Anti-Diät-Tag:Kampf den Hungerkuren

Diäten sind der sichere Weg in die Fettsucht, sagen ihre Kritiker. Sie feiern zum 17. Mal den Anti-Diät-Tag und warnen vor den Folgen des Schlankheitsdiktats.

Mit dem Frühling schwappt eine neue Welle von Diät-Ermahnungen über die Verbraucher. Nicht nur Frauenzeitschriften sind voll von angeblich besonders vielversprechenden Abnehmmethoden.

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Nein, so süß ist das Leben ohne Diät natürlich auch wieder nicht: Die Diätkritiker rufen nicht zu unbedachter Völlerei auf.

(Foto: Foto: iStockphotos)

Dagegen setzen Kritiker des Schlankheitswahns am heutigen Mittwoch zum inzwischen 17. Mal den Internationalen Anti-Diät-Tag. Die britische Initiatorin Mary Evans Young behauptet, dass Diäten nicht funktionieren - und die Fachwelt gibt ihr Recht.

"Kurzfristige Diäten sind absolut nicht sinnvoll", sagt Marita Völker-Albert von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). "Die Abspeckprogramme helfen alle nicht", sagt Sylvia Baeck vom Berliner Verein Dick & Dünn.

"Diäten sind der Weg in die Fettsucht", sagt der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Essstörungen, Professor Manfred Fichter, wobei er medizinisch notwendige wie beispielsweise solche bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten ausdrücklich ausnimmt.

Nicht Essen an sich macht dick

Der bayerische Mediziner verweist auf Tierversuche, die den sogenannten Jojo-Effekt nachgewiesen haben. Gemeint ist damit, dass Menschen nach dem Ende einer Diät häufig mehr wiegen als davor und sich dieser Effekt bei weiteren Abnehmkuren immer weiter aufschaukelt. Denn der Stoffwechsel stellt sich während der verringerten Kalorienzufuhr auf einen niedrigeren Grundumsatz ein und behält diesen bei. "Dann schlägt das 'Futter' besser an", meint Fichter.

Für die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung ist deshalb das A und O bei der Behandlung von Essstörungen eine grundsätzliche und langfristige Ernährungsumstellung mit ausreichender Sättigung gepaart mit regelmäßiger Bewegung von mindestens einer halben Stunde pro Tag.

Gerade für junge Leute sei es zudem wichtig, den eigenen Körper zu akzeptieren und nicht aberwitzigen Schönheitsidealen nacheifern zu wollen. Das Hauptproblem für Essstörungen sitzt nach Einschätzung von Professor Fichter allerdings tiefer: "Nicht das Essen an sich macht dick, sondern das in sich 'Hineinfressen', das aus Frust Essen", betont er.

Essgestörte, vor allem diejenigen, die an Magersucht oder Bulimie leiden, haben nach den Erfahrungen Fichters hauptsächlich Störungen der Gefühle. "Diese Menschen haben verlernt, auf ihre Körperwahrnehmungen wie Hunger, Sättigung oder Müdigkeit und auf ihre Gefühle wie Glück oder Verletztheit zu achten."

In der von ihm geleiteten Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee lernen die Patienten zunächst, nach und nach wieder ein Gespür für solche Wahrnehmungen und Gefühle zu bekommen, um dann darauf zu reagieren.

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Selbstgeißelung in jungen Jahren

Selbstgeißelung in jungen Jahren

"Wir vermitteln, dass sie wieder auf ihre Wahrnehmungen hören, erkennen, wenn sie satt sind, und dann aufhören zu essen", erklärt der Professor. Ähnlich sollen beispielsweise Frustesser dahin geführt werden, soziale Kompetenz zu lernen und sich beispielsweise mit jemandem, der sie verletzt hat, zu besprechen, statt mit verstärktem Essen zu reagieren.

Auch für Sylvia Baeck vom Berliner Verein Dick & Dünn geht es bei der Behandlung von Essstörungen immer auch um den psychologischen Aspekt: "Wenn ich mich als Kind schon vollfuttere, weil ich nicht gehört werde und nicht mit meinen Gefühlen zurechtkomme, verschafft mir kontrolliertes Essen zwar Kontrolle, aber es stillt nicht meine Gefühle", erklärt die Projektleiterin und Mitbegründerin des seit inzwischen 25 Jahren bestehenden Vereins. Mit 1.000 bis 1.100 Erstkontakten pro Jahr ist er nach ihren Angaben bezogen auf den Zulauf die größte Einrichtung seiner Art in Deutschland.

Gerade bei Jugendlichen, die an Magersucht oder Bulimie leiden, ist nach Baecks Erfahrung der Kern des Problems oft fehlendes Selbstbewusstsein. Die Unzufriedenheit darüber wird auf den Körper bezogen, mit der Hoffnung, mit einer perfekten Figur die richtigen Freunde zu finden und beliebt zu sein.

Viele Jugendliche entwickelten dann ein restriktives Essverhalten: "Sie essen nicht, wenn sie hungrig sind, und sie hören nicht auf zu essen, wenn sie satt sind. Manchmal essen sie tagelang gar nichts, oder keinerlei Süßigkeiten. Wenn sie die selbstgesetzten Regeln durchbrechen, haben sie Schamgefühle, fühlen sich schuldig und der Kreislauf beginnt wieder von vorn."

Der Appell, weniger zu essen und sich mehr zu bewegen, greife da zu kurz. "Es ist eine Millimeter-Arbeit, die drei Komponenten beinhalten sollte und nur mit der ganzen Familie funktioniert", betont Baeck.

Erstens soll danach das Essen selbst Spaß machen: Bei gemeinsamen Mahlzeiten ohne Ablenkung durch Fernseher oder stressige Streitgespräche soll sich jeder seine Portion selbst auftun. Nachnehmen ist erlaubt, aber erst wenn alle mit der ersten Runde fertig sind.

Zweitens soll die körperliche Bewegung gefördert werden, aber von allen Familienmitgliedern. Am schwierigsten ist nach den Erfahrungen von Baeck die dritte Ebene, bei der es um die Kommunikation innerhalb der Familie geht.

"Es geht darum, wie Kinder und Jugendliche in ihrem Selbstbewusstsein gestützt werden, wie sie Wertschätzung erfahren können." Häufig beklagten sich Essgestörte, dass zu Hause nur an ihnen herumgemeckert und das Gute nicht geschätzt werde.

"Bei aller notwendigen Kritik helfen Sätze wie: 'Ich weiß auch Dinge, die gut gelaufen sind'", betont die Expertin und macht Mut: "Es ist eine mühsame Arbeit, aber nach einem Jahr hat sich etwas geändert. Wir wissen, dass es geht."

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