Au-pair 50 Plus:Wann, wenn nicht jetzt

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"Dieses Gefühl, noch gebraucht zu werden": Hamburg, Rom, Delhi - wie drei deutsche Frauen jenseits der 50 auf die Idee kamen, ein neues Leben als Au-pair zu beginnen.

Corinna Nohn

Embjörg Elster hatte keine Lust, in ihrem 100 Jahre alten Häuschen in Franken auf den ersten Urenkel zu warten. Und weil sie 60 Jahre alt und Single ist und nicht das Geld hatte für eine lange Weltreise, tippte sie einfach mal bei Google ein: "Hilfe, Oma sucht Arbeit". Gefunden hat sie "Granny Aupair" - eine Hamburger Agentur, die sich an "unternehmungslustige, vitale, unabhängige Frauen" über 50 wendet. Perfekt.

Anneli Wegner beim Fußballspielen mit Giacomo und Emanuele in Rom. (Foto: privat)

Nun sitzt Embjörg Elster - Jeans, Kurzhaarschnitt, sorgfältiges Make-up - also in Hamburg, dort unterstützt sie seit Oktober eine alleinerziehende Mutter. Die vier Kinder, drei bis zwölf Jahre alt, nennen sie Greta - "weil ich mit Zweitnamen Margret heiße".

An den Geräuschpegel hat sie sich schnell gewöhnt, sie ist ja selbst Oma und hatte immer mit kleinen Kindern zu tun. Außerdem wusste sie, worauf sie sich einließ: Vor 40 Jahren war sie schon mal als Au-pair unterwegs - in London und auch in Hamburg.

"Damals musste ich so viel bügeln, dass ich das seitdem gar nicht mehr gern mache", erzählt die ehemalige Flugbegleiterin , von der eine herzliche Gelassenheit ausgeht. Bügeln muss sie dieses Mal nicht - sie ist fürs Kochen und für die Belustigung der Kinder zuständig, "ein großer Spaß". Aber es sind nicht nur der Zeitvertreib und die Großstadt, die sie gelockt haben: "Am wichtigsten ist mir dieses Gefühl, noch gebraucht zu werden." Ihre eigenen Enkel sind schon 14 und 17, "die brauchen mich grade nicht so doll".

Wie Embjörg Elster geht es immer mehr Frauen über 50, glaubt Michaela Hansen, die "Granny Aupair" vor einem Jahr gegründet hat: körperlich und geistig fit, nicht mehr voll berufstätig, auf der Suche nach einer neuen Aufgabe - und dem Abenteuer, das sie vielleicht als junge Frauen verpasst haben. Andersherum hätten die älteren den jungen Au-pairs einiges voraus: "Sie bringen eine riesige Lebenserfahrung mit, haben meist selbst Kinder großgezogen, können wunderschöne Geschichten erzählen."

Für Embjörg Elster ist dieser Job auch eine Chance, Hamburg ohne viel Geld neu kennenzulernen. Verpflegung und Unterkunft sind frei, 300 Euro Taschengeld bekommt sie im Monat. Im Gegensatz zu klassischen Au-pair-Organisationen regeln die Familien und Frauen bei "Granny Aupair" alles selbst - von der Aufenthaltsdauer bis zur Frage, wie hoch das Taschengeld ist. Michaela Hansen vermittelt lediglich die Kontakte und erhält eine Provision, wenn sich zwei Parteien einigen. Fast jeden Tag melden sich neue Bewerberinnen, zwei Dutzend hat sie schon untergebracht - unter anderem in Kanada, Australien und Nigeria.

Während Embjörg Elster das Mittagessen zubereitet, lernt Anneli Wegner Italienischvokabeln in Rom. Die Hamburgerin mit den schulterlangen weißen Haaren hatte an der Volkshochschule Italienisch gelernt und sich gefragt: "Wie komme ich mal nicht nur als Touristin in dieses Land?" Einen mehrwöchigen Sprachkurs konnte sie sich nicht leisten. Dann las sie von einer römischen Familie, die jemanden suchte, der mit den Söhnen - Giacomo, 2, Emanuele, 5, und Giovanni, 7 - Deutsch sprechen könnte. "Als ich die Annonce in den Händen hielt, kam es mir vor, als hätte ich so etwas schon längst im Unterbewusstsein geplant."

In Anneli Wegners Stimme schwingt ein nordischer Singsang mit, denn eigentlich ist sie Finnin - ihren deutschen Mann lernte sie in Wien kennen. Auf dem Spielplatz der deutschen Schule in Rom, wo sich gerade der Frühling ausbreitet und sich jeden Nachmittag die Au-pair-Mädchen- und Jungen treffen, kennt die 59-Jährige schon jeder. "Ich bin da halt die einzige meiner Art: eine ältere Frau, noch dazu eine Finnin, die aber in Rom ist, um mit den Kindern Deutsch zu sprechen!"

Obwohl sie schon oft in Italien war, hat sie der Alltag dort überrascht: "Meine Italiener trinken zum Beispiel keinen Kaffee, keinen Wein, und alles ist immer genau geplant und organisiert." Nur das Frühstück sei - wie erwartet - recht karg: "Auch die Kinder essen morgens nur diese Kekse, da wird mir ganz schlecht. Wenn um halb acht alle aus dem Haus sind, mache ich mir gleich einen Espresso." Dann hat sie frei bis 15Uhr, wenn sie mit der Mutter zur Schule fährt, um die Kinder abzuholen. "Auf der Autofahrt bin ich eine halbe Stunde alleine mit Francesca, und wir sprechen Italienisch." Anschließend ist wieder sie verantwortlich, bis die Kinder ins Bett gehen. "Das klappt alles, nur beim Anziehen trödeln die drei immer, da muss ich mir noch was einfallen lassen." Und ihren Mann vermisst sie nicht? "Ach, fünf Monate gehen immer, habe ich mir gedacht. Und er kommt mich ja besuchen."

Dass Frauen, die sich bei Granny Au-pair bewerben, verheiratet sind, kommt eher selten vor. Viele packt das Fernweh, wenn sie bei ihren eigenen Kinder sehen, dass es heute ganz normal ist, in Großbritannien zu studieren oder in Australien zu jobben. "Frauen über 50 hatten zum großen Teil als junge Leute nicht die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen, dort eine fremde Sprache zu lernen", sagt Michaela Hansen. "Und wann sollen sie dieses Abenteuer nachholen, wenn nicht jetzt?"

Wann, wenn nicht jetzt - das hat sich auch Lucie Flach-Siebenlist gefragt. Sie hatte im vergangenen September schon ein Ticket für die Fähre nach Korsika gekauft, wo ein "sehr guter Bekannter" auf sie wartete. "Aber der wollte sich zur Ruhe setzen, und ich wollte noch was erleben." Zuvor hatte sie ein Dreivierteljahr lang ihre Mutter gepflegt, selbst einen Herzinfarkt überstanden. "Plötzlich war mir klar: Ich habe nur noch eine begrenzte Zeit, um etwas von der Welt zu sehen." Zwei Wochen später saß die 60-Jährige im Flieger nach Indien statt auf der Fähre nach Korsika. Ihren erwachsenen Kindern erzählte sie zunächst nichts davon. "Ich habe immer alles für sie gemacht - jetzt wollte ich mich mal zurückziehen."

In Delhi kümmert sie sich nun um Jack, dessen Mutter in der deutschen Botschaft arbeitet. Der Achtjährige spricht auch Englisch, er hat schon in Venezuela und Hawaii gelebt. Jetzt soll er besser Deutsch lernen, weil es irgendwann wieder zurückgeht in die Bundesrepublik. Nach ihrer Ankunft in Delhi lag Lucie Flach-Siebenlist allerdings erst mal zwei Wochen im Krankenhaus - Denguefieber. Trotz dieser "grenzwertigen Erfahrung" möchte sie nicht daran denken, dass sie im März wieder zurückfliegt: "Das hier ist wie ein zweites Leben für mich, viel intensiver als vorher."

Das liegt auch daran, dass sie in Delhi jeden Tag "absoluten Extremen" begegnet: Sie verkehrt in Diplomatenkreisen und hat schon den Dalai Lama getroffen, die Familie hat einen Fahrer, das Haus wird bewacht. Auf der anderen Seite trifft sie überall auf große Armut, zum Beispiel auf der Baustelle neben ihrem Haus. Dort schleppen schon die Kinder der Wanderarbeiter schwere Steine. "Aber da kann ich ja spontan was tun." So hat die frühere Arzthelferin den Kindern Wolldecken gekauft, zweimal die Woche bringt sie ihnen Bananen. Irgendwann seien die Kinder auch mal zu dem Zaun gelaufen, hinter dem Jack immer auf seinem Trampolin springt, und haben Erdnüsse herübergereicht. "Da musste ich ihm erst mal erklären: Die wollen deine Freunde sein."

Sie denkt darüber nach, welches Land sie noch kennenlernen könnte. Oder doch noch einmal zurück nach Delhi, zu Jack? Wenn sie ihn abends ins Bett bringt, bittet er sie oft: "Bleib doch noch." - "Dann lege ich mich zu ihm, und er erzählt mir von Venezuela, bis er eingeschlafen ist." Der Junge hat schon so viel gesehen, sagt sie. Und sie selbst? "Ich habe in dem halben Jahr in Indien mehr erlebt als in der Hälfte meines vorherigen Lebens."

© SZ vom 23.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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