Zur Neutralität der Nothelfer:Das Kreuz mit der Hilfe

Auf Kosten der Opfer: Ethik und Politik waren bei Katastrophen wie in Birma nie zu trennen - es gibt Streit um die Symbole und immer wieder Stoff für Verschwörungstheorien.

Andrian Kreye

Als sich die Gründungsmitglieder des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes 1863 in Genf zusammenfanden, gründeten sie eine humanitäre Organisation, deren Neutralität weltweit über allen Machtansprüchen stehen sollte. Bis heute hat sich auch keine andere Organisation so streng an die Regeln der Neutralität gehalten wie das Rote Kreuz, das nie mit Politik und Medien kooperierte.

Trotzdem wurde schon bald nach der Gründung klar, dass sich Ethik und Politik selbst dann nicht trennen lassen, wenn humanitäre Hilfe über jeden Zweifel erhaben sein soll. Es entbrannte ein Streit um Symbole, der erst vor zwei Jahren ein vorläufiges Ende fand, als die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung ein neues Emblem vorstellten: den roten Kristall. Der Versuch aber, Politik und Ethik angesichts der Katastrophe zu trennen, ist in diesen Tagen in Birma einmal mehr gescheitert.

Nun gibt es kaum ein Land, das so vom Verfolgungswahn seiner Herrscher bestimmt wird wie Birma. An jeder größeren Straßenecke stehen dort riesige Tafeln, auf denen in weißen Lettern auf rotem Grund vor destruktiven Elementen aus dem Ausland gewarnt wird. Diese Paranoia hat nach den Verwüstungen durch den Zyklon Nargis vielen Menschen das Leben gekostet, denn das Regime verweigerte bis zum vergangenen Wochenende drei Wochen lang allen ausländischen Helfern die Einreise.

Die Angst der birmanischen Diktatoren vor der internationalen Nothilfe ist kein Einzelfall. Im Sommer 2005 ließ das nicht minder paranoide nordkoreanische Regime das Büro des World Food Programme in Pjöngjang schließen. Robert Mugabes Regime erschwert die Arbeit internationaler Hilfsorganisationen in Simbabwe. Die sudanesische Regierung tut dies in Darfur. Im Rest der Welt sind die Behinderungen internationaler Nothilfe nur schwer nachvollziehbar. Deswegen ist nun eine Debatte darüber entbrannt, ob man Nothilfe in Situationen wie in Birma nicht erzwingen sollte.

Friedensdividende der Weltmächte

Unter angelsächsischen Intellektuellen hat diese Debatte inzwischen einen Siedepunkt erreicht wie zuletzt in den Debatten um den Irakkrieg. Da fordert der britische Historiker Timothy Garton Ash unverblümt die humanitäre Intervention. Der Publizist David Rieff dagegen warnte in einem Essay vor dem Konkurrenzkampf der Hilfsorganisationen. Doch es sind genau diese Töne, die den Nothelfern die Arbeit auf lange Zeit erschweren werden. Denn die Ethik der Nothilfe und die Politik der Abgrenzung lassen sich auch angesichts allergrößter Not nicht auf einen Nenner bringen.

Für die internationale Gemeinschaft ist das so schwer zu verstehen, weil die humanitäre Hilfe keineswegs nur im christlich-westlichen Wertekanon wurzelt. Egal ob die christliche Barmherzigkeit, die Zakat des Islam oder die buddhistische Tugend des Karuna - die Ethik der Hilfe stand in der Geschichte der Menschheit prinzipiell über allem Glauben und aller Macht. Diese Überzeugung von der eigenen Wohltätigkeit führte zu einem grundlegenden Strukturproblem. Als eine Art Friedensdividende bildeten die Weltmächte, allen voran die USA, nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Streitkräfte für internationale Hilfseinsätze aus.

Das waren zunächst rein pragmatische Überlegungen. Schließlich verfügen Streitkräfte über genau das schwere Gerät, mit dem man Katastrophensituationen in den Griff bekommt - Schiffe, Flugzeuge, Hubschrauber, Räumfahrzeuge. In den betroffenen Ländern aber verfügen nur die dortigen Streitkräfte über die nötige Infrastruktur, um zu helfen. Die lassen sich nur ungern von ausländischen Offizieren befehlen. Als nun aber Kriegsschiffe aus England, Frankreich und den USA vor der Küste von Birma ankerten, löste das bei den Diktatoren sofort die bekannten Reflexe aus.

Jede Menge Verschwörungstheorien

Stoff für Verschwörungstheorien gibt es in der Geschichte reichlich und es sind genau diese Geschichten, die immer wieder durch die Entwicklungsländer geistern: Die englischen Siedler, die amerikanischen Ureinwohnern pockenverseuchte Wolldecken schenkten; der Lebensmittelkonzern Nestlé, der die Entwicklungshilfe missbrauchte, um Absatzmärkte für Milchpulver zu erobern; Lebensmittelhilfe, die genetisch manipuliertes Saatgut verteilt. Letztlich stammen die Abwehrreflexe der Diktatoren jedoch noch aus den Zeiten, als Kreuzfahrer und Missionare die Segnungen der Zivilisation unter der Bedingung in die Welt brachten, dass sich die Beschenkten dem christlichen Glauben beugten. Und genau deswegen löst das internationale Symbol für Nothilfe ein solches Unbehagen aus.

Kaum jemand weiß noch, dass das rote Kreuz lediglich die invertierte Schweizer Flagge ist und zu Ehren des Organisationsgründers Henri Dunant gewählt wurde. Und war das Zugeständnis des Dachverbandes, dass die islamischen Mitglieder den Roten Halbmond als Emblem führen durften, nicht auch Eingeständnis, dass es sich eben doch um ein Kreuz aus der christlichen Tradition handelt? Was wiederum dazu führte, dass Iran 1922 durchsetzte, gegen Kreuz und Halbmond seiner Erzfeinde in den ottomanischen und russischen Reichen einen roten Löwen mit roter Sonne führen zu dürfen.

Der Traum von einer Universalethik

Unzählige Anträge folgten. Afghanistan wollte einen roten Torbogen als Emblem führen, Simbabwe einen roten Stern, Japan eine rote Sonne und Indien eine rote Swastika. Es war dann der Streit um den roten Davidstern, der von Nothelfern in Israel getragen wird, der nun zu einem Kompromiss führte. Im Dezember 2005 ratifizierten die Mitglieder des Roten Kreuzes und des Roten Halbmondes den Roten Kristall als neues, drittes Emblem ihrer Organisationen. Ohne religiöse und historische Bezugspunkte soll das auf die Spitze gestellte rote Quadrat fortan die absolute Neutralität der Nothelfer symbolisieren.

Die verzweifelte Bemühung um Neutralität, die sich im Roten Kristall manifestiert, ist der ewige Traum von einer übergreifenden Ordnung, einer Universalethik, die stärker, mächtiger, wichtiger ist, als die banalen Streitigkeiten der Menschheit. Ein Traum, der auch hinter den UN, dem Völkerrecht und dem internationalen Gerichtshof steht. Noch ist ihm niemand so nahe gekommen wie das Rote Kreuz. Auch wenn es sein Kreuz nun zur Debatte stellt und in Birma scheitert.

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