Alter:Steht zu euren Falten!

Mature Woman putting cream on her face

Wer im Spiegel nur nach Fehlern sucht, statt sich selbst zu erkennen, verpasst eine wichtige Chance.

(Foto: Getty Images/iStockphoto)

Age-Shaming beginnt bei uns selbst: Wer sein Alter nicht respektiert, darf das auch nicht von seinen Mitmenschen erwarten. Höchste Zeit, erwachsen zu werden. Ein Appell.

Von Violetta Simon

Sichtbares Altern ist nicht nur ein Ärgernis. Es ist eine Zumutung, für die man - gerade als Frau - das Gefühl hat, sich entschuldigen zu müssen. Weil man sich offensichtlich nicht genug bemüht hat. In einer Gesellschaft, die Altern als Krankheit einstuft und den körperlichen Verfall mit Diabetesmedikamenten therapieren will, sind Falten ein Affront - schließlich stehen uns zahllose Kosmetik- und Bodyshapingprodukte für die Selbstoptimierung zur Verfügung.

Euphorisch-verzweifelt überfluten Testimonials und selbst ernannte Experten den Markt mit Schönheits-Tipps, die uns jünger aussehen lassen sollen. Promis halten ihr geliftetes Gesicht in die Kamera und lassen sich dafür feiern, dass sie - incredible! - nicht so alt aussehen wie sie sind. Wer das tut, braucht heutzutage nämlich einen verdammt guten Grund - einen schweren Schicksalsschlag etwa. Mindestens.

Das Gefasel von "Detox, no Botox" gaukelt uns vor, Älterwerden sei eine Frage der Selbstdisziplin, der Ernährung und der richtigen Einstellung. Die Werbung erklärt uns, dass Oma mit ein bisschen gutem Willen und der richtigen Venencreme wieder Skateboard fahren kann. Überhaupt, Großmütter wohnen jetzt am liebsten in WG bei ihrer Enkelin - soll Opa, der seine Zähne und seine Potenz vermisst, doch bleiben, wo er ist. Bewundert wird, wer das eigene Alter und die Naturgesetze am erfolgreichsten abhängt.

Diese Haltung ist ebenso absurd, als würden wir jedes Jahr aufs Neue hoffen, dass der Winter diesmal ausfällt. Oder davon ausgehen, dass die Miete nicht abgebucht wird. Doch ebenso sicher wie der Tod ist, dass wir auf dem Weg dorthin älter werden - sofern uns zuvor kein Unfall oder eine schwere Krankheit aus dem Leben reißen. Dennoch fällt es uns schwer, zu begreifen, was das bedeutet: Wer älter wird, sieht auch so aus. Unverdrossen cremen, joggen, spritzen wir gegen den Verfall an - mit derselben Ergebenheit wie Sisyphos seinen Felsblock den Berg hinaufwälzt.

Dabei richtet sich die Panik nicht nur gegen das Verblassen der eigenen Jugend - auch das Altern der anderen stört den Gesamteindruck. Im New York Magazine schreibt sich Stella Bugbee die Angst von der Seele, fragt sich, ob "Age-Shaming" das neue Fat-Shaming ist. Bugbee gesteht offen ihre Furcht ein, "dass andere Leute mich hassen könnten, weil ich aufgehört habe, jung zu sein". Sie selbst habe Vorurteile gegenüber älteren Menschen übernommen und alles dafür getan, jünger auszusehen. Doch weitaus stärker als die Angst vor den körperlichen Veränderungen sei die Angst vor den Emotionen gewesen, die das Altern in ihr erzeugte.

Texte wie diese machen deutlich: Altern ist sozial unerwünscht. Vor allem aber ist es ein vornehmlich weibliches Problem. Hat schon Susan Sontag gesagt. In ihrem Essay "The Double Standard of Aging" beschreibt die Schriftstellerin ein Schönheitsideal, das dem Mann zwei Variationen zugestehe - die des Jungen und die des Mannes. Für die weibliche Schönheit hingegen sei nur eine Norm akzeptabel: die des Mädchens. Das war 1978. Viel weiter sind wir bis heute nicht gekommen.

Höchstens, wenn man es medizinisch betrachtet. Dank moderner Chirurgie können Frauen heute jederzeit der gewünschten Intimästhetik entsprechen. Mit anderen Worten: ihre durch Werbung und Pornografie verschobene Selbstwahrnehmung in die Realität umsetzen und auch "untenrum" wieder mädchenhaft aussehen. Das Problem daran ist: Immer mehr Frauen haben das Gefühl, es wird auch von ihnen erwartet, diese Option zu nutzen. Und lassen sich die Schamlippen liften.

Ab wann gehört man eigentlich zu den Frauen "in einem gewissen Alter" - mit 38, 43, 54? Dieser schamhaft-hilflose Ausdruck illustriert ein Tabu und die Scheu vor einer konkreten Zahl. Das Wort "reif" hat beinahe schon etwas Unappetitliches. Selbst junge Menschen fürchten bereits die Ablehnung, die ihnen entgegenschlagen könnte, wenn sie einmal nicht mehr so jung rüberkommen. Früher haben sie sich die Haare blond, pink oder blau gefärbt, um aufzufallen. Inzwischen ist genau das Gegenteil gefragt: In vorauseilendem Gehorsam werden erste graue Strähnen überdeckt - um so zu tun, als hätte man seine ursprüngliche Haarfarbe noch.

Diskrepanz in der Selbstwahrnehmung

Die meisten von uns haben wohl ein Bild von sich im Kopf, wie sie im Alter sein und aussehen werden. Dieses Bild ist geprägt von unzähligen Werbespots, in denen fitte, coole, kultivierte Frauen in der Bestform ihres Lebens von einer Yogamatte lächeln. Sie sind erfahren, selbstbewusst, mit sich selbst im Einklang. Ein Hals, der an einen Truthahn erinnert, Furchen im Gesicht oder Altersflecken auf dem Handrücken haben darin keinen Platz.

Was für eine bedauerliche Diskrepanz in der Selbstwahrnehmung. Denn wären sie wirklich erfahren und selbstbewusst, könnten sie die Wahrheit sicher besser ertragen. Die Realität hat kein Einsehen, sie schert sich nicht um die Illusion. Manche müssen wohl erst über die eigenen Falten stolpern, um das zu erkennen.

Sich mit jungen Menschen zu umgeben, kann da sehr hilfreich sein, vor allem im Beruf. Man bleibt geistig agil (wenn man sich öffnet - sonst verliert man einfach nur den Anschluss). Der Nachteil: Man bekommt permanent vor Augen geführt, dass man älter ist. Eine Zeit lang tragen einen noch die Komplimente der Kollegen - "Du bist 45? Das hätte ich nicht gedacht!"

Erst allmählich sickert das Gift ein, das in solchen Sätzen steckt. Weil die Bewunderung einer Verwunderung weicht: "Wie bitte, du wirst dieses Jahr 50? Hätte ich nie für möglich gehalten!" Die erste Reaktion: Puh - ich bin noch dabei, ich sehe gut aus für mein Alter. Doch dann wird einem klar, dass das Alter, das man erreicht hat, unvorstellbar weit weg für die anderen ist. Und in deren Augen auch gar nicht erstrebenswert.

Das verstärkt erst einmal die Einsamkeit und die Verletzung - aber nur, wenn man nicht kapiert hat, dass hier etwas in die falsche Richtung läuft. Und man trotzdem hinterherrennt. Es ist ein verhängnisvoller Irrtum, zu glauben, das Alter werde leichter durch Komplimente. Es bewirkt nur, dass wir uns abhängig machen davon, dass andere einen - trotz (nicht wegen) des Alters - akzeptieren.

Die Wahrheit ist: Wer sein Alter nicht respektiert, kann das auch nicht von anderen erwarten. Age-Shaming beginnt bei uns - indem wir uns für unser eigenes Alter und damit für uns selbst schämen. Es stünde uns weitaus besser zu Gesicht, vor den Jungen Haltung zu bewahren. Damit sie sehen, dass es nichts ist, wovor man sich fürchten muss. Sonst wird das nie aufhören.

Zugegeben, Altwerden macht nicht immer Spaß. Also eigentlich eher gar nicht. Und auch wenn es schrittweise vor sich geht, kommt die Erkenntnis plötzlich: Nun bin ich alt. Daran lässt sich nichts ändern, und es ist nach außen hin für jeden sichtbar. Dann ist es gut, wenn man nicht gleich zu Tode erschrickt. Sondern bis dahin einige Dinge für sich geklärt hat. Unter anderem, dass man sich nicht über sein Alter definieren will - und von anderen nicht definieren lässt.

Auch die New-York-Magazine-Autorin Stella Bugbee hat, nach 15 Jahren Kampf, erkannt, dass sie sich nicht mehr entschuldigen will - für ihr Alter, ihre schlaffen Oberarme oder ihren faltigen Hals. Viel zu viel Zeit habe sie investiert in die Angst, alt auszusehen. Nun wolle sie sich - und die Wahrnehmung der anderen - sensibilisieren für die Schönheit, die Zeit im Gesicht einer Frau hinterlässt. "Und selbst wenn die Welt das niemals erkennen wird, will ich es wenigstens tun, um damit für mein eigenes Leben Frieden zu schließen."

Offen zu sein für alles, was das Leben mit sich bringt, inklusive Alter, ist eine weise Entscheidung. Sie dürfte sich mehr auszahlen als all die teuren, aber wirkungslosen Faltencremes. Vor allem passt sie weitaus besser zu einer Frau in einem "gewissen Alter" als der infantile Fluchtreflex.

Manchmal muss man eben erst ein gewisses Alter erreichen, um das Naheliegende zu kapieren. Und sich endlich wichtigeren Dingen zu widmen. Das nennt man dann wohl: eine reife Leistung.

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