Anthony Bourdain:"TV-Kochshows sind die neue Pornographie"

Anthony Bourdain - Koch, Autor und Provokateur - über miese Lokale, tolle Gen-Tomaten und schauerliche Vegetarier.

Jörg Häntzschel

Gehe niemals am Montag in ein Fischlokal - du bekommst dort nur den halb vergammelten Lachs vom Wochenende. Solche Erkenntnisse verbreitete Anthony Bourdain in seinem Bestseller "Geständnisse eines Küchenchefs". In dem Buch rechnete er mit der Gastronomie ab - und das Beunruhigende daran ist, dass der Mann selbst aus der Branche stammt.

Anthony Bourdain: "Die Leute haben nicht genug Sex - Essen dient als Fetisch für unerfüllte Sehnsüchte": Um coole Sprüche ist Anthony Bourdain nie verlegen. Er macht Fernsehsendungen, schreibt Bücher - und führt nebenher noch ein Lokal in New York.

"Die Leute haben nicht genug Sex - Essen dient als Fetisch für unerfüllte Sehnsüchte": Um coole Sprüche ist Anthony Bourdain nie verlegen. Er macht Fernsehsendungen, schreibt Bücher - und führt nebenher noch ein Lokal in New York.

(Foto: Foto: AP)

Jetzt hat der New Yorker Koch und Autor ein neues Buch vorgelegt. Es heißt "Kleine Schweinereien" und ist bei Heyne erschienen

SZ: Eigentlich sind Sie ja Koch, aber mittlerweile verbringen Sie die halbe Zeit fürs Fernsehen, auf Expedition durch die Küchen der Welt, von denen Sie auch in Ihrem neuen Buch erzählen. Wie kommen Sie auf Ihre Ideen?

Bourdain: Irgendwas findet sich immer. In Las Vegas haben wir Hunter Thompsons "Fear and Loathing" nachgespielt. In Sizilien sah es überall so aus wie in Antonionis Film "L'Avventura", also wurde das das Thema.

Aber einige Reisen endeten im Fiasko. Als wir in Beirut waren, flogen uns israelische Bomben um die Ohren. In Usbekistan waren die Leute unfreundlich, die Küche gab nichts her. Solange ich meine Neugier stillen kann, mache ich unheimlich gern Fernsehen. Nur eine Kochshow kommt nicht in Frage.

SZ: Woher kommt die Begeisterung für Kochen im Fernsehen? Bourdain: Die Leute haben nicht genug Sex. Das Essen dient als Fetisch für die ungestillten Sehnsüchte.

Das Seltsame ist nur: Die Leute, die sich Kochshows im Fernsehen ansehen, kochen meistens weder selbst noch essen sie in guten Restaurants. Es ist die neue Pornographie: Man sieht im Fernsehen, was man selbst nie tun würde.

Der Esskultur hat es jedenfalls genützt. Die Erwartungen sind gestiegen, und die Köche haben ein Benehmen, das sie früher nicht hatten. Wenn man früher etwas gegen einen Gast hatte, hat man ihm vor den anderen Köchen in sein Essen gespuckt. Heute wäre so was undenkbar.

SZ: Die Leute essen immer schlechter. Bourdain: In Restaurants geben sie immer mehr aus, zumindest in den USA. Essengehen ist Luxus-Entertainment geworden. Was fehlt, ist die Mitte: eine Alternative zu Fastfood.

Die einzige Lösung ist mehr Immigration. In New York gibt es heute überall chinesische Restaurants, die nur von Chinesen frequentiert werden. Dort isst man so gut wie in Hongkong oder Sezuan, weil sich die Köche keine Sorgen um die Vorlieben der dummen Amis machen müssen. Das sind die guten Seiten der Globalisierung.

SZ: Wie kam es, dass Sie anfingen zu schreiben? Bourdain: Ich schrieb einen Artikel für die New York Press, eine alternative Stadtzeitung. Nachdem ich ewig nichts hörte, habe ich ihn an den New Yorker geschickt. Die haben ihn gedruckt, es gab einen Skandal, und so entstand "Geständnisse eines Küchenchefs".

Schreiben ist so einfach, verglichen damit, 14 Stunden in einer heißen Küche zu stehen, sich die Hände zu verbrennen und sich in die Finger zu schneiden.

SZ: Warum dieses Elend in den Küchen? Bourdain: Das war immer so. Je besser das Restaurant, desto härter wird gearbeitet. Das Problem an dem Geschäft ist, dass vier von fünf Restaurants nie Gewinn machen und drei von fünf in den ersten zwei Jahren bankrott sind.

Andererseits wird jeder mit offenen Armen empfangen, egal ob Sie aus einem Dorf in Mexiko kommen oder aus dem Knast, Sie haben sofort einen Job als Spüler. Dann arbeiten Sie sich hoch.

Wenn Sie sich bei Joel Robuchon drei Jahre lang in den Arsch haben treten lassen, können Sie morgen in den besten Restaurants der Welt anfangen.

Bei uns gibt es Respekt, Essen und Alkohol umsonst - und die Mitgliedschaft in einer internationalen Subkultur. Es ist wie in der Mafia, nur isst man besser.

SZ: Wir sitzen hier in Ihrem Restaurant, der Brasserie Les Halles. Bourdain: Es ist ein typisches französisches Arbeiterklasse-Bistro. Es gibt in Frankreich Tausende davon. Und das Essen ist dort genau so gut.

SZ: Nur sind wir hier in New York, außerdem sehe ich keine Arbeiter. Bourdain: Hier gibt es Schweinsfüße, Wurst, Pommes Frites. Das Restaurant ist nicht teuer, man muss sich nicht toll anziehen. Klar, viele Bauarbeiter essen nicht hier, aber es kommen Polizisten und Feuerwehrleute, alle werden gleich behandelt. Das Mobiliar ist authentisch zerschrammt, der Dreck an den Wänden ist echt, darauf bin ich sehr stolz.

SZ: Was stört Sie am meisten an den superteuren Restaurants? Bourdain: Sie sind in jeder Stadt gleich. Überall derselbe Pomp. Andererseits: ein richtig gutes französisches Restaurant ist einfach großartig. Le Bernardin hier in New York etwa oder Joel Robuchons L'Atelier in Las Vegas. Was mich stört sind 20-Gänge-Menüs und lange Erklärungen. Vor allem, wenn das Essen selbst nicht mithalten kann.

SZ: Sie machen einen lockeren Eindruck. Sind Ihnen die Snobs und Schlemmer nicht irgendwie fremd? Bourdain: Das ganze Handwerk gäbe es nicht ohne die Dekadenz der französischen Aristokratie. Doch gutes Essen wird immer egalitärer. Die Leute geben so viel aus für Handys oder beschissene Designerklamotten.

An das Essen erinnerst du dich dein Leben lang. Wer finanziell nicht ganz am Ende ist, sollte sich diesen Luxus gelegentlich leisten. Selbst als Student habe ich mein letztes Geld für ein gutes Essen im Lutece geopfert.

SZ: Sie sagen, eine Gen-Tomate sei Ihnen lieber als die aus dem sizilianischen Bauerngarten, sofern sie nur besser schmecke. Erklären Sie das mal den Deutschen! Bourdain: Die meisten Leute können diese Unterscheidung doch gar nicht treffen. Sie haben einfach Hunger. Bio-Lebensmittel sind phantastisch, aber ihr Anbau ist teuer und aufwendig. Ich finde es snobistisch, zu fordern, dass wir nichts anderes verwenden dürfen.

Klar schmeckt wilder Lachs besser als Zuchtlachs, aber es gibt eben nicht unendlich viele Fische im Meer. Schauen Sie sich Whole Foods an, den gigantischen Bio-Supermarkt hier in New York: Das bombastische Spektakel, das geniale Marketing, diese Maschine, die Kunden im Sekundenrhythmus abfertigt. Wenn das die schöne neue Welt von Bio ist, dann ohne mich!

Jetzt haben sie die Lobsterbecken entfernt, weil sie nicht grausam zu Hummern sein wollen. Solange wir Leute in Guantanamo zwangsernähren, solange es noch Sklaverei gibt, mache ich mir wenig Sorgen um die Lebensqualität eines Mollusken!

SZ: Mitten in Ihrem Restaurant steht eine sehr dekorative Fleischtheke. Von vegetarischem Essen halten Sie wohl wenig? Bourdain: Schauen Sie sich mal eine Liste berühmter Vegetarier an. Ein gruseliger Haufen! Und ich rede nicht nur von Hitler. Vegetarisches Essen hatte immer eine politische, wenn nicht religiöse Dimension: die Kirche des reinen Körpers. Wo das Wort Reinheit fällt, ist das Geräusch marschierender Stiefel nicht weit. Ich habe einfach etwas gegen Dogmen.

Außerdem: Wie wollen Sie reisen, wenn Sie immer Angst haben? Von nichts habe ich mehr profitiert als von meinen Erfahrungen in Vietnam, Brasilien, Afrika. Das wäre unmöglich gewesen, wenn ich gefragt hätte: Ist das sauber, ist da Fleisch drin, ist das aus Bio-Anbau?

Niemand kocht so gut wie die Chinesen, vor deren Hühnerfüßen und tausendjährigen Eiern uns so ekelt. Sie wissen, dass alles seinen Wert hat, sie verstehen Farbe und Textur, sie wissen, dass man alle fünf Sinne ansprechen muss. Wir waren ungewaschene, versoffene Schweine, als sie die phantastischste Kultur der Welt hatten.

SZ: Spaniens Kochexzentriker Ferran Adrià wird dieses Jahr an der Documenta teilnehmen. Wird Kochen jetzt Kunst? Bourdain: Kochen ist Handwerk, wir sollten stolz darauf sein. Aber wenn einer ein Künstler ist, dann er. Er ist der Charlie Parker, der Jimi Hendrix des Kochens. Thomas Keller gehört vielleicht noch in diese Liga. Ich kann nicht beschreiben, was ich bei Adrià aß, außer, dass ich die Schwerkraft nicht mehr spürte.

SZ: Und mögen Sie deutsches Essen? Bourdain: Ich kenne es kaum. Natürlich hatte die deutsche Küche großen Einfluss auf die französische. Kohl, Wurst, und sonst . . .ähm. . . Das Problem in Deutschland ist, dass es an einer wirklichen Immigrantenkultur fehlt. Auch die guten Restaurants, die es heute in London gibt, wären ohne die Immigranten nicht denkbar. Ich liebe gutes deutsches Essen, aber jeden Tag? - Horror!

SZ: Vielleicht stört viele Deutsche, dass man in teuren Lokalen so viel bezahlt und doch mit leeren Händen heimgeht. Bourdain: Das gibt sich. Dann kommt normalerweise eine Welle mit albernen Fusion-Restaurants, irgendwas Deutsch-Französisch-Asiatisches. Hier war es genau so. Bis irgendwann einige Franzosen auftauchten, die wussten, wie es geht. Wichtig ist: Als Koch muss man reisen, sehen, wie anderswo gearbeitet wird. Bevor man kocht, muss man essen lernen.

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