Auferstehung und Sterbehilfe:In Richtung ewiges Leben

Ammersee im Abendlicht

Abendstimmung am Ammersee bei München (Archivbild von 2008).

(Foto: dpa)

Einst orientierte sich alle Lebensführung der Menschen am Weiterleben nach dem Tod. Doch die Hoffnung dieses unermesslichen Versprechens ist abhanden gekommen, an ihre Stelle der Versuch getreten, das Leben mit allen medizinischen Mitteln Richtung Ewigkeit zu verlängern. Doch was es wirklich braucht, ist eine würdige Sterbebegleitung.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Jeder weiß, was eine Geburt ist. Was es mit der Auferstehung auf sich hat, weiß keiner so recht. Auferstehung ist ein geheimnisvolles religiöses Versprechen, das sich angeblich nach dem Tod realisieren soll; aber schon der Tod ist für jeden verhüllt und verborgen. Ostern, das Fest der Auferstehung, ist daher ein viel schwierigeres Fest als Weihnachten.

Der hingerichtete und begrabene Jesus steht drei Tage später wieder lebendig da, als Sieger über den Tod. Das ist Ostern; das sei, so sagt das Christentum, das Urmodell für die Auferstehung auch der normal Sterblichen. Auf den Gemälden der Renaissance sieht man daher, wie am Jüngsten Tag Skelette aus den Särgen steigen und sich mit Haut und Muskeln bekleiden. Diese "Auferstehung des Fleisches": Ist sie das ewige Leben? Oder ist es so, dass zwar der Körper stirbt, aber der Geist bleibt, so wie es das Volkslied singt: "Die Seele schwingt sich in die Höh', der Leib liegt auf dem Kanapee"?

Neben dem machtvoll-triumphalen liturgischen Ostergesang "Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?" klingt diese Volksweise ein wenig frivol. Aber ist nicht jeder Glaube an ein Weiterleben anstößig? Es verlangt einen ganz unbändigen, ganz unverschämten Glauben, an irgendeine Auferstehung zu glauben. Selbst viele Christen haben damit Probleme. Der selige Glaube daran, dass es ein ewiges Leben gibt, das mit dem Ende des irdischen Lebens beginnt, hat die Gewissheit verloren. Damit geht aber auch die tröstende Hoffnung verloren, dass es den Menschen, die im Diesseits elend dran sind, in einem Jenseits besser gehen wird: Nach dem Jammertal kein Paradies mehr.

Was Sterbehilfe mit Auferstehung zu tun hat

Die ganze Lebensführung der Menschen hat sich einst am Weiterleben nach dem Tod orientiert. Der Katechismus-Unterricht hatte das zum Merkspruch gereimt: "Eins hab' ich mir vorgenommen, in den Himmel will ich kommen." Der Himmel und ewiges Leben: Das war ja schließlich ein gewaltiges, ein unermessliches Versprechen, das große Investitionen lohnte. Das ewige Leben barg auch die Hoffnung auf postmortale Gerechtigkeit angesichts dessen, dass es auf Erden den Guten oft schlecht und den Schlechten gut geht. Auferstehung: Das war die Erwartung, dass das Leiden doch Sinn hat - auch das Erleiden eines qualvollen Todes; denn dieses Leiden war ja zugleich der läuternde Eingang in die Ewigkeit.

Der Geburt folgt das Leben; dem Tod folgt - nichts? Die verlorene Hoffnung auf Auferstehung hinterlässt deshalb, so hat das Jürgen Habermas formuliert, "eine spürbare Leere". Der überirdische Trost ist verwelkt und mit ihm die Bereitschaft, das Unaushaltbare, also auch die Elendigkeit des Sterbens, auszuhalten. Das hat Konsequenzen.

Revolutionserklärung an das Sterben

Wie füllt man die Leere? Man machte sich also daran, das letzte Quäntchen Leben aus dem Menschen herauszuquetschen, um dessen Lebensdauer, auch höchst profitbringend für die Gesundheitsindustrie, wenigstens ein wenig in Richtung Ewigkeit zu verlängern. Medizinische Kunst und ihre Apparate machen das Immer-und-Immerweiter möglich. Und so kam es dazu, dass Sterbende nicht mehr sterben durften.

Diese Art von Behandlung in der letzten Lebensphase hat zu einem Aufruhr der Bürger geführt. Am Ende des Lebens lebensverlängernd traktiert zu werden, hilflos an Schläuchen und Pumpen zu hängen - diese Vorstellung mündete in Revolutionserklärungen.

Die eine Revolutionserklärung, mittlerweile gesetzlich anerkannt, heißt Patientenverfügung; sie versucht, für den Fall des Falles, lebensverlängernde Behandlungen zu unterbinden. Die andere Revolutionserklärung besteht im Ruf nach gesetzlicher Zulassung der aktiven Sterbehilfe. Es geht darum, ob sich ein Mensch auf den voraussehbaren Sterbeweg einlässt oder ob er ihn abkürzt; manchmal geht es um noch mehr, nämlich darum, dass ein Mensch sein Leben, das er als unwürdig betrachtet, beenden will - weil er seine Hilflosigkeit als einen beschämenden Zustand empfindet. Es geht vielen Menschen um das Gefühl der Kontrolle über ihre letzte Lebensphase, um eine neue Art der Sterbeversicherung, um die Möglichkeit letzter Notwehr, einer Notwehr gegen sich selbst, wenn der eigene Körper einem zum Feind wird.

Der Sterbeprozess darf nicht zum Dahinvegetieren pervertiert werden

Man möge den Menschen, die an einer brutalen Form von Krebs leiden oder Angst vor dem gewindelten Ende haben, nicht mit dem lieben Gott kommen, dem sie mit einem Suizid nicht ins Handwerk pfuschen dürften. Das religiöse Poesiealbum ist nicht hilfreich für den, der an Gott und das ewige Leben nicht glauben kann. Eine gute Hilfe für Leidende und Sterbende ist ärztliche und pflegende Hilfe, liebevolle Zuwendung; sie kommt oft von wunderbaren Seelsorgern, die den Sterbenden und ihren Familien, nicht selten auch den Ärzten, beistehen.

Der Sterbeprozess darf nicht zum Dahinvegetieren pervertiert werden. Davor bewahrt die Hilfe beim Sterben, in Ausnahmefällen auch die Hilfe zum Sterben. Hilfe heißt immer: Niemand darf zum Sterben gedrängt werden; es darf sich kein gesellschaftlicher und kein ökonomischer Druck zum "Frühableben" entwickeln; das wäre pervers und schauerlich.

Fürsorge am Ende wie am Anfang des Lebens

Es darf aber auch niemand zum Weiterleben gezwungen werden, der partout und in freier Entscheidung nicht mehr will. Es darf, es muss "ein liebevolles ärztliches Unterlassen" am Lebensende geben, wie das der Palliativmediziner Gian Domenico Borasio schön formuliert. Und so wie es am Lebensanfang Hebammen gibt, sollte es Hebammen auch am Lebensende geben. Nein, mit dem Sterbehelfer ist nicht der "Dr. Tod" gemeint, sondern derjenige, der weiß, wann künstliche Ernährung nicht mehr angezeigt, wann ein Mensch lebenssatt ist. Sterbende Menschen brauchen so viel Fürsorge wie Säuglinge.

Fast immer ist der Ruf nach aktiver Sterbehilfe, die Forderung an den Arzt also, ein tödliches Mittel zu geben, auch ein Ruf nach Kommunikation. Der Satz "Ich will nicht mehr leben" heißt übersetzt nicht selten "Ich will so nicht mehr leben". Der Todeswunsch ist meist ein Wunsch nach Veränderung des Lebens am Ende des Lebens, ein Ruf nach Kontakt und Zuwendung, ein Aufschrei gegen das Gefühl der Verlassenheit und Nutzlosigkeit.

Es gibt ja nicht nur den biologischen Tod, sondern auch den sozialen. Ein Mensch kann tot sein schon vor dem Tod: wenn kein Leben mehr in seinem Leben ist, wenn niemand mehr Zeit hat für ihn, wenn er abgeschoben ist. Auferstehung heißt dann Aufstand und Widerstand - gegen die Medizintechnik, gegen angebliche ökonomische Zwänge, gegen Bequemlichkeit, gegen zu enge Vorschriften. Wenn ein Mensch auf der letzten Strecke des Lebens die Todesangst verliert und in Frieden mit sich und den anderen sterben darf: Das kann Auferstehung sein.

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