Aktion in Berlin:Mit dem #ubahn-Ticket gegen Belästigung

Wer pöbelt? Wer ist freundlich? Wer hilft sogar mit dem Kinderwagen? Zwei Berliner fahren in zwölf Stunden das ganze Berliner U-Bahn-Netz ab, beobachten die Fahrgäste und teilen ihre Eindrücke auf Twitter. Sie wollen so ein Zeichen gegen Belästigung setzen. Ein Gespräch über Stereotype und die Muße des U-Bahn-Fahrens.

Von Lena Jakat

Die Frau ist allein, die Gruppe junger Männer offenkundig betrunken und auf der Suche nach Radau. Sie setzen sich zu ihr, die ersten plumpen Sprüche fallen. Situationen wie diese gibt es jeden Tag, überall auf der Welt. Seit 7. April finden im Rahmen der Anti Street Harassment Week weltweit Aktionen gegen sexuelle Belästigung und Pöbelei im öffentlichen Raum statt. Zwei Berliner haben sich etwas Besonderes ausgedacht: Sie fahren U-Bahn. Maike Hank und Jörg Braun wollen alle Linien der Hauptstadt abfahren und dabei darauf achten, wie Menschen miteinander umgehen. Ihre Beobachtungen teilen sie live auf Twitter und im Anschluss daran im Blog kleinerdrei. Seit neun Uhr sind die Netzaktivistin und der Bundestagsmitarbeiter unterwegs, innerhalb von zwölf Stunden wollen sie ihre Stadtrundfahrt vollendet haben. Ein Gespräch über bedrohliche Situationen, Hilfsbereitschaft und Duschvorhänge.

Süddeutsche.de: Warum haben Sie sich die U-Bahn für Ihre Aktion ausgesucht?

Jörg Braun: Da war zuerst einmal der sportliche Aspekt: Schaffen wir es, an einem Tag alle U-Bahn-Linien abzufahren? Das wollte ich schon seit 2011 gern einmal ausprobieren.

Maike Hank: Über die Angst, als Frau U-Bahn zu fahren, habe ich Anfang Februar gebloggt. Unter anderem aus diesem Post ist dann die #Aufschrei-Debatte entstanden. Über Twitter kamen in diesem Zusammenhang dann viele Berichte darüber, wie Menschen im Öffentlichen Nahverkehr belästigt werden. Gemeinsam haben wir so das Projekt entwickelt.

Also wollen Sie beobachten, wie bedrohliche Situationen zustande kommen?

Hank: Nein! Uns ist schon vorgeworfen worden, mit einer negativen Haltung an die Sache heranzugehen. Wir wollen aber nicht nur gucken, wo etwas Schlimmes passiert, jemand zum beispiel sexuell belästigt wird. Sondern wir wollen allgemein darauf achten: Wie gehen die Menschen miteinander um?

Braun: Ich habe zum Beispiel zwei kleine Kinder. Mit dem Kinderwagen im Nahverkehr, das kann sehr frustrierend sein. Man macht aber auch positive, manchmal überraschende Erfahrungen. Es sind nicht die mittelalten, durchschnittlichen Männer, die mit dem Kinderwagen helfen. Sondern eher stereotype Hip-Hopper, gerne mit Migrationshintergrund ...

... die, um im Klischee zu bleiben, auf manches ältere Paar im Waggon vielleicht bedrohlich wirken könnten.

Braun: Genau. Wir wollen diese Stereotypen überprüfen. Zwar sind wir keine Ethnologen und das ist keine wissenschaftliche Studie, aber wir haben uns ein paar Beobachtungsregeln gegeben: Wir wollen auf keinen Fall irgendwas provozieren. Andererseits wollen wir unsere Beobachterrolle höchstens verlassen und eingreifen, falls was passiert.

#ubahn Aktion gegen Belästigung in Berlin

Mit einem U-Bahn Marathon setzen zwei Berliner ein Zeichen gegen Belästigung im Alltag. (Symbolbild von 2002)

(Foto: DPA)

Logistisch gab es da bestimmt auch einiges vorzubereiten?

Braun: Mathematiker der TU Berlin haben uns geholfen und berechnet, welche Route man am besten nimmt. Bei einer Umsteigezeit von fünf Minuten sollten wir es in knapp unter zwölf Stunden schaffen, jede Strecke einmal hin- und zurückzufahren. Das Gute ist, dass hier alle Linien die U2 kreuzen. So hangeln wir uns entlang.

Fahren Sie gern U-Bahn?

Braun: Ich bin schon ein leichter U-Bahn-Nerd, mich interessieren Streckennetze, ihre Entwicklung, sowas. Auf meinem Duschvorhang ist das U-Bahn-Netz von New York City. Das Rumgedrängel in den Stoßzeiten finde ich allerdings ziemlich anstrengend. Dann bin ich froh, dass man in dieser Stadt so gut Fahrradfahren kann.

Hank: Wenn ich Zeit habe, liebe ich es, die Leute in der U-Bahn anzugucken. In Berlin, aber besonders auch in anderen Ländern. So bekommt man direkt einen unverfälschten Eindruck von den Menschen dort. Vor einem Jahr war ich in Tokio. In den U-Bahnen dort sind die Menschen sehr zurückhaltend, vermeiden Blickkontakt. Ich habe außerdem noch nie so viele schlafende U-Bahn-Reisende gesehen wie dort. Ganz anders als hier.

Zwölf Stunden gemeinsam in der U-Bahn. Geht man sich da nicht auf die Nerven?

Hank: Wir müssen ja nicht ständig aufeinander kleben. Da bleibt auch mal Zeit, allein dazusitzen, den eigenen Gedanken nachzuhängen, eigene Beobachtungen zu machen. Einsam werden wir ohnehin nicht sein: In den vergangenen Tagen haben schon einige Leute, bekannte und unbekannte, angekündigt, uns Teile der Strecke begleiten zu wollen. Das wird spannend.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: