Amoklauf in München:"In den Arm nehmen, zuhören"

Schießerei in München

Rettungswagen am Olympia-Einkaufszentrum: Erste Hilfe auch für die Seele bietet das Krisen-Interventions-Team

(Foto: dpa)

Wie soll man Eltern trösten, die ihr Kind verloren haben? Und was soll man Kindern sagen, die jetzt Angst haben? Das Krisen-Interventions-Team ist seit Freitagabend im Dauereinsatz - und kann doch nicht immer helfen.

Haben Sie Kinder, denen Sie die Lage in München erklären müssen? Die Experten des Krisen-Interventions-Teams, mit denen wir für diesen Artikel gesprochen haben, haben einen kompakten Ratgeber für solche Gespräche zusammengestellt. Sie finden ihn hier als PDF zum Herunterladen...

Von Lars Langenau

Von 18.30 bis 4.30 Uhr heute früh habe er mit seinem Team gearbeitet, sagt Martin Irlinger, als er am späten Vormittag ans Telefon geht. Irlinger coacht eigentlich Führungskräfte, gerade war er als Mitarbeiter des Krisen-Interventions-Teams KIT München tätig, das rund um das Olympiaeinkaufszentrum tätig war und noch immer ist. Am Samstagnachmittag betreut Irlinger eine Gruppe von Leuten, die am Vorabend furchtbare Szenen erlebt haben. "Bis zu hundert Menschen" wurden laut Polizeiangaben unmittelbar Augenzeugen des Geschehens.

Die ganze Nacht über hatte er mit etwa 50 anderen Helfern an mehreren Standorten etwa 200 Personen betreut. Es seien viele kleine Gespräche gewesen, mit Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern. Darunter "Menschen, die Verletzten helfen wollten, Menschen, die daneben standen, als jemand erschossen wurde und deren Kleidung massiv mit dem fremden Blut bespritzt war".

Und er kümmerte sich um "Eltern, die wussten, dass ihr Kind noch im Einkaufszentrum war, sie es aber verloren hatten und es nun fieberhaft suchten". Etwa 30 bis 40 Gespräche habe er gestern geführt. Einige kürzer, andere länger, wie das mit einer Frau, deren Kind in den Kopf geschossen wurde. In Zusammenarbeit mit der Polizei komme es darauf an, "100-prozentig die Identität des Opfers zu klären", sagt er. "Hier konnten wir leider nur noch die Todesnachricht überbringen."

Was kann man in solchen extremen Situation machen, wenn Eltern erfahren, dass ihr Kind getötet wurde? "Da sein für die Menschen, in den Arm nehmen, zuhören." Im Fall des getöteten Jugendlichen seien Familienangehörige gekommen, die sich später dann um die Eltern kümmern konnten, die ihrem Schmerz herausbrüllten und dann die Mutter in ihre Mitte nahmen und gingen.

In leichteren Fällen, sagt Irlinger, versuche man den Menschen zu erklären, dass es ganz normal sei, dass ihr Körper auf diesen massiven Einbruch in die Normalität mit Schockreaktionen reagiere. Manchmal könne der Schock auch länger anhalten, auch dies sei normal. "Das ist wie bei einer Verletzung, die heilt. Bei manchen kann sich das länger hinziehen, und damit sich das, was wir posttraumatische Belastungsstörung nennen, nicht chronisch wird, bieten wir auch da Hilfe an. Wir appellieren daran, sich zu melden, damit diesen Menschen geholfen werden kann, die so Schreckliches erlebt haben."

Auch die Bergwacht schickt Unterstützung

Das KIT München ist seit 1994 im Einsatz und damit das erste Projekt seiner Art. Seither dient es weltweit als Vorbild. Der Leiter des Münchner Teams, Peter Zehentner, berichtet von vielen vor allem jugendlichen Opfern. Gestern in der Nacht habe man sich vor allem um schwer traumatisierten Menschen kümmern müssen. "Menschen, die Angehörige vermissten und davon ausgingen, dass der tot ist etwa. Oder Menschen, die selbst in Lebensgefahr waren oder das Gefühl hatten, sie waren es." Ihnen würde zunächst Sicherheit vermittelt, dass sie nun aus dem Gröbsten raus seien und ihnen die Informationen geben, nach denen sie verlangen. "Wir haben etwa klären können, als eine Frau ihren Mann vermisste, dass er in einem anderen Betreuungszentrum war."

Noch immer würden sich Leute melden, die etwas erlebt haben, was sie nicht einordnen können, die völlig überfordert seien mit der Situation. Trotz all der Trauer, die er erlebe, freue er sich über "die enorme Hilfsbereitschaft" in seinem Kollegenkreis. "Die kommen von überall her, auch die Bergwacht und die Notfallseelsorge hat Leute zur Unterstützung geschickt."

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