Abgesang auf die Blockflöte:Fiep, Fuuup, Pffft

Abgesang auf die Blockflöte: Immer weniger Kinder spielen Blockflöte. Schade. Oder doch nicht?

Immer weniger Kinder spielen Blockflöte. Schade. Oder doch nicht?

Die Blockflöte verschwindet aus deutschen Wohnzimmern. Der Verband der Musikschulen meldet: In den vergangenen 18 Jahren hat sich die Zahl der Schüler halbiert. Das ist gut so. Aber irgendwie auch traurig.

Persönliche Erinnerungen der SZ.de-Redaktion

Die Blockflöte verschwindet. Der Trend ist eindeutig und es steht zu befürchten, dass - wenn kein Wunder passiert - die Zeiten vorbei sind, wo Kinder schlotternd neben dem Glühweinstand stehen und "Ihr Kinderlein kommet" piepsen. Denn seit 1995 hat sich die Zahl der flötenden Musikschüler auf 50.000 halbiert, heißt es vom Verband Deutscher Musikschulen. Ausgerechnet die Kinderflöte stirbt aus, einst verbindendes Element von Generationen. Bei Süddeutsche.de hat das nahende Ende der Blockflöte neben einem Gefühl der Erleichterung auch Wehmut ausgelöst. Denn hier arbeiten viele Kollegen, denen beinahe eine große Flöten-Karriere bevorstand. Warum daraus nichts wurde? Ach, lesen Sie selbst...

Oliver Klasen, Mitarbeiter Panorama:

"Man hätte das Experiment problemlos abbrechen können, damals, 1985 in der evangelischen Musikschule im baden-württembergischen Entringen. Man war doch so friedensbewegt damals, wählte die Grünen, protestierte gegen den Atomstaat und gegen die Pershing-Raketen der Amis. Trotzdem war man bereit, inmitten der Dorfgemeinschaft eine viel schlimmere Gewalt zu tolerieren: mein Blockflötenspiel. Die Wahrheit ist, kein Kind war je so gnadenlos untalentiert darin. Meine Finger trafen die Löcher nach einem allein von mir verstehbaren Zufallsprinzip, ständig vergaß ich das ohnehin schlampig geführte Notenheft - und selbst wenn ich einen Ton aus der Flöte herausbrachte, klang es wie ein rostiges Gartentor, das nicht richtig schließt. Zusätzlich wurde ich gedemütigt, weil meine zwei Jahre jüngere Schwester die beste Spielerin in der Kinder-Flötengruppe war, und sich die Musiklehrerin gefragt haben mag, wie zur Hölle Musikalität in der Familie so unterschiedlich verteilt sein kann. Warum auch meine Eltern nicht eingriffen, um die Welt und mich von dieser Tortur zu erlösen, ist mir bis heute schleierhaft. Vielleicht war es als Lektion in Sachen Durchhaltevermögen angelegt. Nach neun Monaten haben sie aufgegeben."

Ruth Klaus, Leitung Multimedia:

"Ich war sechs Jahre alt und natürlich musste ich unbedingt dieses Instrument lernen, schon allein wegen dieses tollen, farbenfrohen Putzwedels. Meine Mutter unterstützte diesen Drang zur musikalischen Früherziehung. Weil ich sicher war, alleine würde das keinen Spaß machen, trommelte ich die anderen Kinder aus der Nachbarschaft zusammen und stellte meine Mutter vor vollendete Tatsachen: Sie müsse jetzt sechs Kindern Blockflötenunterricht geben. Ihre Freude darüber hielt sich anfangs in Grenzen - die Fortschritte und der Stolz beim offiziellen Vorflöten unter dem Weihnachtsbaum auf dem Kirchenvorplatz überwogen letztlich aber doch. Womit nicht zu rechnen war: Die Mütter derjenigen Kinder, die aus Platzgründen nicht mehr in den Kurs aufgenommen werden konnten, bestraften meine Mutter mit beleidigter Missachtung. Was vom Flötenkurs übrig geblieben ist? Drei Freundschaften, Wollhandschuhe ohne Fingerkuppen vom adventlichen Vorflöten und die Erinnerung an den schönsten Ton, den dieses Instrument hervorbringen kann: Wenn man nach einmal kräftig Luft holen nur in den Kopf der Flöte pustet. Nur der bunte Putzwedel ist inzwischen weg."

Tobias Dorfer, Editorial SEO:

"Es war schon ein schwieriger Anfang mit der Blockflöte und mir. Meine Eltern hatten früh beschlossen, dass ich ein Instrument lernen sollte. Aber da sie sparsame Schwaben sind und nicht sicher waren, ob die Flöte und ihr Sohn langfristig zusammenpassen würden, hielten sie es für eine gute Idee, mir zunächst das alte Instrument meiner Mutter zu geben. Nun ist eine Flöte etwas ähnlich Intimes wie eine Zahnbürste oder ein Rasierapparat: Man gibt sie nicht so einfach weiter. Denn wer bitte möchte etwas in den Mund nehmen, was schon zuvor von anderen abgeschleckt wurde? Kurz gesagt: Ich fand die Flöte ziemlich eklig. Und nachdem ich in meiner ersten Unterrichtsstunde gemalte rote Äpfel und gelbe Zitronen auf dem Notenblatt vorfand, wusste ich: Ich werde in meinem Leben keine Flöte mehr anfassen. Dabei ist es geblieben. Meine Eltern haben mich dann zum Klavierunterricht angemeldet. Ein Klavier hatten wir glücklicherweise schon."

Flötespielen - immer noch besser als Vorsingen

Sebastian Gierke, Mitarbeiter Politik:

"Der Mann hieß Anton Detterbeck. Er war Musiklehrer in Niederbayern. Und er nahm diesen Job ernst. Mit beinahe militärischer Strenge leitete er uns an. Besonderen Wert legte er auf das Flötenspiel. Jede Woche mussten wir in der sechsten Klasse ein Stück einüben, jeder hatte eine Zeile vorzuspielen. Dazu musste jeder einzeln nach vorne kommen, sich auf einen Schemel stellen, Gesicht zum Spiegel, um die Haltung selbst überprüfen zu können. Mein Banknachbar war dran, Typ: romantisches Originalgenie. Einer, der glaubte, nichts lernen zu müssen, ganz aus sich selbst zu schöpfen, alles bereits zu können. Er stand auf dem Schemel - und konnte: nichts. Fiep, Fuuup, Pffft... Mehr bekam er nicht raus aus seinem Instrument, in das sein, äh, Banknachbar ein kleines Stückchen Taschentuch gestopft hatte. Detterbeck hatte sich neben ihm aufgebaut, das Gesicht nur wenige Zentimeter von den prallen Wangen des unglücklichen Flötisten entfernt, die seinen genauso aufgeblasen - bedrohlich aufgeblasen. Wütend packte der Lehrer die Hände des traurig Fiependen, drückte die Finger seines Schülers so fest auf die Löcher, dass diese rot anliefen. Rot an liefen auch die Augen des Schülers, die Tränen rannen, der Körper zitterte. Bald hielt er es nicht mehr aus, riss sich mit einer schnellen Bewegung los und das Mundstück von der Flöte. Mit einem erstickten Schrei und geschlossenen Augen schleuderte er es von sich. Es streifte mich nur, links am Kinn. Welch Glück. Vorspielen konnte ich so natürlich nicht mehr."

Lisa Sonnabend, Redakteurin Sport:

"Manche Heranwachsende stecken vor dem Nachhausekommen einen Pfefferminzkaugummi in den Mund, damit die Eltern nicht merken, dass sie geraucht oder getrunken haben. Eine Blockflöte kann schon in früheren Jahren vor unangenehmen Situationen bewahren. In der Grundschule stand das Vorsingen vor der Klasse an. Nur widerwillig machte ich mich auf zum Lehrerpult, denn ich treffe Töne noch bedeutend schlechter als der TSV 1860 München das Tor. Ich drehte mich also zu den Mitschülern und stimmte die ersten Takte eines Kinderliedes an. Ich glaube, es war "Hänschen klein" - und es klang kläglich. Tuscheln setzte ein, der Lehrer räusperte sich und unterbrach mich, 'Lisa, du kannst doch auch Flöte spielen! Warum spielst du uns nicht lieber etwas vor?' Das erste Mal in meinem Leben wusste ich mein Musikinstrument zu schätzen. Trotzdem weigerte ich mich kurze Zeit später, weiter in den Flötenunterricht zu gehen. Vorsingen musste ich allerdings auch nie wieder."

Johannes Kuhn, Redakteur Politik:

"Wer ein Instrument beherrschte, war im Musikunterricht klar im Vorteil: Vorspielen gab immer eine Eins, die wir gut gebrauchen konnten. Die Zahl der eingesetzten Blockflöten, in der fünften Klasse noch zweistellig, nahm allerdings mit der Zeit deutlich ab. Stattdessen kreuzten Mitschüler plötzlich mit Geige oder Saxophon auf, spielten Klavier. Teil des Größerwerdens, irgendwie. Diesem fiesen, ganz blockflötenfeindlichen Trend, widersetzte sich jedoch mein bester Freund Dirk. Er hatte nie ein anderes Instrument gelernt, eine Eins konnte er trotzdem gebrauchen. Noch in der 10. Klasse, inzwischen etwa 1,85 Meter groß, trat er deshalb mit seiner Blockflöte nach vorne, pustete ein schiefes stockendes Mini-Lied, das er schnell in der Pause eingeübt hatte, um dann grinsend eine gute Note einzufordern. Unser Musiklehrer Herr E. gab nach, unter der Bedingung, 'dass Du uns nie mehr damit quälst'. Der Welt ging damit ein Holzinstrument-Talent verloren, dabei hatte mein Freund doch immer von einem Ensemble mit Namen 'Alarm für Blockflöte 11' geträumt. Herr E., so darf ich mit voller Überzeugung behaupten, trägt also eine gewaltige Mitschuld am Niedergang der Blockflöte."

Felicitas Kock, Mitarbeiterin Panorama/Leben/Stil:

"Als ich in die Schule kam, wollte ich unbedingt zum Flötenunterricht. Anfangs übte ich fleißig und meine Lehrerin war begeistert. Dann übte ich weniger und sie zeigte ihr wahres Gesicht. Als besonders schlecht stellte sich die Idee heraus, die Flöte 'daheim vergessen' zu haben, in der Hoffnung, sofort wieder gehen zu dürfen. Denn Frau W. verfügte über mehrere Leihinstrumente. Und natürlich war die Leihflöte, in deren Mundstück Grundschüler seit Jahren ihren Haferflockenspeichel bliesen, recht unappettitlich. Den Tag, an dem meine Mutter mir erlaubte, den Flötenunterricht zu beenden, habe ich noch gut in Erinnerung: Am frühen Nachmittag kam es zum Showdown im Musikraum. Frau W. wollte mich nicht gehen lassen (was nicht an meiner Zukunft als Flötstar liegen konnte). Ich sollte bleiben und in eines der Leihinstrumente blasen. Die Flucht gelang mit einer List: Ich sagte, ich hätte meine Flöte im benachbarten Kinderhort vergessen. Das funktionierte. Ich durfte sie holen - und ward nie mehr gesehen."

Mit der Flöte 1000 Mark verdient - und eine Klarinette gekauft

Anna Günther, Volontärin SZ:

"Bibbernd wärmten sich die Menschen an ihren dampfenden Glühweintassen, sie quatschten mit Freunden und schlenderten durch die Gassen des Bochumer Weihnachtsmarktes. Die Grundschülerin mit der knallroten Mütze und ebenso roter Nase übersahen die Meisten. Dabei bemühte ich mich wirklich, spielte Weihnachtslied um Weihnachtslied auf der alten Blockflöte. Klassiker, Popsongs - und das auch nicht schräger als andere Kinder. Meine Mutter klatschte und jubelte, die Passanten schauten mitleidig. Schließlich gab es zur Belohnung einen Bratapfel. Und viele Münzen. Ob es der Niedlichkeitsfaktor war, Mitgefühl oder Schweigegeld, habe ich nie erfahren. Nach einer Saison Weihnachtsmarkt hatte ich 1000 Mark zusammen. Ich habe mir dafür eine Klarinette gekauft."

Frank Porzky, Mitarbeiter Leserdialog:

"Aus meinem Flötenunterricht ist mir vor allem das Leid vieler Freunde in Erinnerung geblieben. Wer nicht wie ich eine eigene Flöte aus Holz besaß, der musste von der fünften Klasse an hart büßen. Nicht nur in der Sadomaso-Szene ist die Farbe von Qual und Schmerz: glänzendes Schwarz. Unser Musiklehrer verteilte an die Flöt-Frischlinge Plastikflöten, selbstverständlich schon "gut eingespielt" von den älteren Jahrgängen. Alle mussten ran, egal wie schrill und schief der Ton klang. Das wohlige Gefühl, welches das weiche, helle Holz meiner Blockflöte mir in diesen Momenten vermittelte, konnte später nicht einmal von schwedischen Wohlfühlmöbeln übertroffen werden. Ich war sowas von in Sicherheit mit dem Ding."

Irene Helmes, Mitarbeiterin Kultur/Medien:

"Als Kind habe ich sehr gerne Blockflöte gespielt. Aber das wurde irgendwann langweilig und so wollte ich ein größeres und schöneres Exemplar. Eine Tenorflöte. Doch was dann im Musik-Geschäft passierte, war eine Enttäuschung. Ach was: eine Demütigung. Ich war klein, meine Hände waren das auch, und so musste mir der Verkäufer beibringen, dass eine richtige Tenorflöte für diese Fingerchen noch auf lange Zeit unerreichbar bleiben würde. Meine Eltern erinnern sich noch heute, ich sei "am Boden zerstört" gewesen. Zum Trost schenkte mir der Verkäufer eine Mundharmonika. In Miniaturformat."

Beate Wild, Redakteurin Metro/Regio:

"Mein Leidensweg begann im Kindergarten. Dort gab es diese Flötengruppe. Und selbstverständlich fanden meine Eltern, dass ihre Tochter auch an der musikalischen Früherziehung teilnehmen sollte. Als Belohnung, hieß es, dürfe die Flötengruppe bei der Kinderchristmette am Heiligen Abend in der Kirche auftreten. Es war ein langer, qualvoller Herbst des Übens, aber ich musste da durch. Schließlich sollte ich am Weihnachtstag meinen großen Auftritt haben. Selbst Spott der anderen Kinder, gegenseitiges Verstecken der Notenblätter und eine Beule am Kopf, nachdem mir ein Nachbarsbub seine Flöte übergebraten hatte, konnten mich nicht abschrecken. Als es dann soweit war und sich die Flötengruppe am Heiligen Abend neben dem Altar aufstellte, dachte ich eigentlich, dass ich in der hintersten Reihe sicher wäre. Doch die Kindergärtnerin sah das anders: Sie platzierte mich ganz vorne, sonst könne man mich ja nicht sehen. Meine falschen Einsätze und schrägen Töne bei 'Oh du Fröhliche' und 'Stille Nacht' konnten so jedenfalls alle in der Kirche hören. Spätestens dann war klar: Eine Musikerkarriere ist nichts für mich."

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