Ärzte-Kritik:"Man muss Patienten ausreden lassen"

Ärzte wollen, dass Kranke den Betrieb in Praxis oder Krankenhaus nicht durch langes Reden aufhalten. Doch es lohnt sich in mehrfacher Hinsicht, zuzuhören.

Werner Bartens

Ärzte unterbrechen ihre Patienten im Durchschnitt nach 15 Sekunden. Sie wollen, dass die Kranken in der Schilderung ihrer Beschwerden möglichst schnell auf den Punkt kommen und sich nicht in allgemeinen Klagen verlieren und den Betrieb in Praxis oder Krankenhaus aufhalten.

Für Ärzte lohnt es sich allerdings gleich in mehrfacher Hinsicht, wenn sie ihren Patienten zuhören, sie ausreden lassen und Empathie zeigen. Die Patienten sind dann nicht nur zufriedener.

Wer kommunikative Fähigkeiten beherrscht und einfühlsam im Patientengespräch ist, hat zudem auch weniger Beschwerden und Klagen bei Ärztekammern und anderen Behörden zu befürchten.

Zu diesem Ergebnis kommen kanadische Ärzte im Fachblatt Journal of the American Medical Association vom heutigen Dienstag (Bd. 298, S. 993, 2007).

Die Mediziner hatten untersucht, über welche Art von Ärzten sich Patienten besonders häufig beklagen. Für ihre Erhebung kam den Studienautoren zugute, dass angehende Mediziner in Kanada seit 1993 an einem eintägigen Test teilnehmen müssen, in dem ihre kommunikativen Fähigkeiten und ihr Geschick in der klinischen Untersuchung bewertet werden.

Dieser Test im Rahmen der Medizinerausbildung wurde immer wieder als unzureichend kritisiert. In der aktuellen Studie zeigt sich jedoch, dass diejenigen Ärzte, die in dem Test gut abschnitten, deutlich seltener mit Klagen von Patienten zu rechnen hatten. 3424 Mediziner wurden in die Studie einbezogenen. In der Gruppe, die in der Kommunikations-Prüfung die wenigsten Punkte erreichte, gab es 170 Beschwerden mehr als nach dem statistischen Durchschnitt zu erwarten gewesen wären.

"Ein niedriger Wert in diesem Examen ist ziemlich aussagekräftig dafür, wie zufrieden Patienten zukünftig mit dem Arzt sein werden", sagt Robyn Tamblin von der McGill University, Erstautor der Studie. "Es ist wie eine Dosis-Wirkungs-Beziehung - je höher die Werte, desto weniger wahrscheinlich sind Beschwerden."

Auf angemessenen Umgang mit Patienten achten

Dieser überraschend deutliche Zusammenhang sei unabhängig davon gewesen, ob es sich um männliche oder weibliche Ärzte handelte, ob sie aus dem Ausland oder Kanada stammten und ob sie in Ontario oder Quebec praktizierten.

"Diese Beobachtung unterstreicht, wie wichtig es ist, frühzeitig und regelmäßig in der Mediziner-Ausbildung auf kommunikative Fähigkeiten und den angemessenen Umgang mit Patienten zu achten", sagt Gregory Makoul vom Zentrum für Kommunikation in der Medizin der Northwestern University Chicago.

Auch in Deutschland bemühen sich Medizinfakultäten inzwischen darum, das Kommunikationstraining in der Ausbildung zu stärken. An der Universität München etwa wurde im Juni 2007 das Zentrum für Unterricht und Studium (Zeus) eingeweiht.

"Wir schulen Studenten systematisch darin, besser mit Patienten umzugehen und praktische Fertigkeiten zu optimieren", sagt Internist Martin Fischer, der das Zeus leitet. Mit dem Konzept der "Integrierten Medizin" versucht der Frankfurter Chirurg Bernd Hontschik seit Jahren, psychosomatische Ansätze und eine patientennahe Kommunikation in allen medizinischen Disziplinen zu stärken.

Dazu hat Hontschik 2006 auch die Reihe Medizinhuman im Suhrkamp-Verlag begründet. Seine Erfahrungen in der Praxis fasst Hontschik verblüffend einfach zusammen: "Man muss Patienten ausreden lassen", sagt der Chirurg. "Das spart Zeit, denn sonst drängt ihr eigentliches Anliegen immer wieder nach vorn."

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