Replik auf Norbert Blüm:Es gibt keinen Grund mehr, zu heiraten - außer Liebe

Brautpaar

Ein Brautpaar (Symbolbild)

(Foto: iStock)

Der ehemalige Arbeitsminister Norbert Blüm macht sich Sorgen um Ehe und Familie in Zeiten von Kinderkrippen, Lebenspartnerschaften und Karrierefrauen. Unsere Autorin findet: Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen macht wahre Liebe erst möglich.

Von Barbara Vorsamer

Norbert Blüm wird in diesem Jahr 78 Jahre alt. Die Menschen, die derzeit Familien gründen, könnten seine Enkel sein. Vielleicht erklärt das die Kluft zwischen der Realität, die Blüm in seinem in der SZ erschienenen Text "Von der Liebe bleibt der moderne Mensch verschont" zeichnet, und dem Leben, das in der Familie von heute stattfindet.

So hält er junge Paare für Vertreter des Homo oeconomicus, die mit dem Ehevertrag das Ende der Ehe schon vorweg organisieren. Ehen werden nicht auf Lebenszeit geschlossen, sondern nur noch, "bis etwas Besseres" kommt, befürchtet der frühere Arbeits- und Sozialminister der Ära Kohl.

Karrieren von Müttern sieht er kritisch. Schließlich müsse es jemanden geben, der für die Ehegemeinschaft arbeitet statt für den Erwerb. Auch Kinderbetreuung, "staatlich professionelle Erziehungsaufsicht", wie Blüm sie nennt, ist seiner Meinung nach Quell vieler Übel.

Doch es kommt noch schlimmer: Sogar von der Liebe bleibt der neue Mensch verschont, schreibt Blüm, und spricht ihm ab, Freude und Leid und Glück in seinen Beziehungen zu erleben.

Das Gegenteil ist der Fall.

Freiheit, auch ökonomische, macht vielen die Liebe überhaupt erst möglich. Wenn in einer Beziehung kein wie auch immer geartetes Ungleichgewicht herrscht, kann sich Liebe wirklich entwickeln. Noch vor ein paar Jahrzehnten gab es eine Vielzahl an gesellschaftlichen Normen, die Paare in die Ehe zwangen. Eine gemeinsame Wohnung war nur mit Ehering zu haben, ein Kind musste in der Ehe geboren werden, die Frau ohne qualifizierte Berufsausbildung war angewiesen auf einen Versorger.

In einer klassischen Alleinverdiener-Hausfrauen-Ehe gab es viele Gründe zusammenzubleiben, die mit der Liebe wenig zu tun hatten. Man will das Haus nicht verkaufen. Sie will nicht von einer mickrigen Hausfrauenrente leben. Er hat noch nie selbst ein Hemd gebügelt. Und bei einer Trennung würden die Leute reden. Die Partner waren abhängig. Was sie (noch) fühlten, war zweitrangig.

Heutzutage ist die Ehe kein Muss mehr, eine Scheidung keine gesellschaftliche Katastrophe. Kinder wachsen in und außerhalb der Ehe mit denselben Rechten auf. Und wenn die Finanzen geregelt sind, wenn beide Partner einen ebenbürtig bezahlten Beruf haben, die Frau nicht jahrelang zu Hause bleibt und auch der Mann sich in Haushalt und Kindererziehung einbringt - dann gibt es keinen Grund, zu heiraten. Und auch keinen, zusammenzubleiben.

Außer der Liebe.

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