Zehn Jahre Facebook:Ein Leben ohne Food Porn

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Solche Bilder wären uns ohne Facebook erspart geblieben: Freunde, die sich als Gourmets und Meisterköche inszenieren.

Facebook ist aus dem Alltag vieler nicht mehr wegzudenken - und es hat uns so manches eingebrockt, auf das wir lieber verzichtet hätten. Zehn Dinge, die uns ohne die Social-Media-Plattform erspart geblieben wären.

Von Lena Jakat und Violetta Simon

Facebook blickt auf eine erfolgreiche Laufbahn zurück: Vor zehn Jahren trat die Social-Media-Plattform in unser Leben - und mit ihr eine neue Kultur der Kommunikation, eine neue Definition des Begriffs Freundschaft, eine neue Dimension der Selbstdarstellung. Ein Leben ohne Facebook ist für viele Menschen nicht mehr vorstellbar. Nicht auszudenken, was wir ohne Facebook ... - ja: was eigentlich? Eine Liste der Dinge, die uns ohne Facebook erspart geblieben wären.

  • Partys mit unkalkulierbarer Gästeliste. Schon praktisch, wenn man sich all die Einladungskarten sparen und sämtliche Freunde auf einmal einladen kann. Blöd nur, wenn man infolge mangelnder Medienkompetenz die Gästeliste mal eben um ein paar Tausend Personen erweitert - und die Feier sich zu einer Abriss-Party für Hooligans verselbständigt. Während manche aber Gäste bekommen, mit denen sie nicht gerechnet haben, wissen andere bis zur letzten Minute nicht, mit wem sie rechnen können. Da wird lapidar eine Zusage gepostet, aber dann doch nicht eingehalten. Weil ein anderer Facebook-Nutzer ein attraktiveres Event zu bieten hat, weil die "wirklich Wichtigen" kein "Gefällt mir" gepostet haben oder weil das verlockend gemütliche Sofa in letzter Minute gewonnen hat. Formgerecht absagen? Wozu? War ja keine förmliche Einladung, sondern nur ein Post. Womit wir beim nächsten Punkt wären.
  • Freunde, die keine sind. Soziale Netzwerke ermöglichen uns, mitzuteilen, was uns bewegt. Menschen, die das interessiert, sind eigentlich eher Follower, wie es auf Twitter heißt. Auf Facebook sind das aber "Freunde". Das Schöne daran ist, dass im Laufe der Zeit weitaus mehr zusammenkommen, als man im echten Leben verkraften würde. Für andere ist das weniger schön: Die Zahl der Freunde illustriert, für alle sichtbar, die eigene Bedeutung und den Grad der Beliebtheit. Diese Strahlkraft nutzen auch Politiker, Promis und Unternehmen gerne - selbst wenn sie hin und wieder nachhelfen und dafür zahlen müssen. Dank Facebook dürfen wir nun unterscheiden zwischen Followern und Freunden. Und uns überlegen, was ein Freund wert ist.
  • Der Chef als Freund. Wie aufgeweicht der Begriff "Freund" ist, ist spätestens klar, wenn unter den von Facebook vorgeschlagenen "Personen, die Du vielleicht kennst", der Chef auftaucht. Mit dem man sich noch so gut verstehen, den man noch so sehr respektieren mag - aber die Wochenenderlebnisse teilen? Was also ist zu tun? Sich mit dem Chef befreunden und fortan nichts Privates mehr posten? Oder zu umständlicher Wer-was-sehen-kann-Listenverwaltung übergehen? Sich nicht befreunden und Minuspunkte riskieren? Fragen, die uns ohne Facebook erspart geblieben wären.
  • Food Porn. Haben Sie sich früher damit auseinandergesetzt, was Ihre Grundschulfreundin der Familie zu Weihnachten serviert? Was der Hobbykoch aus Ihrem Bekanntenkreis sonntags zum Brunch zaubert? Nein? Dann wollen Sie aber wenigstens wissen, wie der "superleckere Apfelstrudel" aussieht, den Ihre Freunde in den Dolomiten genießen oder der "geniale Krabbencocktail", den sie in einem Drei-Sterne-Restaurant in Kapstadt bestellt haben. Facebook hat uns mit food porn - einer Bilderflut von den Esstischen - einen Futterneid der ganz neuen Art beschert.

Eine Welt ohne Selfies und öffentliche Liebesbekundungen

  • Urlaubsneid. Was früher die völlige Erschöpfung angesichts der dreistündigen Urlaubsbilder-Vorführung war, ist in Facebook-Zeiten der Neid. Endlose Sandstrände vor türkisblauem Ozean, exotische Skyline vor Abendrot, Freunde und Bekannte vor Fototapetenidylle. Und dank der Technik kann inzwischen ja auch jeder fotografieren. Womit wir beim nächsten Übel wären.
  • Selfies. Schon der Name klingt so unerträglich wie Erdbeerzahnpasta. Ein schauriges Versprechen, tausendfach eingelöst, Selbstporträt um Selbstporträt, Duckface um Duckface und Kussmund um Kussmund. Die süße Nachbarin fotografiert sich beim Shoppen, das süße Cousinchen lichtet sich im Café ab, die süße Freundin quetscht sich mit ihrem noch süßeren Baby auf ein Bild. So viel Zucker schadet der Gesundheit. Allerdings: Der Selbstporträtwahn hätte uns wohl auch ohne Facebook erreicht. Es gibt ja noch Twitter.
  • Fremde Liebesschwüre. Es gibt diese Paare, die Personalpronomen in der Einzahl abgeschafft haben. Die sogar während des gemeinsamen Essens Händchen halten (ein Glück, dass er links- und sie rechtshändig ist!). Seit der Erfindung von Facebook scheinen sie sich vervielfacht zu haben. Erwachsene Menschen, die jede Statusmeldung des geliebten anderen umgehend liken oder mit Worten kommentieren: "Mausi, ich vermiss dich sooooo (Herzchen) (Herzchen) (Herzchen)". Von denen man Updates erhält wie: "... ist mit dem weltbesten Ehemann Kai Müller (Rotwangensmiley) hier: ...". Das nervt. Besonders wenn man zur einen Hälfte dieses Paarklumpens auch mal das Gegenstück war.
  • Zeitlöcher. Wer hat sich nicht schon einmal beim Blick auf die Uhr in der Bildschirmecke und dem Gedanken ertappt: "WAS? Schon halb zwölf? Wie konnte das passieren?" Eigentlich wollte man doch endlich die Steuererklärung machen und endlich diese E-Mails schreiben. Dann aber schob sich Heikes Neuer ins Blickfeld. Dann der hübsche Freund von Heikes Neuem, der zufällig ja der Freund von Kirsten ist - und wo war die denn schon wieder im Urlaub?
  • Gekränkte Eltern. Endlich ist man dem Alter entwachsen, in dem Mutti einem mit dem Schal hinterherlief ("Du wirst dich erkälten!"). Doch kaum hat man die Fronten geklärt ("Ich kann selbst auf mich aufpassen!"), schon zeichnet sich die nächste Konfrontation ab: Die Eltern - mittlerweile selbst in die neuen Medien eingetaucht - wollen wenigstens virtuell teilhaben am Leben ihres Lieblings. Nun ist es ein Unterschied, ob man Mama und Papa erklärt, dass sie nicht auf die Party mitkommen können ("Da sind nur junge Leute!"). Oder ob man ihnen die Freundschaftsanfrage verweigert und auf Nachfrage ins Gesicht sagen muss: "Mama, ich bin dein Kind. Nicht dein Freund."
  • I-like-Sager. Es gab eine Zeit, da haben Menschen, wenn sie etwas gut fanden, gesagt: "Das finde ich gut." Wenn ihnen etwas gefiel, sagten sie: "Das gefällt mir." Und wenn sie etwas mochten, sagten sie: "Das mag ich." In den vergangenen zehn Jahren haben sie von Facebook gelernt, wie man sich heutzutage freut - man sagt, schreibt oder postet: "I like!" Das ist nicht nur schade, weil dieser Ausdruck unvollständig ist (Wer würde im Deutschen schon sagen "Ich mag!"). Man hat zugleich auch immer diesen verdammten, hochgereckten Daumen im Kopf.
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