Shell-Jugendstudie 2010:Die Ideenlosigkeit einer Ministerin

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Die Shell-Jugendstudie belegt: Die Jugend ist mal wieder besser als ihr Ruf. Probleme gibt es trotzdem. Ministerin Schröder, die sie lösen müsste, hat keine Rezepte gegen die Perspektivlosigkeit, die Jugendliche aus bestimmten Milieus erleben.

Thorsten Denkler, Berlin

Onur ist 15, geht auf die Hauptschule, die Eltern sind türkischer Abstammung. Er prügelte sich gerne und ausgiebig. Ein "Zündbombe" sei er gewesen, sagt er. Wenn man ihn anzündete, dann ging er eben hoch. Dann wechselte er die Schule, baute Vertrauen zu einem der neuen Lehrer auf. Jetzt ackert Onur für den "Quali", der Berechtigung, mit einem besonders guten Hauptschulabschluss weiterführende Schulen zu besuchen. Er ist zuversichtlich, dass er das schafft. Ein Optimist ganz im Einklang mit den Ergebnissen der 16. Shell-Jugendstudie, die an diesem Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Onur wird darin als ein Fallbeispiel vorgestellt.

Peter Blauwhoff, Deutschland-Chef von Shell, und Bundesfamilienministerin Kristina Schröder stellten vor der Bundespressekonferenz in Berlin die 16. Shell-Jugendstudie vor. Schröder blieb blass: Viel kann ihre Politik den Jugendlichen nicht anbieten. (Foto: dpa)

Finanzkrise, Abschwung, hohe Arbeitslosigkeit - für die aktuelle Generation der zwölf- bis 25-Jährigen scheint das alles kein Grund zu sein, "den Kopf in den Sand zu stecken", wie es der Deutschland-Chef von Shell, Peter Blauwhoff, formuliert. Trotz aller Widrigkeiten hat sich der Anteil der optimistischen Jugendlichen um neun Prozentpunkte auf 59 Prozent gegenüber der vorangegangenen Studie aus dem Jahr 2006 erhöht.

Alles im Lot also? Mitnichten. Die größte Jugendstudie in Deutschland belegt auch: Optimismus zeigen zunehmend eher die, die ihn sich leisten können. Die "Abgehängten", wie Studienleiter Mathias Albert sie nennt, sind inzwischen weitaus weniger zuversichtlich, wenn es um ihr weiteres Leben geht.

Hinter den "abgehängten Jugendlichen" verbergen sich etwa zehn bis 15 Prozent aller Jugendlichen, sie stammen zumeist aus sozial benachteiligten Familien. Bei ihnen weisen die statistischen Daten in fast allen Belangen auf eine düstere Zukunft hin. In der Regel haben sie eher schlechte Bildungsabschlüsse, verbringen viel Zeit mit Computerspielen, kümmern sich zu wenig um echte soziale Beziehungen.

Auf der anderen Seite stehen die anderen Jugendlichen mit sozial gesichertem Hintergrund. Die spielen eher weniger am Computer als mit Schulfreunden. Sie treiben Sport, lernen ein Instrument, sind besser in der Schule. Dass dort Zuversicht herrscht, verwundert nicht. Das Problem ist: "Die Kluft wird größer", sagt Jugendforscher Albert.

Das Problem der abgehängten Jugendlichen ist nicht neu. Seit Jahren weiß die Politik nichts mit ihnen anzufangen. Beispiele wie das von Onur gibt es zwar viele. Wenn aber bis zu 15 Prozent der Jugendlichen Gefahr laufen, den Anschluss an die Gesellschaft zu verlieren, sollte das Ansporn für die Politik sein, mehr für sie zu tun.

Bundesfamilien- und heute vor allem Jugendministerin Kristina Schröder, selbst erst seit acht Jahren der befragten Alterskohorte entwachsen, müsste darauf schon von Amts wegen Antworten geben. Die CDU-Frau ist ja auch eigens in die Bundespressekonferenz geeilt, um die Studie zu präsentieren.

Schröder aber nutzt die Pressekonferenz vor allem, um Werbung für ihre aktuelle Politik zu machen. Und die hat wenig mit Jugendlichen zwischen zwölf und 25, aber viel mit Kleinkindern zu tun. Ja, da gebe es Probleme bei sozial benachteiligten Jugendlichen. Aber deshalb habe sie ja dafür gekämpft, dass ihr kein Geld für den Ausbau der Kinderbetreuung gestrichen werde. Und über die Aufweichung des Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz für unter Dreijährige sei "nicht mit mir zu reden".

Gegen die Perspektivlosigkeit mancher Jugendlicher setzt sie ein 400-Millionen-Euro-Programm, mit dem an bundesweit 4000 Schwerpunkt-Kindergärten Halbtagsstellen für frühkindliche Bildung geschaffen werden sollen. Was von all dem die Jugendlichen von heute haben, sagt sie nicht. Das mag damit zusammenhängen, dass sie ihnen nicht sonderlich viel anzubieten hat.

Immerhin so viel: Damit Menschen mit Migrationshintergrund und aus bildungsfernen Schichten besser integriert werden, will Schröder einen bundesweiten freiwilligen Zivildienst etablieren, wenn die Wehrpflicht abgeschafft wird - offen für alle Altersgruppen und alle sozialen Schichten. Sie verschweigt allerdings, dass es dabei weniger um Integration geht. Bei einem Wegfall des klassischen Zivildienstes stünden nämlich Pflegeheime und Krankenhäuser vor einem echten Personalproblem, das sie mit dem freiwilligen Zivildienst beheben will.

Schröder hat immerhin eine gute Botschaft für den Teil der Internetgeneration, die sich nur für Spiele ins Netz einloggt: Ende September lädt sie zum "Dialog Internet" ein, weil auch das Internet Bildungschancen eröffnen könne. Das wird die angesprochenen Zielgruppen sicher freuen. Von einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Jugendstudie aber scheint Schröder noch weit entfernt.

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