"Zwei Herren im Anzug" in der SZ-Cinemathek:Eine Schuld, die sich tief in die deutsche Seele frisst

Zwei Herren im Anzug

Verfolgt von der Geschichte: Wirt Pankraz (Josef Bierbichler) und sein Faktotum Hanusch (Benjamin Cabuk).

(Foto: Marco Nagel/Verleih)

Schauspieler Josef Bierbichler hat seinen eigenen Roman verfilmt. "Zwei Herren im Anzug" erzählt bildgewaltig, aber etwas hölzern von verdrängter deutscher Geschichte.

Von Christine Dössel

Der See ist wichtig, er blickt auf diesen Film, prägt seine Geschichte. Er war schon immer da. Er hat Geduld und ist gnädig und wird auch die nächsten Generationen überdauern. "Es ist, als ob der See mich beobachtet", wird der Wirt Pankraz einmal in rauer Nacht raunen. Gleich zu Beginn fährt die Kamera vom Wasser aus auf das Wirtshaus am Ufer zu, und auf der Oberfläche treiben zwei schwarze Hüte. Es sind dieselben schwimmenden Hüte, die auch am Ende des Films im Blick sein werden, nachdem ihre beiden Träger, die "zwei Herren im Anzug", zufrieden lächelnd ins Wasser gegangen sind. Als hätten sie ihre Mission erfüllt.

Diese Herren, die dem ersten eigenen Kinofilm des urbayerischen Schauspielers Josef Bierbichler den Titel geben, sind allegorische Figuren. Oder sagen wir vielleicht besser: Wiedergänger, Gespenster der deutschen Geschichte. Das Drehbuch benennt sie als "Spezialist" und "Laie". Immer wieder tauchen sie als lächelnde Beobachter auf, bei den unterschiedlichsten Begebenheiten. Gespielt werden sie von dem Holländer Johan Simons, dem ehemaligen Intendanten der Münchner Kammerspiele, und Peter Brombacher, Schauspieler der alten Garde an eben diesem Haus. Noch etliche andere Theaterleute wirken in dem Film mit, darunter der Leiter der Berliner Schaubühne, Thomas Ostermeier (als Pankraz' Kriegsfreund Kranz). Und vom Theater, seiner künstlerischen Heimat, kommt auch Bierbichlers inszenatorischer Gestus.

Man sollte keinen volkstümelnden oder irgendwie nostalgischen Heimatfilm erwarten

Wenn man die beiden titelgebenden Herren das erste Mal sieht, zur Zeit der Mobilmachung im Ersten Weltkrieg, als die Burschen des Dorfes geschmückt und fröhlich singend zum Töten losziehen, sagt der eine: "In der Zeit des Verrats sind die Landschaften schön." Das ist eine Zeile aus einem Gedicht von Heiner Müller, dem großen Totenbeschwörer der deutschen Literatur. Später zitieren die beiden Herren auch mal den verstorben jüdischen Theatermacher George Tabori, dessen Vater beim Eintritt in die Gaskammer höflich gesagt haben soll: "Nach Ihnen, Herr Mandelbaum."

Das zeigt schon mal, wohin hier, vom oberbayerischen Seeufer aus, die Stoßrichtung geht: tief zurück und hinein in die deutsche Vergangenheit mit all den Toten, den verdrängten Erinnerungen und der Schuld, die sie birgt. Man sollte also keinen volkstümelnden oder irgendwie nostalgischen Heimatfilm erwarten, so bäuerlich-bayerisch das Milieu auch ist - und so tief bairisch der Dialekt. Josef "Sepp" Bierbichler, baumstarker Kraftschauspieler mit hauseigener Wirtschaft in Ambach am Starnberger See, hat in "Zwei Herren im Anzug" Motive aus seinem donnernden Heimatroman "Mittelreich" verfilmt (wobei der Schauplatz nicht sein eigenes Gasthaus "Zum Fischmeister" ist). Das Buch hat es auch schon an den Münchner Kammerspielen auf die Bühne geschafft.

Wie der Roman und die Theateradaption, nur fokussierter, erzählt auch der Film eine Familiensaga über drei Generationen hinweg, und Bierbichler hält dabei als Drehbuchautor, Regisseur und Hauptdarsteller (in gleich zwei Patriarchenrollen) alle Fäden in der Hand. Es ist eine Pranke, die kräftig zulangt und derb-realistische Szenen hinhaut - wie die Hausschlachtung einer Sau samt der damit verbundenen Scheiße -, die aber auch vor Expressionismus und Opernpathos nicht zurückschreckt. In der wilden Sturmnacht, der zentralen Szene des Films, wenn der Seewirt Pankraz sein Erbe verflucht ("Ich hasse diesen Heimatkram!"), tobt der See meergewaltig. Wagner wogt, die Wellen wallen, und mit der Arie "Die Frist ist um" des "Fliegenden Holländers" stürzt sich Pankraz alias Bierbichler in die Fluten: "Ew'ge Vernichtung, nimm mich auf!" Heiliger Strohsack, was für eine Dramatik!

Bierbichler spielt mit massiger Autorität

Erzählt wird das alles in Rückblenden von 1984 aus. Der gealterte Pankraz hat gerade seine Frau Theres (Martina Gedeck) beerdigt und die letzten Leichenschmaus-Gäste verabschiedet. Jetzt sitzt er mit seinem Sohn Semi, gespielt von Bierbichlers tatsächlichem Sohn Simon Donatz, im rustikalen Wirtshaussaal am Tisch und rollt stockend die Familiengeschichte auf. Es drängt den Alten zu erzählen, wiewohl - oder gerade weil - er nie einen Bezug hatte zu seinem Sohn.

Semi sitzt zunächst nur dumpf da, kippt Schnaps in sich hinein und raucht Roth-Händle. Später dann übernimmt er selbst die Erzählerrolle, sodass ein Perspektivwechsel stattfindet. Was der Sohn beizutragen hat, ist nicht ohne: Im katholischen Internat wurde er von einem Pater sexuell missbraucht, und die Szene, in der sich Semi nackt zur todkranken Mutter ins Bett legt und diese besteigt, um in ihren Schoß "zurückzukehren", ist die wohl krasseste des Films.

Josef Bierbichler spielt auch den alten Seewirt, dessen Ansagen keinen Widerspruch dulden

Die frühen Rückblenden sind in Schwarz-Weiß gehalten und von großer Retro-Schönheit - auch Leni Riefenstahls Ästhetik wird zitiert -; erst mit dem Wirtschaftswunder setzt Farbe ein. Bierbichler spielt mit massiger Autorität auch Pankraz' Vater, den alten Seewirt, dessen familiäre Ansagen keinen Widerspruch dulden. Der junge Pankraz (wieder Simon Donatz) ist ein musiksinniger Bursche mit schöner Stimme, dem eine Karriere als Operntenor winkt. Doch seine Berufspläne zerschlagen sich jäh, als sein älterer Bruder Toni, dem sie im Ersten Weltkrieg ins Hirn geschossen haben, als geisteskrank eingewiesen wird. Jetzt muss Pankraz die Seewirtschaft übernehmen, jenes Erbe, das er später so deftig verfluchen wird.

Pankraz erinnert sich in seiner Rückschau an vieles: die Geburt des Sohnes, die Unterbringung der Vertriebenen nach dem Krieg, den ersten Traktor, das neue Radio, die Gemeinheiten seiner bigotten Schwestern (Irm Hermann, Sarah Camp) gegenüber seiner Frau - nur an seine Zeit als Soldat an der Ostfront im Zweiten Weltkrieg erinnert er sich nicht. Nichts als weiße Landschaften, blanke Lücke. Es ist dieses Eisloch im Gedächtnis, das ihn all die Jahre umtreibt und sein Herz kalt umfasst. Und das ihn so lebensmüde in den See springen lässt. Wenn man am Ende erfährt, was passiert ist, damals in Polen 1944, wird einem klar: Im Grunde ist dieser redselig im Gestern stochernde, teils artifiziell sich versteigende Film die Geschichte einer Depression. Verbunden mit einer Schuld. Da wurde etwas nicht aufgearbeitet, und das frisst sich weiter und weiter, tiefer und tiefer in die (deutsche) Seele hinein. Die Vergangenheit lässt sich nicht einfach abschütteln. Sie ist da wie ein verfluchtes Erbe.

Das breit Erzählte bleibt allerdings zu episodisch und brüchig, als dass man dem Vater oder dem Sohn wirklich nahekommen und empathisch in ihre Geschichte einsteigen könnte. Gleichzeitig kommt es so schwerblütig und schwermütig daher, dialogisch oft so hölzern und symbolhaft ausgestellt, dass es dem Film an Leichtigkeit und Natürlichkeit fehlt. Bierbichlers Kunstwille ist groß. Er, der seine Schauspielerkarriere in den absurden Anarcho-Filmen seines Freundes Herbert Achternbusch begann, erfindet zwischendurch surrealistische Szenen, die just aus einem Achternbusch-Film stammen könnten. Da gehört der alte Dorfindianer vor dem Wirtshaus genauso dazu wie die Himmelfahrt der frommen Mare.

Gefilmt ist dieser eigentümliche Stilmix in bestechenden Bildern (Tom Fährmann). Es sind Bilder, die Menschen wie aus alten Fotoalben heraus lebendig werden lassen. Bilder, die zeigen, wie Räume und Landschaften auf diese Menschen abstrahlen, sie säumen und prägen. Bilder, so schön, dass man manche zu Stillleben gefrieren lassen möchte. Und es gibt Momente, wo tatsächlich das unkonventionelle, wildwüchsige Kino gelingt, wie Bierbichler es wohl im Sinn hat.

Der Höhepunkt ist das Kostümfest in jener Sturmnacht des Jahres 1954. Wie da ein bunter Haufen von Dörflern, Besatzern und Kriegsflüchtlingen im Wirtshaus Fasching feiert, begleitet von der schräg-lasziven Volksmusik der Gruppe Kofelgschroa, hat fellinesk-orgiastische Züge. Fulminant der Auftritt von Catrin Striebeck als weiblicher Hitler mit Stilettos und Striptease-Ambitionen. Da kocht der Saal und erliegt ihren Reizen. "Wir sind noch lange nicht alle abgetreten", raunt die Hitlerin dem überforderten Pankraz ins Ohr. "Dazu waren wir zu viele." Dieser kontert mit dem Satz: "Ich war doch nie ein Nazi! Doch kein Nazi war ich nie."

Zwei Herren im Anzug, Deutschland 2018 - Regie und Drehbuch: Josef Bierbichler, nach seinem Roman "Mittelreich". Kamera: Tom Fährmann. Schnitt: Karina Ressler. Mit Sepp Bierbichler, Martina Gedeck, Simon Donatz, Sophie Stockinger. X-Verleih, 139 Minuten.

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