Kinder - der ganz normale Wahnsinn:Wann sind wir endlich da?

Spätestens am Brenner spielen die Eltern ernsthaft mit dem Gedanken, den Familienurlaub gleich hier auf dem Lastwagen-Parkplatz zu verbringen. Nur damit die Kinder nicht noch 2679 Mal dieselbe Frage stellen können.

Katja Schnitzler

Sie hatten es sich so schön vorgestellt, die Eltern. Hatten auf eine Flugreise verzichtet (mit kleinen Kindern viel zu stressig, und dann diese unberechenbaren Verspätungen), hatten sich auch gegen die Bahn entschieden (da müssten sie Koffer, Rucksäcke und kleine Kinder schleppen, und dann diese unberechenbaren Verspätungen) und für die Urlaubsreise das Auto gewählt.

Weil die Eltern ja nicht zum ersten Mal verreisen, haben sie ihr Auto schon am Abend vor der Abfahrt vollgepackt. Nur in bislang unentdeckten Winkeln bleibt noch Platz für das Waschzeug und die Lieblings-Stofftiere der Kinder. So könnte die Familie am nächsten Tag entspannt in den verdienten Urlaub starten. Wie in der heilen Werbewelt, so hatten sich die Eltern das ausgemalt und waren ein wenig stolz auf sich und ihre Planung. Bis zum nächsten Morgen.

Früh um sechs Uhr schlägt die Realität erbarmungslos zu, als sich der ältere Sohn vor Aufregung kurz vor der Abfahrt übergeben muss. Er steht dabei vor dem Proviant: Das Essen in den Taschen (ballaststoffreich, aber mit Vitaminen) hätte bis zum Gardasee reichen sollen.

Dem Jüngeren fällt in diesem Moment auf, dass er ohne seine Taucherbrille nicht ans Meer fahren kann. Wo er die Taucherbrille zuletzt gesehen hat, weiß er aber nicht. Während also der Vater die Provianttasche wäscht, schrubbt und dann leise fluchend mitsamt Inhalt in den Müll wirft, macht sich die Mutter mit dem Jüngeren auf die Suche nach der ver**##!ten Taucherbrille. Sie finden eine lang verschollene Sandschaufel, eine einzelne rote Socke und einen Apfel, den leider niemand vermisst hatte. Die Taucherbrille finden sie nicht.

Während der Jüngere deswegen weint, der Ältere schon wieder würgt, entscheiden sich die Eltern für eine sofortige Abfahrt, mit Kindern. In ihrem Zeitplan liegen die Eltern eine dreiviertel Stunde zurück, daher wird der fehlende Proviant mit Essen von der nahen Tankstelle ersetzt (überzuckert, ganz ohne Vitamine). Der Kühlschrank daheim war sowieso leer.

Die Tankstelle ist einen Kilometer von zu Hause entfernt. Kurz hinter der Tankstelle, etwa zwanzig Meter weiter, steht eine Ampel. Hier kommt sie zum ersten Mal, die Frage:

"Wann sind wir endlich dahaaa?", sagt der Jüngere, der Ton leicht nölig.

"Das dauert noch laaaaange", antworten die Eltern unbedarft. Das wäre der ideale Zeitpunkt für eine kleine Notlüge gewesen. "Laaaaange" bedeutet im Zeitgefühl von Kleinkindern eine Minute, von Kindergartenkindern fünf Minuten, von Grundschülern achteinhalb Minuten. Und nicht länger. Wo ist das Meer?

"Warum fahrt ihr so langsam? Warum hält der vor uns? Wann sind wir dahaaa? Warum ist die Ampel rot? Sind wir schon auf der Autobahn? Sind wir jetzt da? Und jetzt? Warum nicht?"

Die Fragen von der Rückbank kommen nun rhythmisch, dazu zermalmen die Kinderfüße die hinter den Vordersitzen verstauten Essensvorräte. An roten Ampeln schlägt der Vater im Frage-Takt die Stirn ans Lenkrad, die Mutter versucht, mit zerbröselten Tankstellen-Keksen den Nachwuchs und die Nerven zu beruhigen.

Die Rettung naht in Form einer Kinder-CD, leider wurde nur Benjamin Blümchen eingepackt. Törö. Eine wunderbare Viertelstunde lang ist es still auf der Rückbank. Die Geschichte ist nur mäßig spannend, der Jüngere nickt ein. Bis der Ältere schreit: "JETZT SIND WIR DA!" Doch der Sand wird nicht von Wellen, sondern vom Bagger bewegt. Stau an der Autobahn-Baustelle, die Eltern haben nach ihrem Zeitplan drei Stunden Verspätung. Der wiedererwachte Jüngere gibt voller Tatendrang Anweisungen: "Papa, fahr doch schneller!" Kurze Atempause. "Wann sind wir endlich da?"

Damit sie nicht die Kinder anschreien, streiten die Eltern ein bisschen miteinander und schweigen dann die nächsten zehn Kilometer, also eine Stunde lang, schließlich ist Stau. Dann muss der Große aufs Klo, der Kleine noch dringender. Ein idealer Zeitpunkt, denkt sich der Stau, und löst sich auf. Die nächste Parkbucht kommt zu spät, "Ein bisschen was ist schon in die Hose gegangen", greint der Kleine, schniefend und müffelnd. Die Mutter reicht zum Trost angeschmolzene Schokolade und fragt ihren Mann: "Wann sind wir endlich da?"

Zwei Staus, vier Pinkel- und drei Essenspausen sowie 2679-Wann-sind-wir-endlich-da-Fragen später kommt das Meer in Sicht. Zwei Erwachsene und ein Grundschüler jubilieren.

Nur der Jüngste nölt: "Ich will wieder nach Hause."

Wie Eltern den Reisestress mit Kindern überstehen, ohne die Nerven zu verlieren, verrät der Psychologe Markus Schaer in den Expertentipps zur Erziehung.

Hier finden Sie zudem zehn Spiele für Auto, Bahn oder Flugzeug, die den Kindern die lange Reise verkürzen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: