Beziehung statt Singledasein:Ohne Streit keine Geborgenheit

Frauen auf die Südhalbkugel, Männer auf die Nordhalbkugel und einmal im Jahr ein riesiges Fortpflanzungstreffen am Äquator - ist das die Lösung, um dem ständigen Balanceakt in einer Beziehung zu entgehen? Wohl kaum. Ein Plädoyer für die Zweisamkeit in singlehaften Zeiten.

Michael Winter

Wir saßen nebeneinander im Biergarten und bemerkten, dass an den meisten Tischen entweder nur Frauen oder nur Männer zusammenhockten, die zudem mehrheitlich mit nicht anwesenden Personen telefonierten. Singletreffen, lautete die Auskunft der Serviererin, die mir das Bier brachte.

Die große Alleinsamkeit

Ist das Leben schön, wenn man morgens nur das eigene Spiegelbild anknurren kann, wenn man von Schüttelfrost geplagt auf allen Vieren zur Toilette kriecht, wenn man schließlich Selbstdiskussionen über Klimt-Ausstellungen oder die Documenta führt?

(Foto: Jochen Schönfeld - Fotolia)

Die Frau neben mir hatte wie immer grünen Tee und einen Salatteller bestellt. Meine Schweinshaxe kam mit knusprig gebratener Haut, die sich auf dem Fleisch in der nachwirkenden Brathitze aufwölbte und knisternd aufbrechende Pickel bildete. Die liebe Frau mit dem Salatteller stach wie immer behend die Kruste ab und führte sie sich zum Mund, wobei sie mit gespitzten Lippen ein erotisch anmutendes "Ö" hören ließ, aus dem der erfahrene Partner den Satz: Du wirst zu dick! heraushören konnte.

Was bleibt einem da übrig, als resignierend nach oben zu schauen. Man konnte den Sternenhimmel sehen. Kann nicht jeder, dachte ich, der in den Himmel schaut, die Linien zwischen den Sternen so zurechtdeuten, dass er dort oben an einem Tisch mit Männersternbildern sitzt und keine Frau aus einem Frauensternbild ihm mit dem zischenden Geräusch einer Sternschnuppe den Teller wegzieht?

Das war der Moment, in dem ich meine große Theorie für die endgültige Verbesserung der Welt entwickelte: Frauen auf die Südhalbkugel, Männer auf die Nordhalbkugel - oder auch umgekehrt - und einmal im Jahr ein riesiges Fortpflanzungstreffen am Äquator. Das war der Moment, in dem ich alle Frauen zum Teufel jagten wollte und feierlich schwören, für alle Zukunft als Single zu leben.

Passt ein Mensch zum anderen?

Ich stellte mir, während meine liebe Nachbarin über ganz andere Dinge sprach, die Frage: Passen Frauen und Männer überhaupt zusammen, oder Frauen und Frauen, oder Männer und Männer oder ein Mensch zum anderen, oder Mensch und Hund? Ich schlug mich auf die Seite der großen Westernhelden, der großen einsamen Komponisten Beethoven und Bruckner, des Eigenbrötlers Immanuel Kant. Ich wurde bestätigt vom Einzelgänger Gustave Flaubert, der geschrieben hat, er fühle mehr Zuneigung für seinen Hund als für einen Menschen.

Ich stellte mir vor, wie das wäre, vollkommen allein zu leben in studentenwohnheimartigen Waben. Ab und zu Äquatortreffen mit dem anderen Geschlecht. Ansonsten nur die Arbeit, die einem den Alltag strukturieren würde. Vor allem das Gefühl, im Trend zu sein. Schließlich lebt nach Zahlen des statistischen Bundesamtes zurzeit jeder Fünfte in einem Ein-Personen-Haushalt, Tendenz steigend. Sicher würde man mich in diesem Klub willkommen heißen.

Man bleibt Beethoven

Ich war in dem Moment entschlossen, allein zu leben. Allein - in einer leeren Terrassenhauswohnung oder im Klappmöbelappartement im achten Stock, neben, über und unter hundert anderen Menschen in ihren Wohnkuben. Ich würde sie hämmern hören, hören, wenn sie die Klospülung oder ihre Musikanlagen nutzen. Ich würde zufällig sehen, während ich die Spülmaschine ausräume und dabei aus dem Fenster schaue, wie gegenüber einer unantastbar in seiner Singlehaut vom Balkon springt.

Können einen vier Betonwände beherbergen? Ist man geborgen in einem Appartement, das man alleine wie eine zweite Epidermis bewohnt? Ist man geborgen, wenn keiner einem mehr die Kruste vom Schweinsbraten stibitzt? Ist man in Gesellschaft, wenn man mit Hunderten auf dem Tanzboden ohne Körper- und Sprachkontakt die Nächte durchfeiert? Nein, man bleibt Beethoven.

Hmm. Aber was dann? Allein durchs Leben? Ist das Leben schön, wenn die Reinigung für einen Monat wegen Betriebsferien schließt? Wenn man abends ratlos in den leeren Kühlschrank und dann in die Gesichter aller Ersatzfreunde auf dem Bildschirm starrt, während draußen ein Starkregen nach dem anderen niedergeht?

Wenn man morgens nur das eigene Spiegelbild anknurren kann, wenn man von Schüttelfrost geplagt auf allen Vieren zur Toilette kriecht, wenn man schließlich Selbstdiskussionen über Klimt-Ausstellungen oder die Documenta führt, wenn sich bei Einladungen die Rededämme öffnen und man alle überschwemmt, die mit am Tisch sitzen? Wenn man sich mit niemandem täglich beharken kann? Wenn man merkt, dass Liebe nicht kaufbar, nicht einmal herbeizuzaubern ist und insgesamt außerhalb unserer Verfügung liegt?

Schritt für Schritt, wie am Berg

Ich kam zu dem Schluss, dass Zweisamkeit eine Notwendigkeit und ein kostbarer Balanceakt gegenseitiger in Jahren eingeübter Geduld ist, der erst nach täglich wiederholtem, fast schon artistischem Training - Schritt für Schritt, wie am Berg - vielleicht irgendwann schwerelos funktionieren könnte.

Die Chance, selbst unter Gleichgesinnten mit gleichem Bildungs- und Sozialhintergrund, mit gleichen Interessen, ähnlichem Arbeitsalltag und in regionaler Nähe einen geeigneten Partner zu finden, steht eins zu zweihundert, sagt Christian Thiel, Single- und Partnerschaftsberater in Berlin.

"Und bin ganz leicht"

Kürzlich, bei einem Treffen von Freunden, eröffnete einer dem staunenden Publikum, er habe geheiratet. Der Mann war in die Jahre gekommen. Ein typischer Single ohne allein zu sein, von Frauen umgeben, die ihn verlassen hatten - von Bildung durchsetzt. Aber nun mit einer Partnerin um sich, die alles Bedeutungsschwere wie eine Aspirinbrausetablette in Wasser auflösen konnte.

Ich unterhielt mich lange mit ihm, und es entspann sich aus dem Dialog der Entwurf zu einem Leben in Zweisamkeit. Soweit ich das noch in Erinnerung habe, ging es darum, dass Alleinsamkeit wie ein unredigierter Text sei, ein korrektivloses Leben. Wer keinen anderen Menschen um sich hat, der dunstet aus.

Niemand hat in der Weltliteratur einen so erschütternden Satz über den Verlust der Zweisamkeit geschrieben und sich damit so unbedingt in die Herzen aller notgedrungenen Singles und vor die Tore der Herzen aller freiwilligen Einzelgänger gestellt, wie Gotthold Ephraim Lessing. Lessing hatte 1777 und 1778 kurz hintereinander Frau und Kind verloren und schreibt aus Wolfenbüttel an seinen Freund Johann Joachim Eschenburg: "Meine Frau ist tot: und diese Erfahrung habe ich nun auch gemacht. Ich freue mich, dass mir viel dergleichen Erfahrungen nicht mehr übrig sein können zu machen; und bin ganz leicht."

Jeden Abend aufs Neue vertragen

Ist der Grund für die Scheu vor einer lebenslangen Zweisamkeit die Angst vor dem Verlust des Lebenspartners? Das größte Lebenswagnis ist nicht das Singledasein, wurde mir plötzlich klar, sondern die Gemeinsamkeit bis in den Tod. Es gibt noch die Paare, die ein Leben lang zusammenbleiben, auch wenn die Leidenschaft versiegt ist, und sich alle anderen noch im hohen Alter scheiden lassen.

Worin besteht das Geheimnis eines solchen Zusammenhalts? Humor und Toleranz zählen mit. Aber es ist die tiefe Freundschaft, das Grundvertrauen, das dazu führt, sich jeden Abend vor dem Einschlafen aufs Neue zu vertragen.

Ich wandte mich wieder meiner liebsten Salatfreundin zu, die inzwischen meine Grillhaxe aufgegessen hatte. Du warst abwesend, sagte sie. Jetzt bin ich wieder bei dir, antwortete ich und zog den Salatteller zu mir her, den sie nicht angerührt hatte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: