Anne Geddes:Was machen die Babys im Kohlkopf?

Anne Geddes: undefined
(Foto: Anne Geddes)

Anne Geddes ist die berühmteste Babyfotografin der Welt. Seit 30 Jahren fotografiert die Australierin nun kostümierte Kinder. Ein Anlass für die Frage: Warum?

Von Claudia Fromme

Es gibt Fotobände, die machen sich gut auf dem Beistelltisch, weil sie beiläufig dem Besucher bedeuten, dass alles in bester Ordnung ist im Bildungsbürgerhaushalt. Alles von Henri Cartier-Bresson passt da gut hin. Die Nationalparkfotos von Ansel Adams gehen natürlich immer, die besten Vogue-Cover seit 1892 sowieso.

Über Coffee-Table-Books wie diese redet keiner, sie liegen da, sind Einrichtungsgegenstände der Selbstvergewisserung. Was nie mit einem beiläufigen Nicken quittiert wird: ein Buch von Anne Geddes.

Die australische Fotografin löst bei vielen Menschen starke Gefühle aus, und das hat mit ihrem Objekt zu tun: Sie inszeniert seit nunmehr 30 Jahren Babys. Geddes, inzwischen 60, hat Neugeborene bereits in Kohlblättern drapiert, sie als Bienchen, Kaninchen oder Teddy verkleidet, sie hat Babys in riesigen Klatschmohnblüten, Erbsenschoten und Kürbissen fotografiert, als Elfen und Waldfeen in tolkienhaft anmutender Kulisse oder nackt im Blumenpott.

Den einen wärmen die Fotos das Herz, die anderen nennen es Kitsch. Entziehen kann sich ihrer starken Wirkung kaum einer, das potenzierte Kindchenschema fängt manchmal auch jene ein, die für Zuckrigkeit eher nicht anfällig sind. Anne Geddes hat sich im Lauf dreier Jahrzehnte bei Kritik eine Gelassenheit antrainiert, die der Pianist Liberace, der zeitlebens auch unter Kitschverdacht stand, einst derart kommentierte: Sollen die Leute doch über mich reden - ich lache den ganzen Weg zur Bank darüber.

Kitsch? Nein, Anne Geddes hat eine Botschaft

Geddes, die mehr als 18 Millionen Bücher verkauft hat neben Fotokarten, Kalendern und kindgerechter Wandfarbe, ist viel zu höflich für Kritik an ihren Kritikern. Freundlich lacht sie ins Telefon, wenn man sie danach fragt, ob es sie schmerzt, dass ihrer Arbeit im etablierten Kulturbetrieb das Attribut Kitsch angelastet wird. "Wenn man kreativ ist und seine Arbeit öffentlich zeigt, gibt es immer Menschen, die sie nicht mögen." Sie belaste das nicht, die meisten Menschen fänden ihre Fotos gut, vielleicht auch, weil sie eine politische Botschaft hätten. "Babys stehen für das Gute im Menschen, für Unschuld, sie erinnern uns an die Chance des Neuanfangs, dafür, sein Leben zu überdenken", sagt Geddes, die sich auch für Missbrauchsopfer und Kriegswaisen einsetzt. Von Natur aus sei der Mensch gut, davon sei sie überzeugt, erst das Leben vermag die Güte ins Negative zu verändern.

Aber muss man für die Botschaft vom reinen Geist vier Wochen alte Babys in Tierkostüme stecken? "Meine Kunst ist das Erzählen von Geschichten", sagt Geddes, die vier erwachsene Töchter hat und gerade in New York lebt. Kulissen gehörten für sie darum dazu.

Den Anstoß für ihre berühmteste Idee, Babys in die Natur zu verpflanzen, habe ihr ein Märchenbuch gegeben, das sie als Kind in Australien so liebte. "Snugglepot and Cuddlepie" heißt es, 1918 ist es erschienen, Flora und Fauna haben in den zarten Illustrationen des Jugendstils ein menschliches Antlitz. Die Helden sind Eukalyptusbaumwesen mit Kapselhüten, die in Blüten schlafen. "Für mich ist es im Studio kein Baby im Hummelkostüm, es nimmt den Charakter der Hummel an, entwickelt eine eigene Energie." Die Babys hätten zudem Spaß. Bei den Aufnahmen kam also kein Kind und kein Tier zu Schaden.

"Ich werde die berühmteste Babyfotografin der Welt."

Ja, kostümierte Babys muss man mögen. Für alle anderen lohnt sich trotzdem ein Blick in den Bildband "Small World", der als Retrospektive ihrer Arbeit nun im Taschen-Verlag erschienen ist. Natürlich finden sich darin Babys als Käfer oder Teddy, aber auch anmutige Fotos von Schwangeren und Kindern ohne Dekor. Interessant ist es auch, die Arbeit von Anne Geddes bei Facebook und Instagram zu verfolgen. Das Projekt "Baby, look at you now" zeigt dort, wie ihre Models heute aussehen. Die Kohlkopfzwillinge Rhys und Grant zum Beispiel arbeiten erfolgreich in Marketing und Forschung, moppelig sind sie gar nicht mehr. Tyla, die vor 22 Jahren als Vögelchen posierte, spielte bei Olympia 2016 in Rio in der Rugby-Mannschaft von Neuseeland.

Hat sich noch keiner beschwert, als Käfer durch die Fotogeschichte zu krabbeln? Nein, sagt Geddes. Sie habe guten Kontakt zu vielen ihrer Models. Wie viele Babys sie bereits fotografiert hat, weiß sie nicht mehr, wohl aber, dass sie als junger Mensch das vermessene Ziel formulierte: "Ich werde die berühmteste Babyfotografin der Welt."

Das mag Storytelling in eigener Sache sein, eingetreten ist es tatsächlich. Wie sehr Geddes den Ton geprägt hat in der Babyfotografie, sehen Eltern nicht erst dann, wenn die lieben Verwandten zur Geburt Glückwunschkarten der Fotografin schicken. Wenn es in der Geburtsklinik irgendwann an der Zimmertür klopft und die Babyfotografin den Trolley öffnet, packt sie aus: Seidentücher, Kunstblumen, Tierkleider. Einkaufen kann sie beim Vorbild, Geddes vertreibt Babykostüme nach Art ihrer bekanntesten Motive.

Um Absagen kümmert sie sich persönlich

Gäste lässt die Fotografin bei Shootings nicht zu, auch erzählt sie nie viel davon, was im Studio geschieht. Als sie in den Neunzigern 160 Krabbelkinder in Blumentöpfen fotografierte, soll sie eine Gummischürze getragen haben, um Malheure der nackten Babys abzuwehren. Danach befragt, sagt sie: "Ich finde es respektlos den Babys gegenüber, über so etwas zu reden." Es wirkt nicht aufgesetzt, eher fürsorglich.

"Alle glauben, dass es laut sein muss im Studio, wenn man mit Babys arbeitet", sagt sie. Das Gegenteil sei der Fall. Die Temperatur sei mollig, damit die Babys sich wohlfühlten, eine Krankenschwester sei immer dabei. Ein Casting veranstaltet sie nie, das ergebe keinen Sinn, sagt Geddes, gerade bei Neugeborenen, die jünger als vier Wochen sein sollen und geimpft. Geburtstermine können sich verschieben, Kinder können erkranken. Bei größeren Babys seien sechs oder sieben Monate ideal, dann könnten sie sitzen, aber noch nicht weglaufen.

Ihre Studioleiterin lädt für ein Shooting für drei Babys neun Säuglinge ein, jedes kann einmal einen schlechten Tag haben. Man möchte dann nicht in den Kulissen neben den Eltern sitzen, wenn das eigene zauberhafte Kind leider nicht der nächste Star von Anne Geddes wird, der bald von Postkartenständern in aller Welt lächeln wird. Die Fotografin weiß, dass dann Feingefühl gefragt ist. Um Absagen kümmert sie sich persönlich.

Im vergangenen Jahr fragte sie über Facebook an, wer mit seinem Baby zu ihr ins Studio in New York kommen mag, es fehlten noch Motive für den neuen Jahreskalender. Innerhalb von drei Tagen gab es 4300 Bewerbungen, aus Australien, Brasilien, der Schweiz. Eltern wollten mit ihren wenige Tage alten Kindern in die USA fliegen. Anne Geddes hat allen geantwortet. "Ihr Baby ist wunderschön", schrieb sie. "Aber es sollte nicht um die halbe Welt reisen. Es geht doch nur um Fotos."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: