Anne Wizorek im Gespräch mit Jakob Augstein:Eine Frage der Höflichkeit

Was ist eigentlich aus der Sexismus-Debatte geworden? Ist der impulsive #Aufschrei verhallt? War es ein Sturm im Wasserglas? Hat sich was verändert? Jakob Augstein befragte dazu Aktivistin Anne Wizorek.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Jakob Augstein kann ein glänzender Gesprächspartner sein. In diversen Talkrunden sticht er immer wieder angenehm bedacht und trotzdem mit Biss heraus - ein bisschen anders war das am Montagabend im Maxim-Gorki-Theater in Berlin, wo der Freitag-Herausgeber und Chefredakteur im Rahmen des "Freitagsalon" die "Aufschrei"-Aktivistin Anne Wizorek zur Sexismus-Debatte befragte.

Ob es nun daran lag, dass er doch nicht zum Spiegel-Herausgeber berufen wurde, wie einige orakelten, oder daran, dass er eine junge Frau, zumal eine solch engagierte, im Gespräch nicht zu kritisch angehen wollte: Die Wohlfühl-Atmosphäre, die der Moderator seinem Gast bieten wollte, driftete an diesem Abend gleich mehrfach ins allzu Kuschelige ab. Zu oft fand Augstein "cool", was sein Gast sagte oder machte. Kritische Töne waren fast ausschließlich als Seufzer zu hören und wurden kaum artikuliert. Ist das nun auch schon wieder sexistisch, wenn ein 45-jähriger Journalist eine 31-jährige Aktivistin im Interview absichtlich mit Samthandschuhen anpackt?

Unter dem wenig innovativen Titel "Mann o Mann" hätte der Besucher glatt das Gefühl haben können, hier würde, was vor Monaten schon im Fernsehen auf diversen Kanälen durchgekaut wurde, nun noch einmal fürs Theaterpublikum aufgewärmt. Wenn da nicht ein paar interessante Häppchen serviert worden wären, für die sich die Debatte dann doch noch lohnte.

Merkel und von der Leyen keine geeigneten Vorbilder

Wizorek, überzeugt und überlegt wie immer, war hier diejenige, die das Gespräch geschickt in die Kontroverse lenkte. Sie könne weder in den starken Frauenrollen einer Angela Merkel oder einer wankenden Ursula von der Leyen, und schon gar nicht in der eher schwächelnden Rolle einer Kristina Schröder ein Vorbild für sich erkennen, sagte die Aktivistin über die CDU-Protagonistinnen, die mit dem Twitter-Aufruf #Aufschrei die Sexismus-Debatte vom Spezialfall Rainer Brüderle weg und hin zum Alltags-Sexismus gelenkt hatte.

Eigentlich hätte es die ureigene Aufgabe der Politikerinnen sein müssen, die Debatte aufzunehmen, weiterzutragen und zu ihrer Sache zu machen, befand die 31-Jährige - und sie hat recht. Wer, wenn nicht die obersten Frauen im Staate, sollten sich einer Sache annehmen, die so offensichtlich einen großen Teil ihrer Wählerschaft umtreibt? Stattdessen fände sich kein einziges Parteiprogramm, in das die doch so aufgeregt betriebene Sexismus-Debatte Eingang gefunden habe, kritisiert Wizorek - weshalb ihre Arbeit noch lange nicht ad acta gelegt werden könne.

Echtes Miteinander statt falscher Unterschiede

Wizorek stellte klar, dass es sich bei den über ihren Twitteraccount geposteten Statements und Erfahrungsberichten zum Thema Sexismus nicht um vielzitierte "Banalitäten" handele, die man mit einer verärgerten Handbewegung wegwischen könne. Es sei die Summe an ständigen und oft auch subtilen sexistischen Äußerungen und Handlungen, die bei so vielen Frauen das Fass zum Überlaufen gebracht hätte.

Nun käme es darauf an, gemeinsam mit Männern zu neuen Formen des Umgangs miteinander zu finden, denn die Formel "Männer sind vom Mars und Frauen von der Venus" zementiere nur vermeintliche Unterschiede, die es so nicht gebe, und die einem echten Miteinander nur im Wege stünden.

Frauen, die sich zu viel gefallen lassen

Und obwohl sie nicht müde wurde zu betonen, dass sie keine Männerfeindin sei und ein vernünftiges Miteinander mehr als alles andere wünsche, musste sie sich am Ende von einer Zuschauerin doch wieder die Frage stellen lassen, warum sie persönlich denn so schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht habe. Die Zuschauerin selbst, Generation 50 plus, habe immer wunderbar mit den Kollegen zusammenarbeiten können, auch als Journalistin, sie würde jetzt demnächst auch wieder ein Praktikum machen.

Womöglich liegt es an Wizoreks bei aller Forschheit und Bestimmtheit dann doch sehr höflichen und wohlerzogenen Art, dass sie von manchen Menschen so gründlich missverstanden werden kann. Womöglich ist dies auch ein Punkt, der vielen Frauen im Wege steht, wenn es darum geht, ihre Rechte einzufordern und sich gegen Ungerechtigkeiten zur Wehr zu setzen, sei es im kleinen oder im großen Stil.

Aufruf zu mehr Bestimmtheit

Wieso denn die Frauen nicht auf die Straße gingen, wollte nicht nur Augstein von der Feministin wissen, auch einen Gast im Publikum erregte es sehr, dass seine Kolleginnen nicht genügend für ihre Rechte kämpfen würden. Als Mann würde man sich eine solche Behandlung wie geringere Bezahlung, geringere Einstiegsgehälter und geringere Aufstiegschancen allein aufgrund des Geschlechts auf Dauer ganz bestimmt nicht gefallen lassen, womöglich müssten Frauen nur viel bestimmter auftreten und nicht länger alles dulden, so Augsteins Vermutung.

Wizorek antwortete, dass es unfair sei, an dieser Stelle Frauen die alleinige Schuld zuzuschieben. Doch obwohl Augstein selbst schon beobachtet hatte, dass Männer im Arbeitsalltag den Aufstieg von Frauen "einfach nicht wollen", schien er das Argument nicht ganz zu glauben. Genauso wenig wie den Hinweis, dass es Frauen gebe, die sich für sich selbst schön machten und nicht um einer Männerwelt zur Genüge zu gereichen.

Bei allem Verständnis, das Augstein seinem Gast und den erzürnten #Aufschrei-Frauen entgegenbrachte: Es scheint nur bis zu einem bestimmten Punkt zu reichen, und womöglich macht genau dieser Punkt die berühmte gläserne Decke aus. So lautet die Lehre aus diesem Abend und der Sexismus-Aufschrei-Debatte im Allgemeinen dann vielleicht doch: Mit Höflichkeit und Nettigkeit scheint sich das Problem nicht auflösen zu lassen.

Ein gutes Stück mehr Bestimmtheit wäre wohl angebracht in Fragen der Gleichberechtigung, des Sexismus und rund um das Thema Frauen, Familie und Beruf. Aber nicht nur von einigen, sondern von vielen.

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