Abenteuerlicher Spielplatz für Kinder:Auf dem Spaßplatz

Abenteuerlicher Spielplatz für Kinder: Gegen die klassische Spielplatzordnung: Günter Beltzig ist Spielplatz-Gestalter und verbessert die Welt für Kinder (Symbolbild).

Gegen die klassische Spielplatzordnung: Günter Beltzig ist Spielplatz-Gestalter und verbessert die Welt für Kinder (Symbolbild).

(Foto: Hartmut Pöstges)

Menschenverstand statt Wissenschaft: Das Runterfallen lehrt Kinder, nicht mehr runterzufallen, auch ein Baum ist ein Spielplatz und eine Rutsche ist zu langweilig. Ein Spielplatz-Gestalter erzählt davon, was Kinder wollen.

Von Thomas Hahn

Wir spielten damals tief im wilden Westen. Direkt hinterm Haus. Auf dem struppigen Feld aus Sand und Gras, das wir "Tanke" nannten, weil darauf vor vielen Jahren eine Tankstelle gestanden hatte. Da war ein Gebüsch, in das wir uns verkriechen konnten. Da war auch eine kleine Anhöhe, hinter der wir uns verschanzten, um auf die Wiese schauen zu können, die endlose Prärie aus den Cowboy-Filmen. Drumherum lagen keine Felslandschaften, sondern die lieblichen Gärten der Pullacher Nachbarschaft, aber das machte nichts.

Wir spielten auch auf der Bullenwiese, dem ruppigen Fußballplatz neben der BND-Festung. Wir spielten auf Tore mit zerrissenen Netzen und mussten aufpassen, dass der Ball nicht über die Mauer zu den Agenten vom Nachrichtendienst rüber flog. Es waren gute Spielplätze. Wir befolgten dort die Aufforderung der großen Leute, nicht nur in der Stube zu hocken, und merkten es gar nicht.

Zum Glück gibt es genügend ernsthafte Wissenschaftler, die immer wieder erklären, dass Spielen für Kinder wichtig ist. Sonst würden es die anderen Leute, die was zu sagen haben, vielleicht gar nicht glauben und die Räume zum Spielen eng machen. Aber ein bisschen komisch ist es schon auch, dass die Erwachsenen erst mal mit großem Aufwand alles Mögliche erforschen müssen, um sich dann in schweren Fremdwörtersätzen gegenseitig zu bestätigen, was gar nicht infrage stehen kann.

Spielen macht Kinder schlau

Im Manifest zur Spielplatz-Initiative eines Getränke-Herstellers schreibt zum Beispiel die Psychologin und Erziehungswissenschaftlerin Professor Doktor Una Röhr-Sendlmeier von der Universität Bonn: "Psychologische und medizinische Untersuchungen bestätigen enge Korrelationen zwischen der koordinativen motorischen Leistung und der kognitiven Differenzierung." Spielen macht schlau - das hätten ihr die Kinder gleich sagen können. Und bestimmt könnten sie auch schlüssig herleiten, dass das auf Erwachsene genauso zutrifft - sofern die Erwachsenen ihre Spiele wirklich als Spiele auffassen und nicht als unentspannten Ego-Trip.

Aber was ist überhaupt ein guter Spielplatz? Auch so eine Frage, die nur ein Erwachsener stellen kann. Die meisten Kinder würden sich darüber kaputt lachen, weil das doch wohl klar wie Kloßbrühe ist, was ein guter Spielplatz ist: ein Platz halt, wo man machen kann, was Spaß macht. Trotzdem ist die Frage wichtig, weil die Erwachsenen die Macht haben und so sehr damit beschäftigt sind, die Welt zuzustellen, dass sie glatt vergessen könnten, wofür in der Landschaft auch Platz sein muss. Außerdem sind Erwachsene manchmal etwas einfältig. Sie stellen eine Schaukel, eine Rutsche und einen Sandkasten zwischen drei hohe Häuser und halten das für einen Spielplatz. Jedes Kind weiß, dass man auf so einem Platz nicht anständig spielen kann, allenfalls ganz kurz.

Im Grunde ist es schon ein Irrtum, erst die Häuser zu bauen und dann den Spielplatz. Zumindest kann man Günter Beltzig so verstehen, der sagt: "Der Spielplatz ist eine Fehlentwicklung, entstanden aus einer eher kinderfeindlichen Stadtplanung." Günter Beltzig ist freischaffender Spielplatz-Gestalter. 72 Jahre alt, aber vital wie ein junger Hund. Den Beruf hat er im Grunde selbst erfunden nach einer nicht ganz reibungslosen Jugend als hyperaktiver Schulabbrecher, einer Schlosserlehre, einem Abschluss an der Werkkunstschule und Anfängen als Industrie-Designer bei Siemens. "Ich bin Autodidakt", sagt er.

Die Welt für Kinder verbessern

In den Siebzigerjahren zog er mit seiner Frau aus München aufs Land. "Wir wollten die Welt verbessern und haben gedacht: Fangen wir doch mit den Kindern an." Er hat beobachtet, Gespräche geführt, Probleme entdeckt, nachgedacht, Spielgeräte erfunden und eine Spielplatzkunde entwickelt, die wenig mit wissenschaftlichen Daten zu tun hat, dafür ganz viel mit praktischem Menschenverstand.

Das Beltzig-Karussell aus Polyester ist ein Renner auf Spielplätzen. Man kann sich daran nicht festhalten, aber Beltzig sagt, genau deshalb sei es so sicher. "Wenn sich die Kinder nicht festhalten können, drehen sie sich nie zu schnell, sodass sie nicht runterfallen." Er nennt das "selbstsicherndes Verhalten". Kinder sind darin besser, als manche Eltern glauben, hat Günter Beltzig festgestellt.

Abenteuerspielplatz mit Rückzugsorten

Beltzig gibt eine Führung durch Spielplätze in Pfaffenhofen und Umgebung, an deren Gestaltung er mitgewirkt hat. Auf den Spielplätzen geht manchmal das Kind im Manne mit ihm durch, wenn er behände auf eine Rammbock-Schaukel aus dickem Hanf-Tau springt oder kraftvoll die von ihm erfundene Pumpen-Wippe bedient, mit der man am Schrobenhausener Jugendhilfezentrum St. Josef mit viel Körpereinsatz Wasser durch eine kleine Felslandschaft fließen lassen kann.

Und man bekommt einen guten Eindruck davon, wie Günter Beltzig die klassische Spielplatz-Ordnung mit Rutsche, Schaukel, Sandkasten aufgelöst hat in Landschaften mit Hügeln und Höhlen, verwunschenen Plätzen im Unterholz, weitläufigen Sandmulden und Klettergebäuden, in welchen die Kinder Rückzugsorte finden und von denen sie auch mal gefahrlos runterfallen können. Beltzig ist das wichtig. Er meint, dass man nur durchs Runterfallen lernt, wie man nicht runterfällt. "Ich bin ein Gegner der Rutsche als Einzelgerät", sagt Günter Beltzig.

Unkreatives Rauf und Runter ist für ihn nur so was wie ein dumpfer Sekundenspaß, bei dem ein Kind nicht viel entdecken kann. Aber begeistert streift er durchs Unterholz rund um die Josef-Maria-Lutz-Grundschule in Pfaffenhofen. "Wir wollen doch das Abenteuer", ruft er, "und wo ist das Abenteuer? Da, wo man es nicht gleich sehen kann." Beltzig hat die Schule bei der Schulhofgestaltung beraten. Seither ist der Hof ein Abenteuergarten mit grasbewachsener Buckelpiste, mit Holzturm, Ballspielfläche, Beltzig- Karussell - und mit lauter Verstecken, in denen sich die Kinder ihre eigene Welt bauen können, mit Werkzeugen aus dem von Mitschülern verwalteten Baubüro.

Auch ein Baum ist ein Spielplatz

Günter Beltzig sagt zum Beispiel: "Der gute Spielplatz ist der Spielplatz, an dem ich meine Freunde treffe." So gesehen ist jeder Platz ein guter Spielplatz, an dem man gerne etwas gemeinsam tut. Der Schulhof in Pfaffenhofen. Der eingegitterte Fußball-Hartplatz in Neukölln. Die Skateboardbahn im Münchner Hirschgarten. Oder ein Baum im Wald, in dessen Zweigen eine Bretterbude verborgen liegt.

Abenteuerlicher Spielplatz für Kinder: Hauptsache abenteuerlich: Auch ein Baum kann ein Spielplatz sein.

Hauptsache abenteuerlich: Auch ein Baum kann ein Spielplatz sein.

(Foto: DAH)

Aber Günter Beltzig kennt auch schlechte Spielplätze. Zum Abschluss der Tour saust er zu einem hin. Er liegt am Ortsrand von Deimhausen. Eine einsame Schaukel, versprengte Wippentiere, eine Rutsche. Günter Beltzig steigt aus und zeigt über die kaum befahrene Straße in die grüne Idylle hinein. "Da ist der Wald!", ruft er, "da ist die Wiese! Da kann ich Fußball spielen!" Er blickt fassungslos auf dieses leblose Gerüst-Ensemble Marke Standard-Bau. "Wozu braucht's das?!"

Die Tanke hätte Günter Beltzig gut gefallen. Aber die Tanke gibt es nicht mehr. Wo früher unser Wilder Westen war, stehen heute Reihenhäuser. Und die Bullenwiese ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Da sind jetzt Asphaltbahnen für Eisstockschützen und Skateboarder drauf. Mit der Zeit weht es den einen oder anderen Spielplatz weg, Tatsache. Aber das sollte kein Problem sein, weil dafür neue Spielplätze entstehen.

Die Wissenschaftler mit ihren Fremdwörtersätzen werden den anderen ernsthaften Leuten schon beibringen, dass sie die Räume zum Spielen nie eng machen dürfen. Außerdem ist Günter Beltzig ja auch noch da. Und solange die Kinder selbst nicht vergessen, dass sie draußen spielen können, geht die Hoffnung ohnehin nicht weg.

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