"Gault Millaut":Marathon statt Moleküle

Nils Henkel von Schloss Lerbach ist der "Koch des Jahres 2009". Auch die anderen ausgezeichneten Köche des Gault Millaut zeigen einen Trend.

Patricia Bröhm

Die Einsamkeit des Langstreckenläufers kennt Nils Henkel nur zu gut. Nicht nur, dass er von Berlin bis New York schon die größten Marathon-Klassiker der Welt hinter sich gebracht hat. Auch beruflich hat er Beharrlichkeit bewiesen. Als junger Kochlehrling bekam er einmal ein Kochbuch von Dieter Müller in die Hände. Seither war es sein Traum, in dessen gefeierter Küche auf Schloss Lerbach in Bergisch-Gladbach mitzuarbeiten.

Nils Henkel

Nils Henkel ist der "Koch des Jahres".

(Foto: Foto: dpa)

1995 bewarb er sich zum ersten Mal und wurde abgelehnt. Zwei Jahre später versuchte er es wieder, mit Erfolg. Gut zehn Jahre kochte er mit Dieter Müller, zunächst als Souschef, in den vergangenen vier Jahren als gleichberechtigter Küchenchef. Er galt als designierter Nachfolger - und musste doch Ausdauer beweisen, bis der heute 60-jährige Müller wirklich bereit war, Anfang diesen Jahres den Kochlöffel zu übergeben. Dass der einstige Schüler längst Meisterniveau erreicht hat, zeigt die Entscheidung des Gault Millau, Nils Henkel zum "Koch des Jahres 2009" zu küren.

Die Auszeichnung ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil damit zum ersten Mal in Deutschland ein Drei-Sterne-Koch höchst erfolgreich an einen selbst gewählten Thronfolger übergeben hat. Sondern auch, weil der 39-jährige Henkel für einen neuen Typus Spitzenkoch in Deutschland steht. Um heute in der Topliga mitzuspielen, genügt es nicht mehr, einfach nur gut zu kochen. Mindestens ebenso wichtig ist eine andere Qualität: kulinarische Intelligenz. Henkel, der Arztsohn von der Ostseeküste, besitzt sie: "Mit ausgefeilter Technik, enzyklopädischem Wissen und einer großen Offenheit gegenüber allen Strömungen der weltweiten Kulinarik reifte er zum Spitzenkoch" begründet Gault Millau-Chefredakteur Manfred Kohnke die Entscheidung. Seine Kreationen klingen nicht nur vielversprechend, sondern schmecken auch so: Gedämpftes Filet vom Kabeljau, das er in einem würzigen Caldeirada-Muschelsud mit Fenchel-Gnocchi und Kabeljaukutteln serviert, Gebratene Taubenbrust mit Süßholzgewürzjus, dazu Auberginenpüree, Bohnen-Falaffel und Tauben-Croustillant.

Die Fähigkeit, aus kulinarischen Trends das Wesentliche herauszudestillieren, haben die meisten Kollegen, die in den vergangenen Jahren den begehrten Titel Koch des Jahres erhielten. Wie Nils Henkel zeichnen sich auch andere durch Weltoffenheit und einen intelligenten Einsatz von Produkten aus, die nicht der klassischen Luxusküche entstammen: Klaus Erfort (Gästehaus Erfort/Saarbrücken), Tim Raue (Ma Tim Raue und Uma/Berlin), Thomas Bühner (La Vie/Osnabrück), Sven Elverfeld (Aqua/Wolfsburg) oder Joachim Wissler (Vendôme/Bergisch-Gladbach). Gemeinsam bilden sie eine Art junge Elitetruppe der neuen deutschen Küche, mit der die hiesige Spitzengastronomie inzwischen auch im internationalen Vergleich gut dasteht.

Absurde Entwicklungen

Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass sich alle Genannten der medienwirksamen Molekularküche weitgehend enthalten haben - höchstens einzelne Elemente tauchten im einen oder anderen Gericht als Zitat dieses kulinarischen Trends auf. Gault Millau-Chef Manfred Kohnke geht im aktuellen Gourmet-Führer mit der Küchenchemie hart ins Gericht. Der spanische Avantgardekoch Ferran Adrià ist für ihn "der berühmteste Laborant unter den Küchenstars", sein Restaurant El Bulli im katalanischen Roses "ein Showroom der nahegelegenen spanischen Chemieindustrie". Im Sommer war ruchbar geworden, dass der als innovativster Koch der Welt geltende Adrià für seine Küchenalchemie unter anderem Lebensmittelzusatzstoffe verwendet, die Durchfall verursachen können oder in der Bodybuilderszene zum Einsatz kommen.

Auch in Deutschland haben sich Küchenchefs nicht gescheut, so appetitliche Zutaten wie Transglutaminase, Xanthan (wird für Tapetenkleister verwendet) oder unverdauliche Methylcellulose auf den Tisch zu bringen. Für Kohnke ist es eine absurde Entwicklung, "dass zur selben Zeit, da aufgrund wachsenden Gesundheits- und Umweltbewusstseins die Lebensmittelindustrie von der Chemie in ihren Produkten wegkommen will, die weniger intelligenten oder besonders skrupellosen Köche so gierig danach greifen."

Dass die meisten Gäste von all den Sphären, Schäumchen und Süppchen im Reagenzglas ohnehin wenig halten, zeigt eine andere Auszeichnung des Gault Millau: Restaurateur des Jahres ist Herbert Seckler von der Sansibar in Rantum/Sylt, der für sich in Anspruch nehmen kann, Deutschlands bestgebuchtes Restaurant zu betreiben. Neben seinem imposanten Weinkeller in den Dünen ist der Renner hier seit Jahren der im Ofen gebackene Steinbutt auf Chablisgemüse. Ganz einfach - und garantiert ohne Chemie.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: