Zur Ausstellungseröffnung:Das Prinzip Hundertwasser

Lesezeit: 8 min

Eine Ausstellung in Frankfurt widmet sich dem Wiener Meister der Schlumpfhäuser, dem immer wieder die Gratwanderung zwischen breiter Massenzustimmung und totaler Ablehnung gelang. Nach diesem Prinzip leben auch andere Künstler ganz gut. Wer also ist der Hundertwasser der Kunst, des Theaters oder der Musik?

Film

George Lucas, der sympathische Trödler. (Foto: Foto: Reuters)

George Lucas

Irgendwann, so ungefähr vor zehn, fünfzehn Jahren, ist ein Märchenonkel geworden aus dem dynamischen, irren Jungfilmer, der einst - das war einmal in den Siebzigern, an der amerikanischen Westküste, in a galaxy far far away -, mit seinen Kumpels Francis (Coppola), Walter (Murch), Jim (McBride) und - als Satelliten in New York - Martin (Scorsese) und Brian (de Palma) das amerikanische Kino aufmischte. George verblüffte alle, vor allem seine Profs an der Filmschule, mit seinem "THX-1138", einer streng durchrasierten und -stilisierten SF-Parabel.

Die anderen sind dann schnell starke Kino-Autoren geworden und werden bis heute als solche diskutiert, George Lucas aber ist der Mann geblieben, der uns "Star Wars" bescherte, den Mega-Mythos zum Ende des 20. Jahrhunderts, mit seinen unerschütterlichen Helden, leichtsinnigen Rabauken und altersweisen Schrumpfköpfen.

Viel Kreativität wurde aufgebracht für die grandiose begleitende Merchandising-Kampagne, die diverse Generationen mit blinkenden Schwertern und funkelnden Sprüchen versorgte, und in die komplexe Operation, die Filme umzunummerieren - so dass der finale sechste Film dieses Frühjahr als Episode Nummer III durchgehen konnte.

Der junge George war seinerzeit echt verblüfft, als er die Zuschauer-Schlangen sich formen sah vor Grauman's Chinese Theatre beim Start des ersten "Star Wars"-Films. So intensiv hatte er bis zur letzten Minute an dem Ding gearbeitet, dass er nun selber nicht mehr wusste, ob das taugte, was er da in die Kinos brachte.

Diese sympathische Trödeligkeit hat er sich erhalten bis zur allerletzten Folge, dazu ein waches Interesse für technische Neuerungen - den Sound THX hat er kreiert und sich frühzeitig aufs digitale Kino und auf die neue Spezialeffekttechnik umgestellt, auf seiner Skywalker Ranch, wo die Köpfe und die Computer seiner Mitarbeiter heftig brummen.

Dort hat er seine Werke liebevoll Jahr für Jahr nachgebessert und darüber ein wenig die Lust verloren an neuen großen Unternehmungen. Dort sitzt er nun, nach dem Ende der großen "Star Wars"-Serie, den Bleistift und die gelbe Kladde bereit auf dem Tisch, und sucht einen Weg zurück in die Gegenwart.

Klassik

Mann fürs Volk - Nigel Kennedy. (Foto: Foto: AP)

Nigel Kennedy

Schräger Brite, musikalischer Tausendsassa, wieselflinke Finger, prickelndes Erlebnis, meistverkaufte Klassik-CD aller Zeiten - das sind nur ein paar der PR-Spots für den Klassik-Violinisten Nigel Kennedy, der sich als Popmusiker vermarkten lässt und mit seinem punkigen Outfit dementsprechend auftritt.

Mit seiner Geige hüpft er lachend aufs Podium, mit respektlosen Ansagen macht er die Zuhörer zu Fans. Sein Markenzeichen ist die Virtuosität des unverschämten Rattenfängers: Seriöses Können plus volkstümliches Grinsen als Kunst-Anmache. Kennedy ist beileibe kein schlechter oder nur mittelmäßiger Geiger, er liefert nicht das Schmachtfetzenphänomen wie der eiskalt den Markt romantisch abgreifende Kitschbolzen André Rieu oder die schon wieder fast vergessene Nassgeigerin Vanessa Mae.

Dass gerade Stimme, Trompete und Geige das besondere Zeug dazu haben, populistisch betörende Kunstwerkzeuge zu sein bis hinauf auf die Plattform von Vorweihnachtsabsahnkonzerten oder "Wetten dass...?", ist kein Zufall: Melodiezirkusnummern rühren so stark zu Krokodilstränen des belkantesk Ornamentalen wie die knallbunt mäandernde Dekoration auf Postern oder Kaffee- und Espressotassen. Und man bearbeitet da sein Publikum fröhlich frontal, stehgeigend, -blasend oder -singend.

Im Booklet zu seiner CD mit dem Beethoven-Violinkonzert schrieb Kennedy vor Jahren, er widme den Solopart des Stücks ¸¸meiner Mami, die sich wünscht, dass ich so was mein ganzes Leben lang mache". Putzig und wahr!

Er möchte gemäß dem Hundertwasser-Prinzip die Menschen wieder in Einklang mit der Natur bringen. Dazu gehört, dass der Musiker eine gehörig emotionale Ausstrahlung besitzt, keinerlei intellektuelle. Ob Vivaldis Vier Jahreszeiten oder Bach-Konzerte: Er ist ein Mann fürs Volk, nicht für Kritikaster. Musiker, Maler, Klangarchitekt oder Designer - unser aller Musiknaturschützer und Lebenskünstler. Nächstes Jahr ist er erst fünfzig.

Literatur

Eric-Emmanuel Schmitt

Im Jahr 2003 fiel der französische Autor Eric-Emmanuel Schmitt erstmals mit seiner herz- und nierenwärmenden Toleranzpredigt "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran" unangenehm im deutschen Sprachraum auf. Dieser reine Herzensbalsam aus den kostbaren Ingredienzien Ringparabelblüten, Lebensweisheit und Streetworkerbeseeltheit lehrte uns, dass nicht jeder Muselman einen Sprengstoffgürtel um seine Hüften trägt.

In einfachen Sätzen überzeugte uns die Erbauungsgeschichte von der Weisheit und Güte arabischer Tomatenverkäufer. Schmitts Beitrag zur Völkerverständigung war größer als der zur Literaturgeschichte. Sein sanftmütig parabelnder Roman war ein weiteres Beispiel jener genuin französischen Kitschvariante, die uns seit "Die fabelhafte Welt der Amélie" regelmäßig die Gauloise aus dem verblüfften Mund fallen lässt.

Nach den "Blumen des Koran" hat er sich nun in seinem jüngsten Werk die Dornenkronen der Bibel zum Gegenstand erwählt. Es steht also wieder Schlimmstes zu befürchten. Und gleich auf den ersten Seiten bestätigen sich alle bösen Vorahnungen. Schmitt hat seinem §Evangelium nach Pilatus" die gut achtzigseitige Lebensbeichte eines gewissen Monsieur Jeshua aus Nazareth vorangestellt.

Monsieur Jeshua ist nicht etwa Tomatenverkäufer, sondern Zimmermann, wird Opfer seines eigenen Berufsstandes und landet an einem handgezimmerten Kreuz auf Golgatha. Die Geschichte kommt uns bekannt vor. Der Autor inszeniert sich in seiner Variante als prämodernen Evangelisten, der handschriftlich Zeugnis ablegt. Dabei verfällt er in einen eitlen Ton der Selbstbeweihräucherung. Er porträtiert sich als Hohepriester des offenbarten Wortes, was bei der Qualität seines Textes einigermaßen albern ist. Als nächstes dürfte dann wahrscheinlich der Maulbeerbaum des Mahabharata dran sein.

Pop

Björk

Björk - tolle Frau, klar. Große Künstlerin. Radikal. Wandlungsfähig, grenzüberschreitend, extremistisch. Stellt Hörgewohnheiten in Frage, und - weil sie ganzheitlich orientiert ist - Seh- und Riechgewohnheiten gleich mit. In der Theorie klingt das alles ganz fabelhaft. Aber die Praxis. Uns schlottern noch die Knie vom letzten Album. Mit menschlichen Stimmen erzeugte Drum'n'Bass-Tracks! Öko-A-cappella!

Mitwirkende, u. a.: Eine Obertonsängerin vom Stamme der Inuit! Und dann der Soundtrack zu Matthew Barneys "Drawing Restraint 9". Ozeanrauschen! Schiffsmotoren! Atemgeräusche von Perlentaucherinnen! Ganz blöd gefragt: Könnte Björk nicht vielleicht statt "Klangskulpturen" und "Soundlabyrinthen" wieder mal einen Song schreiben? Geht's vielleicht auch mal ohne "biomorphe Phantasmen" (SZ) und japanische Sho-Flöte?

Nein, sieht nicht danach aus. Es ist eher zu vermuten, dass sie sich in eine Seejungfrau verwandelt. Am Ende von "Drawing Restraint 9" schneiden sich Barney und Björk gegenseitig die Unterleiber ab, dann werden sie zu Walen und schwimmen davon in Richtung Antarktis. Was kann jetzt noch kommen? Auf ihrem nächsten, wegen besserer Umweltverträglichkeit auf Fischhaut gepressten Album "A hundred waters" wird erstmals die Nase als Musikinstrument erprobt - angeblich wird es komplett von einem grönländischen Nebenhöhlenpfeifer-Orchester eingespielt.

Dann erklärt Björk ihren Abschied von der Popmusik - Genre-Grenzen waren ihr eh immer zuwider - und so führt sie Regie bei einer pantomimischen Bühnenadaption von Marcels Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Nachdem die Premiere von Kritikern als "zu konventionell" besprochen wird, zieht sie sich zurück an den Luganer See und entwirft fortan nur noch Architekturmodelle für Dachbewaldung und individuelle Fassadengestaltung. 2012 erhält sie den Nobelpreis in der neu eingeführten Kategorie "Universalgenie" sowie den goldenen Friedensreich-Hundertwasser-Orden am Band. Björk ist übrigens isländisch und heißt: Birke.

Theater

Robert Wilson

Den Onkel aus Amerika hatte man sich anders vorgestellt: Robert Wilson ist kein großer Gatsby, sondern ein introvertierter Asket aus Texas, der wie ein ergrauter Peter Pan im Aufsichtsrat eines Spielzeugkonzerns überwintert. Puppenhaft machte er sich früher zurecht. Alles an ihm sah aus, als könnte man sich daran schneiden: die scharfe Bügelfalte seines schwarzen Armani-Anzugs, der wie mit dem Messer gezogene schwarze Scheitel, die schwarze eckige Hornbrille. Das einzig Weiche an ihm war sein Name: Bob, wie ihn alle Welt nennt.

Seinen Regiestil hatte er aus der therapeutischen Arbeit mit sprachbehinderten Jugendlichen entwickelt, bevor Ende der siebziger Jahre das deutsche Stadttheater sein Patient wurde. Hier, wo die Schauspieler immer zu laut sind und die Zeichen immer zu schwer, verordnete er Stille und Leichtigkeit. So wurde er zum Guru der Theaterwellness. Und es zeigte sich, dass der oft nur kühle Kitsch dieses Grenzgängers zwischen Bühne und Bild, Design und Designation, überall akzeptiert wird, wo die Zukunft Visa spricht.

Aber während die Menschen sich noch verzaubert die Augen reiben, wie er das wieder gemacht hat, der große Theatermagier, sitzt Robert Wilson schon wieder im Flieger, unterwegs zur nächsten Kunst-Abwurfstelle. Höchstens dreißig Tage im Jahr verbringt er der Sage nach in seinem Loft in Lower Manhattan, das manche für seine gelungenste Inszenierung halten, nur im Sommer gewährt ihm sein Organizer eine längere Phase ununterbrochener Bodenberührung. Dann weilt der Projekt-Internationalist in seiner Gralsburg, dem Watermill Center auf Long Island und koordiniert im Kreise seiner Adepten die Proben- und Flugpläne der kommenden Jahre.

11 000 Adressen umfasst angeblich sein E-Mail-Verteiler. Robert Wilson ist ein Global Player des Auftragskunstbetriebs, ein Handlungsreisender in Airport-Art, ein Ein-Mann-Mischkonzern, dessen Wertschöpfungskette niemals unterbrochen ist. Ob eine handsignierte Druckgrafik fürs heimische Wohnzimmer oder eine handgeschöpfte Opern-Tetralogie fürs örtliche Theater - in jeder Preislage kann man etwas von ihm erstehen. Das Geheimnis seines Erfolgs verrät schon sein Name: Bob, das ergibt vorwärts wie rückwärts immer nur: Bob. Und wo Bob draufsteht, ist auch Bob drin.

Kunst

Fernando Botero

Seine Bilder kennen keinen "Heroin Chic" und auch kein "Weight Watchers"-Diätprogramm: Die Gestalten, die Fernando Boteros Ölgemälde bevölkern und die er in Bronze gießt, dürfen nicht nur über die Maßen üppig sein, sie wirken mit ihren quellenden Formen, ihren teilnahmslos breiigen Gesichtern und in ihrer fröhlich-bunten Ausstaffierung geradezu wie aufgepumpt.

Mit seinen Bläh-Versionen der Mona Lisa oder der Arnolfini-Hochzeit wurde der 1932 im kolumbianischen Medellín geborene Botero berühmt und beliebt; seine Bilder und Skulpturen kosten schon mal eine halbe Million Euro und zieren viele Museen und öffentliche Plätze weltweit, aber die Poster seiner Fleisch-Kokons sind im Internet schon für knapp mehr als zehn Euro verkäuflich - was nicht den geringsten Teil seines enormen Erfolgs ausmacht.

Man hat Boteros Kunst "naiv" genannt, sie ins Reservat vermeintlich ursprünglicher, volkstümlicher Weltzugänge eingemeindet - doch Botero ist alles andere als naiv. Vielmehr beherzigt er auf kluge, strategische Weise das Prinzip, eine einmal gefundene manieristische Idee so lange wieder aufzukochen, bis daraus ein Markenzeichen geworden ist: Boteros "Dicke" eben. Wie in eine russischen Puppe lassen sich dann in diese festgelegte Form, die auch eine Formel ist, die verschiedensten Motivideen einspeisen, ohne dass die Bilder viel von ihrer Glaubwürdigkeit verlieren. Wie viel Boteros Ölgemälde dann noch über die Welt von heute aussagen - wen schert das schon.

Und so hat der Kolumbianer eben nicht nur fleischige Nackerte, sondern auch die Drogenbosse, Guerilleros und Generäle seiner Heimat in Botero-Manier abkonterfeit. Und in diesem Jahr schockte er seine Fangemeinde mit einem neuen Zyklus über die Folter in Abu Ghraib - die Serie ist nun erstmals komplett in der Kunsthalle Würth in Schwäbisch-Hall zu sehen (bis 17. April).

Doch allzu aufgesetzt und plump wirken die Wunden und verzerrten Fratzen auf den molligen Leibern - als hätte jemand eine russische Puppe mit dem Hammer zertrümmert. Botero wird's kaum scheren: Seine Formel der "Verherrlichung des Lebens, die in der Sinnlichkeit der Formen liegt", hat weiter Bestand und Erfolg - Folter hin, Masche her.

Architektur

Daniel Libeskind

Der ultimative Hundertwasser der Baukunst heißt Hundertwasser. Er ist der bekannteste deutsche Architekt - so das Ergebnis einer legendären Umfrage. Mit den beiden Schönheitsfehlern allerdings behaftet, dass der als Fritz Stowasser geborene und vor fünf Jahren als Friedensreich Dunkelbunt Hundertwasser gestorbene Künstler erstens kein Architekt und zweitens kein Deutscher war. Beide Kriterien erfüllt auch Daniel Libeskind, der zwar Architekt ist, aber keine Häuser, sondern röhrende Hirsche baut: Kitschkonstruktionen, deren Chiffren wenn nicht dem Hochbau, so doch dem Satzbau zuzurechnen sind.

Auch das macht Libeskind zum überzeugendsten und populärsten Thronfolger im Reich der semantischen Fassadenkunst. Hundertwasser schrieb "Verschimmelungsmanifeste" und hielt so manch spektakuläre "Nacktrede". Aber Libeskind entblößt sich dafür in seiner Autobiografie ("Ein Stararchitekt über das Abenteuer seines Lebens"), das ihn als Wunderkind im Sandkasten abbildet. Und er bekleidet seine spektakelhaften Bauten mit schimmelschönen Worthülsen. Er ist der große Rauner der Architektur. Ein würdiger Hundertwasser-Filialist.

Sein wichtigstes Projekt, Ground Zero, ist typisch für diese schwadronierende Bauweise, die ein großes Publikum zu Tränen rühren kann. Dort heißt etwa - analog zu den blähbauchhaften Zitadellen, die Hundertwasser errichtet hat - ein Tower nicht Tower, sondern ¸¸Freedom Tower". Und er ist so hoch, das sich daraus das Datum der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung ergibt: 1776 Fuß. Dazu sollte es den "Park des Lichts" geben, das "Museum der Hoffnung" und den "Park der Helden". Mehr Ornament hat in der Baukunst noch niemand dem Beton abgerungen. Wenn Stahlstreben weinen können - dann in einem Haus von Libeskind.

Libeskind schreibt in seinen "Erinnerungen": "Hey, die Welt kann völlig anders aussehen, als du sie dir jemals vorgestellt hast." Hey, das hat Hundertwasser auch schon gesagt. Nur, hey, hat er nicht auch noch behauptet, die, hey, Avantgarde zu sein?

(SZ vom 18.11.2005)

© Gerhard Matzig - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: