa

Quelle: SZ

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Oswalt Kolle wird 80. Er gilt als Aufklärer der Nation, der in den 60ern die sexuelle Revolution in Deutschland vorbereitete. Kolle mag nicht "Sexpapst" genannt werden: "Was habe ich denn mit einem Papst gemein? Ich bin doch nicht lustfeindlich." Kolle gilt als Vorreiter einer Generation von Aufklärern - ohne seine Pionierarbeit wäre die Sexualisierung der Medien kaum möglich gewesen.

Dr. Sommer

Die Bravo liest man ja nur wegen des Starschnitts, so wie man den Playboy auch nur wegen der großartigen Interviews in die Hand nimmt. Rein zufällig stößt man beim Durchblättern der Jugendzeitschrift dann aber auf die äußerst informative Dr. Sommer-Seite - und bleibt dort hängen. Alle Fragen über Pickel, Pubertät, Penis und Pille werden dort seit drei Jahrzehnten mit drastischen Worten beantwortet. Als das Privatfernsehen und die Pornoseiten im Internet noch längst nicht erfunden waren, galt Dr. Sommer bereits als zuverlässige Quelle für Sex-Details, die man schon immer wissen wollte, aber sich nicht zu fragen getraut hatte. 1969 beantwortete der Arzt und Therapeut Dr. Martin Goldstein unter dem Pseudonym "Dr. Jochen Sommer" erstmals solche Fragen, später übernahm ein Psychologenteam die Aufklärungsarbeit. Mittlerweile erfahren Teenies in der Internet-Bravo-Loveschool noch mehr Details ( "Blasen - So funkioniert Oralsex"). Na bravo.

Foto: dpa, Text: ta

Westheimer, gettyimages

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Ruth Westheimer

Ohne die gebürtige Frankfurterin Dr. Ruth Westheimer wären wir heute noch nicht aufgeklärt. Als hauptberuflich Pubertierender durfte man in den 80ern keine Folge ihrer vom Fernsehsender Sky Channel verbreiteten Sendung "Ask Dr. Ruth" verpassen. Ruth saß in einem gemütlichen Sessel und plauderte in einem deutlich hessisch geprägtem Englisch (mit deutschen Untertiteln) über Ogino und Fellatio. Ab und zu stand einer im Publikum auf und wollte was über Impotenz wissen oder ein Anrufer hatte ein Promiskuitätsproblem. Was es nicht alles gab! Und diese humorvolle 1,40-Meter-Dame schaffte es, das Thema Sex irgendwo zwischen Lächerlichkeit und Würde, zwischen Mensch und Tier abzuhandeln. Erst später erfuhren wir, dass ihre Eltern einst in Auschwitz ermordet wurden und sie im Palästinakrieg Scharfschützin war. Dann studierte sie Psychologie an der Sorbonne. Was für ein Leben! Gerade ist sie 80 Jahre geworden. Keine Frage: Dr. Ruth war der Oswalt Kolle der 89er.

Foto: gettyimages, Text: zip

Berger, gettyimages

Quelle: SZ

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Erika Berger

Es war im Februar 1987. Das Privatfernsehen experimentierte mit neuen Formaten, im Kanzleramt saß Helmut Kohl, und im geteilten Deutschland diskutierte man über den weiblichen Orgasmus. Vorausgesetzt, man konnte RTL empfangen und damit Erika Berger. Sie nannte sich Sexualberaterin, redete in einem leicht theaterhaften oberbayerischen Dialekt, und zeigte in der Call-Sendung viel Bein und voyeuristisches Verständnis. War das Volksaufklärung oder Volksbelustigung, wenn sie live über Oralverkehr, Masturbation, Wechseljahre und Erotik in der Ehe palaverte? Für kurze Zeit zählte "Eine Chance für die Liebe" zu den Höhepunkten der privaten TV-Anarchie, und Frau Berger spielte ihre Rolle mit einer Mischung aus hochhackigem Charme und Schnoddrigkeit. Später verschwand sie in der Abteilung Nachtgeschwätz und Astrologie. Schade, denn sie besitzt eine wundervolle Eigenschaft: Ihr ist wirklich gar nichts peinlich.

Foto:gettyimages, Text:chrm

Feldbusch, Reuters

Quelle: SZ

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Verona Feldbusch

Als Verona Pooth noch Feldbusch hieß, noch keine pseudo-ironische Telefonwerbung machte, noch nicht mit Karl Lagerfeld befreundet, aber bereits von Dieter Bohlen geschieden war, saß sie im Dienst von RTL2 auf einem Sessel von vaginalem Zuschnitt und moderierte die sogenannte Erotikshow "Peep!". Es war das Jahr 1997, und der Spiegel arbeitete sich an der vierfünftelnackten Verona folgendermaßen ab: "Sie ist eine höchst lebendige Comicfigur, ein postfeministisches Gesamtkunstwerk im historischen Augenblick, da Sex und Erotik zwischen akuter Triebverwirrung und völliger Lächerlichkeit oszillieren". Woraus ersichtlich wird, dass die Nation von der Frau im Vaginasessel so fasziniert war, dass sie völlig vergaß, auf die Sexfilmchen zu achten. Egal. Wie ein Dildo aussieht, war sogar beim Spiegel schon bekannt.

Foto: Reuters, Text: tar

Roche, dpa

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Charlotte Roche

Ihr ist es nun also zu verdanken, dass Ornithologen und Klimaforscher einer ihrer Reviere beraubt wurden: dem Feuchtgebiet. Fast sechs Prozent der Erdoberfläche werden von Sümpfen und Mooren bedeckt, sie killen Kohlendioxid und bieten Vögeln Obdach. Und doch verbinden gefühlte tausend Prozent Feuchtgebiete heute nur noch mit der Ex-Musikfernsehmoderatorin. In ihrem Romandebüt widmet sich Protagonistin Helen dem "Muschistudium", in dem wirklich alle Körperflüssigkeiten, Duschköpfe, Analsex, Hämorrhoiden, Intimrasuren und Naturparfum eine große Rolle spielen. Die Nation schüttelt sich - und kauft das Buch in Millionenstärke. Junge Frauen feiern ihren Roman als Manifest eines neuen Feminismus, alte Männer verstören die Schamlippenbekenntnisse der Charlotte R. nachhaltig. Gut, dass wir drüber geredet haben.

Foto: dpa, Text: from

(SZ vom 2.10.2008)

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