Alles muss raus:Unter Dampf

Alles muss raus: Die Schwitzhütte erinnert mit ihrer Form an ein Iglu. Dank der Bundeswehrdecken wird es auch schön dunkel.

Die Schwitzhütte erinnert mit ihrer Form an ein Iglu. Dank der Bundeswehrdecken wird es auch schön dunkel.

(Foto: Julia Rothhaas)

Der Besuch in einer Schwitzhütte soll helfen, den Gedanken Raum zu geben, die im Alltag untergehen. Ist das so was wie mystischer Klamauk? Seelenwäsche? Auf jeden Fall: Schweißtreibend.

Von Julia Rothhaas

Die heißen Steine zischen in dem kalten Erdloch. Es riecht nach weißem Salbei, nach Süßgras, Pfefferminze, Thuja, Rosmarin. Und nach Tabak, der einem in vielen kleinen Stoffbeuteln um den Hals hängt. Der Schweiß läuft über das Gesicht, die Brust, den Bauch hinab. Die Kniekehlen schmatzen, wenn man versucht, die Beine auszustrecken, die Hände krallen sich in das kalte Gras. Es ist stockdunkel. Keine Ahnung, wann es das letzte Mal so dunkel war. War es überhaupt schon jemals so dunkel? Irgendwo muss doch was zu sehen sein. Aber die Augen wissen nicht mal, wo sie suchen sollen. Ein Jammer, gerade jetzt.

Denn auch wenn niemand zu sehen ist: Die Hütte ist voll besetzt. Rund um das Loch sitzen 14 Menschen, weitgehend unbekleidet, nur in Nachthemd und Shorts. Sie atmen, sie stöhnen, manche seufzen, andere weinen. Es wird immer heißer. Und als auch das zweite Bein anfängt einzuschlafen, wird es im Kopf immer lauter: Was zum Teufel habe ich hier eigentlich verloren?

All diese fremden Menschen stecken in einer Schwitzhütte, einem Gerüst aus Weidenzweigen, verhüllt mit einer schwarzen Leinendecke, darüber liegen viele aneinandergenähte Bundeswehrdecken aus Wolle. Die Hütte sieht ein bisschen aus wie ein Iglu ohne Schnee und sie ist so niedrig, dass man auf allen Vieren hineinkrabbeln muss und große Menschen nicht aufrecht darin sitzen können. In der Mitte ist ein Loch in die Erde gegraben, hinein kommen heiße Steine, die der sogenannte Feuermann von draußen mit einer Mistgabel bringt. So kann eine Schwitzhütte je nach Bedarf zwei Stunden dauern, fünf Stunden oder auch den ganzen Tag. Damit es richtig schön dampft, werden die Steine ständig mit Wasser übergossen. In der Schwitzhütte hat alles seine Bedeutung: die Anzahl der Zweige des Gerüsts, die Beutel mit 108 Kräutern, die daran hängen, und die Farben der Stofffetzen im Inneren.

Das Ritual der Indianer Nordamerikas hat nichts mit Sauna oder Detox zu tun

Das Ritual, das bei den Indianern Nordamerikas, aber auch anderen Völkern, weit verbreitet war, hat nichts mit Sauna oder Detox zu tun. Es passt aber gut in eine Zeit, in der sich mehr und mehr Menschen in ihrem Alltag verloren fühlen und an eigenen und fremden Ansprüchen verzweifeln. Im Dunkeln sollen sie Zugang zu den Gedanken und Gefühlen bekommen, die sonst tief in ihnen verborgen sind, und in einen Zustand finden zwischen Wachsein und Traum, vielleicht vergleichbar mit der Versenkung, die auch viele Religionen mit Meditation, sich wiederholenden Gebeten oder stundenlangem Trommeln vorsehen. Das Schwitzen soll dabei helfen, das auszuschwemmen, was an die Oberfläche darf, und danach im besten Fall für immer verschwinden kann. Wer ein paar Stunden im Dunkeln sitzt, mit Kräuterdampf in Nase und Augen, und schwitzt, schwitzt, schwitzt, dem kommen Gedanken und Erinnerungen, von denen man hinterher nicht mehr sagen kann, was die jetzt da wollten. Nur der Kopf bringt einen hier nicht weiter. Etwa, wenn man versucht zu verstehen, warum die Zeremonienmeisterin Vögel nachmacht oder ein Gewitter. Denn wie im Schamanismus sind die Schwitzhütten-Anhänger auch von der Existenz "anderer Wirklichkeiten" überzeugt, weshalb Tiere, Ahnen und Geisterwesen auftauchen können.

Das Schwitzhüttenseminar der Makata-Lebensschule ist über zwei Tage angelegt. Die Hütte steht auf einem großen Grundstück im Rheingau, nur wenige Kilometer von der Loreley entfernt. Die große Wiese mit vielen alten Bäumen fällt ab zu einem wunderschönen Haus mit Türmchen und einem schmiedeeisernen Schriftzug auf dem Dach: "Waldfriede". Das passt zu Maria Dott-Carmon, der Zeremonienleiterin, die seit mehr als zwanzig Jahren im Wald wohnt. Die 51-Jährige und ihr Lebensgefährte Rainer, der Feuermann, bieten hier Schwitzhütten-Wochenenden und Visionssuchen an.

Samstagmittag. Die 14 Menschen sitzen auf orangefarbenen Kissen am Boden des Meditationsraums im Gästehaus, einer Art Wintergarten mit dunkelrot gestrichenen Wänden. In der Mitte liegt ein großer Amethyst, in einer Vase stehen drei Narzissen und eine Kerze. Es ist still, nur das Heizgerät in der Ecke surrt. Maria hält eine große Muschelhälfte in der einen Hand und verbrennt darin weißen Salbei. In der anderen Hand hält sie eine Feder, mit der sie den Rauch durch den Raum schickt.

Die Gruppe ist gut durchmischt mit neun Frauen und fünf Männern, darunter drei Paare. Die meisten sind in ihren Dreißigern, die älteste Teilnehmerin ist Ende vierzig. Sie alle sind eher Bio-Laden als Boutique, tragen gemütliche Kleidung und dicke Wollsocken und sind Lehrer, Physiotherapeuten, Handwerker, Computerfachleute und Studenten. Und allesamt auf der Suche nach ihrem Glück. In der Vorstellungsrunde sollen alle den Grund nennen, warum sie da sind. Kein Zögern, sofort herrscht eine große Offenheit und Vertrautheit. Dafür sind sie ja auch gekommen, heute ist Waschtag für die Seele. Drei Mütter haben das Gefühl, im Alltag zu kurz zu kommen und wollen im Familienchaos nicht untergehen. Vier Teilnehmer wünschen sich Orientierung im Leben, weil sie nicht wissen, ob das, was sie tun oder tun möchten, das Richtige für sie ist. Ein großer Mann mit starkem Pfälzer Dialekt weiß nicht, wie er mit der Wut im Bauch umgehen soll und dem Chef in der Werkstatt. Und nachdem ein junger Mann mit zartem Bubengesicht anfangs erklärt, er wüsste eigentlich gar nicht, warum er hier ist, fängt er in dem Moment an zu weinen, als es ihm dann wohl doch bewusst wird.

Bevor alle in ihre Nachthemden schlüpfen, muss das Holz aus dem Wald geholt werden, Steine werden aussortiert, Wasserkanister zur Feuerstelle getragen und Decken über das Weidengeflecht gestülpt. Nachdem das Feuer auf einem großen Haufen neben der Hütte brennt, werden die sogenannten tabacco ties gebastelt. Dafür kommt ein bisschen Tabak in ein buntes Stück Stoff, das wiederum an einen roten Faden gebunden und als Kette in der Hütte getragen wird. In die 24 Beutelchen soll nicht nur der Tabak, sondern auch ein Wunsch für jemanden anderen. Nur vier Stück sind für eigene Wünsche bestimmt.

Am späten Nachmittag stehen alle in Bademänteln und Schlappen bei sechs Grad um das Feuer, das jetzt Funken schlägt, die bunten Tabakketten um den Hals erinnern an Plastikblumengirlanden. Doch statt Partystimmung ist es ganz still, nur ein paar Vögel zwitschern am Waldesrand. Zuerst krabbeln die Frauen, dann die Männer durch die kleine Öffnung und setzen sich im Kreis auf die Isomatten im Zelt. Für einen Schneidersitz ist kein Platz. Feuermann Rainer bringt die ersten Steine, Maria schöpft mit einem Horn Wasser darauf und gibt Kräuter hinzu. Rainer schließt den Eingang. Hände, Knie, Zehen? Nie gesehen.

Anfangs zappelt der Geist noch unruhig hin und her, der Verstand probt den Aufstand. Der Atem muss den heißen Dampfwolken trotzen, Arme und Beine beschweren sich, weil es so ungemütlich ist, und während man damit beschäftigt ist, den Körper zu besänftigen, entspannt sich langsam der Kopf. Maria singt indianische Lieder, manche summen mit. Sie spricht von Mutter Erde, vom Loslassen, von der Bedeutung des "inneren Kindes", irgendwann murmelt sie auch unverständliche Dinge vor sich hin. Später wird die promovierte Chemikerin erzählen, dass sie in der Schwitzhütte manchmal Sprachen spricht, von denen sie noch nie gehört hat, die ihr aber "eingeflüstert" werden. "Nur weil ich eine Sache nicht weiß, heißt es nicht, dass es sie auch nicht gibt. Vielleicht wurde diese Sprache irgendwann irgendwo mal gesprochen?"

Zwei, drei Stunden später. Wer weiß das schon. Der glimmende Steinhaufen wirft endlich ein wenig Licht auf die glänzenden Körper. Ein vorsichtiger Blick in die Runde, was hat die Hitze mit den anderen gemacht? Manche sitzen ganz aufrecht, manche sind in sich zusammengefallen. Alle starren auf die Steine, die Gesichter sind freigeschwitzt von jeglicher Anspannung, jeglichem Druck. Der Eingang öffnet sich, wir krabbeln hinaus in die kalte Nacht und ziehen frische Luft ein wie Teenager ihre ersten Zigaretten. Alle stehen um das Feuer und gucken zu, wie ihre Ketten nun darin verbrennen.

Seelenballast ausschwitzen am Wochenende statt "Sportschau" und Gin Tonic

Die Nacht ist unruhig, aber das ist so gewünscht: Wer nicht gut schlafen kann auf dem Boden im Gemeinschaftsraum inmitten all der Fremden, erinnert sich am nächsten Morgen besser an seine Träume. Von denen ist am nächsten Morgen die Rede, in der Abschlussrunde, in der jeder erzählen soll, wie es ihm geht. Die meisten fühlen sich besser als am Vortag, geklärter, ruhiger, entspannter irgendwie. Sie wollen ihrem Alltag anders begegnen, sich Auszeiten einplanen, ihre Gefühle ernst nehmen. Die Leichtigkeit, so scheint es, ist zurück.

Es wäre womöglich einfach gewesen, sich lustig zu machen. Über die Menschen, die an einem Samstagabend in einem Zelt Seelenballast rausschwitzen wollen. Über all die Rituale, die eine Schwitzhütte so mit sich bringt, die Tiere und den Tabak, den roten "Familienstab" vor dem Zelt, darüber, dass die Hütte "Gebärmutter der Erde" genannt wird und der Weg zwischen Feuer und Hütte nicht gekreuzt werden darf.

Sicher gibt es andere Wege, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Aber braucht es nicht auch Mut, das Wochenende mit sich und seinen Gedanken zu verbringen statt mit "Sportschau" und Gin Tonic? "Meine Freunde haben mich ausgelacht, als ich sagte, was ich am Wochenende mache", sagt ein Mann mit erstaunlich großflächigem Tattoo auf dem Rücken. "Aber wo kann man sich schon Zeit nehmen für seine Probleme? Wenn es dir nicht gut geht, läufst du zum Arzt. Der verschreibt dir was, damit hat sich die Sache." Dabei gehe es nicht immer unbedingt um die ganz großen Probleme, sondern einfach um die Unfähigkeit, manchmal mit dem Leben zurechtzukommen. "Im Dunkeln bist du auf dich gestellt. Da wollen Dinge raus und zwar nicht über den Verstand, sondern über das Herz."

In dem Buch "Menschliches, Allzumenschliches" schrieb Friedrich Nietzsche: "Man nimmt die unerklärte dunkle Sache wichtiger als die erklärte helle". Auch wenn man dabei ganz schön schwitzen muss.

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