Aktionsplan zur Kindergesundheit:Der Fluch der Tiefkühlpizza

Die Bundesminister Ulla Schmidt und Horst Seehofer über Schulspeisung, Sport und die Lust an der Pizza.

Titus Arnu, Nina Bovensiepen

Bei der Fettleibigkeit belegen die Deutschen Platz eins in Europa. Mehr als 60 Prozent der Männer und 50 Prozent der Frauen sind zu dick. Mit einem "Nationalen Aktionsplan", der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde, will die Regierung das Ernährungs- und Bewegungsverhalten der Menschen bis 2020 verbessern. Über das Programm sprach die Süddeutsche Zeitung mit Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und Verbraucherminister Horst Seehofer (CSU).

Kindergesundheit; AP

Draußen spielen und gesund ernähren ist für viele Kinder heute keine Selbstverständlichkeit.

(Foto: Foto: AP)

SZ: Essen, Trinken und Bewegen sind zunächst einmal Privatsache. Wie kann die Politik da Einfluss nehmen?

Schmidt: Auf keinen Fall mit Verboten und Geboten. Das geht nur, indem man versucht, Aktionen zu unterstützen, die gesunde Ernährung und Bewegung fördern.

Seehofer: Es geht in der Tat um eine höchst persönliche Angelegenheit. Da soll die Politik helfen, aber nicht bevormunden. Wir wollen niemanden diskriminieren, jeder soll leben, wie er es für richtig hält. Aber wir wollen über die Frage, wie man die Lebensqualität verbessern und Krankheiten vermeiden kann, einen Anstoß geben zum gesünderen Leben.

SZ: Gerade in bildungsfernen und einkommensschwachen Familien sind ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel verbreitet. Wie erreichen Sie die?

Seehofer: Indem man dort hingeht, wo diese Menschen sind, in die Schulen und Kindergärten. Und bei Vorsorgeuntersuchungen haben die Ärzte die Möglichkeit, auf die Eltern zuzugehen.

Schmidt: Wir fördern gezielt Netzwerke in Stadtteilen mit sozialen Problemen.

SZ: Viele Kinder kommen morgens in die Schule, ohne etwas gegessen zu haben - weil die Eltern ihnen kein Frühstück machen. Wäre der erste Schritt nicht eine flächendeckende, gute Essensversorgung in der Schule?

Seehofer: Dass auch Kinder, die zu Hause nicht ausreichend zu essen bekommen, in der Schule ordentlich verpflegt werden, ist ein wichtiger Schlüssel zur Lösung des Problems. Deshalb ist es so wichtig, dass sich die Länder zunehmend um dieses Thema kümmern. Ich finde es menschlich unwürdig, wenn manche Kinder sich kein Mittagessen leisten können. In den Ländern gibt es gute Ansätze, um die Essensversorgung in den Schulen sicherzustellen.

SZ: Schulpolitik ist Ländersache. Wie kann die Bundesregierung da etwas bewirken?

Schmidt: Wir können Projekte unterstützen. Es geht ja nicht nur darum, dass jedes Kind eine Mahlzeit bekommt, es sollen ja auch gesunde Mahlzeiten sein. Deshalb werden zum Beispiel in Berlin Ernährungskurse für Eltern gefördert.

Seehofer: Wir fördern auch die Schulmilch in Nordrhein-Westfalen mit fast zehn Millionen Euro, als Modellprojekt.

SZ: Sollte es ein Schulfach "Ernährung" geben?

Schmidt: Kein Kind würde gerne ein Schulfach haben, das "Gesundheit und Ernährung" heißt. Aber man sollte den Themen in der Schule mehr Gewicht geben, und zwar so, dass es Spaß macht.

SZ: Wie kann man Erwachsene dazu bringen, sich im Arbeitsalltag mehr zu bewegen? Die wenigsten Firmen unterstützen die Fitness ihrer Mitarbeiter.

Auf der nächsten Seite: Woran lässt sich der Erfolg des Aktionsplans messen?

Der Fluch der Tiefkühlpizza

Schmidt: Neu soll von 2009 an sein, dass jeder Arbeitgeber das Recht erhält, 500 Euro in Präventionsangebote für Mitarbeiter zu investieren, steuerfrei. Das kann von der Rückenschulung bis zum Kochkurs gehen. In Zukunft wird das stärker genutzt werden, denn bisher mussten die 500 Euro als geldwerter Vorteil versteuert werden. Das hat das Kabinett letzte Woche beschlossen.

Horst Seehofer, Ulla Schmidt; dpa

Horst Seehofer und Ulla Schmidt wollen Aufklärungsarbeit leisten.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Wie viel Geld wird die Regierung für das Programm ausgeben?

Schmidt: Insgesamt 30 Millionen Euro. Das hört sich nach wenig an, aber auch kleine Summen können auf Dauer große Wirkung haben. Die Kosten, die für Erkrankungen, die durch Fehlernährung und Bewegungsmangel begünstigt werden, sind enorm. Allein für Diabeteserkrankungen werden in den nächsten Jahren 23 Milliarden Euro anfallen, für Herz- Kreislauferkrankungen 70 Milliarden Euro. Wenn wir wollen, dass unser Gesundheitssystem bezahlbar bleibt, lohnt es sich auf jeden Fall zu investieren.

SZ: Könnte eine einfach zu verstehende Lebensmittelkennzeichnung nicht auch ein kostengünstiger und sinnvoller Beitrag sein, der zum Umdenken bei den Konsumenten führt?

Seehofer: Ich bin zunächst froh über das, was wir erreicht haben. Es gibt ja eine neue Nährwertkennzeichnung. Die wichtigsten Anteile von Zucker, Fett, Eiweiß und Kohlehydraten werden in Prozentzahlen angegeben. Ein Beispiel: Ich habe mir beim Fußballschauen neulich eine Tiefkühlpizza gemacht, und dabei habe ich fasziniert festgestellt, wie genau die Nährwerte auf der Packung angegeben sind. Die Werte waren übrigens ziemlich hoch, wenn man die Pizza gegessen hat, ist das die Hälfte der Tagesration an Fett. Ich war sehr froh, diese Information zu haben, weil sie einen gesunden Ernährungsmix ermöglicht.

SZ: Haben Sie die Pizza dann trotzdem gegessen?

Seehofer: Ja, habe ich. Und ich will ja auch niemanden davon abhalten, mal eine Pizza oder eine Schweinshaxe zu essen. Wir wollen keine Produkte diskriminieren. Es erscheint mir nur sinnvoll, dass die Nährwerte gut verständlich für den Konsumenten angegeben werden, damit die Ernährung insgesamt ausgewogen zusammengestellt werden kann.

SZ: Warum führen Sie dann nicht die sogenannte Ampel-Kennzeichnung ein?

Seehofer: Darüber gibt es in der Regierung derzeit keine Einigung. Aber die Wirtschaft führt bereits freiwillig Farbsymbole ein. Zum Beispiel auf dieser Kakaopackung, die mir ein Mitarbeiter heute mitgebracht hat. Das rote Symbol bedeutet zeigt den Anteil an Fett, und in dem Symbol ist als Zusatzinformation die Prozentzahl des Tagesbedarfs angegeben. Das ist ein sinnvolles System, finde ich. Und das wird sich meiner Meinung nach von alleine durchsetzen, da ist eine lautlose Revolution im Gange.

SZ: An was lässt sich überhaupt messen, ob Ihr Aktionsplan etwas bringt?

Schmidt: Wir werden zum Beispiel alle drei Jahre prüfen, ob die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Essstörungen zu- oder abgenommen hat, denn wir werden die Gesundheitsberichterstattung verstetigen. Real werden wir aber erst in zehn, zwölf Jahren sehen, ob und wie viel die konkreten Präventionsmaßnahmen bringen.

SZ: Versuchen Sie persönlich, als Politiker bei Ernährung und Bewegung Vorbild zu sein?

Schmidt: Ja, ich bin in einem Fitnessclub, ich versuche, regelmäßig schwimmen zu gehen, ich laufe zwischendurch gerne mal zu Fuß. Das braucht man auch, wenn man von früh morgens bis spät abends hoch konzentriert arbeiten muss. Ohne Bewegung und gesundes Essen geht das nicht.

Seehofer: Ich versuche auch, mich möglichst oft zu bewegen, nehme zum Beispiel lieber die Treppe als den Lift und fahre ab und zu Rad. Ich finde schon, dass wir eine Vorbildfunktion haben, die Leute achten da sehr drauf. Das mit dem gesunden Essen ist allerdings leider ein Problem in unserem Beruf. Ich bin zum Beispiel ein entschiedener Gegner dieser Pausenbrote, die bei Konferenzen immer auf dem Tisch stehen. Auch bei uns im Ministerium übrigens. Das muss aufhören. Beim nächsten Mal gibt's Bananen, Birnen und Äpfel.

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