Zum Tode von Vicco von Bülow:Loriot kann es. Sonst keiner

Loriot ist tot. Ist er? Nein, das glauben wir nicht. Das geht gar nicht. Ein Rückblick auf Vicco von Bülow, der die Deutschen zum Lachen brachte, weil er sie zeigte, wie sie sind: Liebhaber mit Nudeln an der Nase, Akademiker mit Badekappe und Lotteriegewinner, die den Papst eine Boutique aufmachen lassen. Ein Nachruf dann doch. Aber einer mit Jodeldiplom.

Bernd Graff

Ach! Der Mann ist doch unsterblich. Loriot ist unsterblich. Seine Figuren, unsterblich. Seine Stimme - unsterblich. Die Knollennasen - unsterblich.

Loriot ist tot

Vicco von Bülow hält am 22. Januar 1993 im Potsdamer Museum die Büste der Hauptfigur seiner Karikaturen - einem korrekt gekleideten Strichmännchen mit Knollennase - im Arm.

(Foto: dpa)

Die unfassbaren Jodeldiplome, kaputten Fernseher, Zu-Wasser-Enten, Müller-Lüdenscheids, Dr. Klöbners, Fremdwannen - unsterblich. Aber Vicco von Bülow ist tot. Gestorben im Alter von 87 Jahren.

Der Sohn aus einer alten preußischen Offiziersfamilie, geboren in Brandenburg, humanistisch gebildet und unbedingt talentiert als Zeichner war DER Humor der alten Bundesrepublik. An ihm arbeiteten sie sich alle ab, die nach ihm kamen und nur in seinem Schatten standen: die Blödelbarden von damals, die Klimbims, die Ottos und Hapes. Doch Loriot war immer besser, geistreicher, humorvoller, stilvoller.

Subversiver. Ja, subversiver. Denn Loriot war kein konfrontativer Rabauke. Loriot verdrehte die Deutschen von innen. Er sah - wohl oft zu genau - hin, was seine Mitbürger so taten und sprachen, oftmals achtlos: Floskeln, Gesten, das geballte Formwahren der versteinerten Republik.

Unter Loriots Blick zerbröselte der Popanz "Gute Miene" zu nacktem, kauzigen Menschsein. Ein Dr. Klöbner ist eben sehr viel weniger Titel- und Würdenträger, wenn man ihn mit Badekappe und Quietsche-Ente in einer leeren Wanne über deren Befüllung diskutieren sieht. Aber darauf, einen hochfahrend sprechenden Akademiker in dieser allzu menschlich lächerlichen Situation zu zeigen und diese Situation nicht krachend auszukosten, sondern verhalten - darauf muss man ja auch erst einmal kommen! Loriot konnte es. Sonst keiner.

Denn Loriot, der ab 1953 für den Stern als Karikaturist arbeitete, war kein Mann der schnellen, krachenden Schenkelklopfer. Und obwohl er landein, landaus an den Stammtischen zitiert wurde, war er der Mann des temperierten, wohlüberlegten Humors: Angriffsfläche boten ihm verspannte gesellschaftliche Konventionen, Großmannssucht und Attitüde, der wie billiges Parfüm aufgelegte Radebrech und Jargon der sogenannten besseren Kreise oder solcher, die sich dafür hielten, genug.

In Loriot haben sie alle ihren meisterlich jede Absurdität der Konvention sezierenden Gefährten gefunden. Wie gesagt: Er war Gefährte, nicht bösartig, nicht Rebell.

"Eines Nachts", so Loriot in einem Stern-Interview, einem der seltenen, die er zuletzt gegeben hat, "Eines Nachts wachte ich auf, griff einen Zettel für Notizen und einen Kugelschreiber, was man so auf dem Nachttisch hat. Im Dunkeln krakelte ich drauf rum, am nächsten Morgen nahm ich Buntstifte und kolorierte das Ganze in lockerer Weise. Große Kunst ist ja zumeist ein Kind des Wahnsinns."

Das, was er da nächtens krakelte, war das Knollennasenmännchen, seine Allegorie auf den vergeblich um Haltung bemühten Nachkriegsdeutschen. Es gibt kein besseres Porträt unserer Spezies. Und wäre es eine nationale Aufgabe, vom deutschen Michel endlich einmal wegzukommen und ein neues Symbol für uns in der Karikatur zu finden, dann sollte die Republik für die Knollennase votieren. Wir sind Knollennase. Für immer.

Loriot hat den Bettenkauf, das Jodeldiplom, den Lotteriegewinn ins Visier genommen und auch einmal die deutsche Weihnacht: Erst geht Opa Hoppenstedt ein Geschenk kaufen, weiß nicht so genau, ob er Enkel oder Enkelin hat und entscheidet sich für das Spiel "Wir bauen uns ein Atomkraftwerk", weil es, wie die Verkäuferin sagt: "sehr gern genommen" wird. Bescherung. Opa beschwert sich nun nicht darüber, dass Weihnachten früher schöner, gefühlvoller, einfach besser gewesen sei ... doch, er tut es wohl, aber er sagt das: "Früher war mehr Lametta." Das reicht.

Deutsche Weihnacht mit dem Programmpunkt Gemütlichkeit zu Fernsehen und explodierenden Atomkraftwerken, dann das Gedicht: "Zickezacke, Hühnerkacke" des missratenen Enkels. Es ist so furchtbar. Furchtbar traurig, dass einem die Tränen kommen müssten ob der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit der derart missratenen Heiligen Nacht. Kommen aber nicht: Denn Vati packt eine Krawatte aus, Mutti einen Heinzelmann-Staubsauger und Opa hört die Marschmusik, die er auf seinem neuen Plattenspieler in die Endlosschleife bringen kann. Es wird immer absurder, ein Loch ist im Boden, deutsche Nachbarn beschweren sich und man bescheinigt sich, "Spießer" zum Mitmenschen zu haben. Da bricht kein Auge, da rinnt die Lachträne.

Loriot erreichte ein Millionenpublikum, ohne massenkompatibel oder halbgar konsenswarm zu sein. Er war Loriot, der "das Kind doch mal nach vorne" brachte, damit es ein Wirtshaus-Massaker um eine ewig aufgerollte Roulade besser verfolgen könne. Loriot war Westdeutschlands erfolgreichster und nobelster Humorist. Bekannt durch seine Bücher mit Karikaturen und satirischen Prosastücken, die er ab 1954 vorlegte, seine Filmauftritte und Fernsehserien und eigenen Spielfilme, in denen er für Regie, Buch und Hauptdarstellung verantwortlich zeichnete. In der Zeit von 1967 bis 1972 lief die erste Loriot-Fernsehserie Cartoon im Abendprogramm der ARD, die zunächst als Dokumentationssendung zur internationalen Karikatur gedacht war, sich dann aber zu einer satirisch-humoristischen Sendung entwickelte.

Loriot zeigte eigene Sketche, gezeichnete wie dargestellte. Das Beste, was den Deutschen damals passieren konnte. Berühmt und überaus populär wurde sein Fernsehhund "Wum", der bis 1996 für die ZDF-"Aktion Sorgenkind" in der Spielshow Der große Preis zusammen mit dem Elefanten "Wendelin" um Spenden warb.

1976 entstand die erste Folge der sechsteiligen Fernsehserie Loriot, in der er sowohl gezeichnete wie auch selbst gespielte Sketche präsentierte und damit auch seine kongeniale TV- und Filmpartnerin Evelyn Hamann populär machte. 1978, auf dem Höhepunkt dieser beispiellosen TV-Karriere, machte er nach rund 100 Sketchen Schluss mit der öffentlich-rechtlichen Unterhaltung und schuf nur noch für seine runden Geburtstage Parodien rund um die beliebten "Loriot"-Szenen. Das ganze, immer noch sehr beliebte "Loriot"-Programm ist inzwischen auf DVD erhältlich.

Er sah ein Leben nach dem Fernsehen

Denn darin war er rigoros: Er hörte - trotz allen Senderbettelns und riesiger Angebote - immer dann auf, wenn es für ihn am schönsten gewesen war: "Ach, übrigens, das war unsere letzte Sendung," hat er einmal der fassungslosen Evelyn Hamann erklärt. Denn ihn hatte mal wieder "in diesem Augenblick das Gefühl beschlichen, mit der Fortsetzung meiner Arbeit nicht mehr besser werden zu können".

Nach dem Fernsehen intensivierte er in den achtziger Jahren seine Karriere als Bühnen- und Filmregisseur. Er wurde zunehmend zum gesamtdeutschen Star mit Gastauftritten in der DDR. 1985 inszenierte er am Stadttheater Aachen eine Bühnenfassung seiner schon als Fernsehsketch erfolgreichen Dramatischen Werke, und 1986 brachte er in Stuttgart seine Version von Flotows komischer Oper Martha (TV, 12/1986) heraus, zu der er auch das Bühnenbild und die Kostüme entwarf. Zu den Ludwigsburger Schlossfestspielen 1988 setzte er Webers Der Freischütz in Szene. 1992 fand im Nationaltheater Mannheim die Uraufführung von Wagners Ring an einem Abend in einer Fassung für Erzähler, Sänger und Orchester von und mit Loriot statt.

Im Herbst 1987 drehte Loriot mit Evelyn Hamann den Film Ödipussi, der am 9. März 1988 als Doppelpremiere in beiden Teilen Berlins vorgestellt wurde. Diese vielfach ausgezeichnete Komödie gilt als einer der größten deutschen Filmerfolge. In den Defa-Studios Potsdam-Babelsberg und an Originalschauplätzen in der Noch-DDR realisierte Loriot 1990 mit Pappa ante Portas seine zweite Kinokomödie um einen überraschend pensionierten Manager, der seiner Frau, natürlich Evelyn Hamann beim Haushalt unter die Arme greifen möchte, natürlich furchtbar damit auf die Nerven geht und ein kaum mehr zu bewältigendes Chaos erzeugt.

Im Nachruf auf seine Ende 2007 verstorbene Sketchpartnerin, die mit ihrem trockenen hanseatischen Humor auch die verschrobensten Charaktere zu Sympathieträgern aufbaute, erinnerte sich Loriot voll Dankbarkeit an ihre Disziplin, ihre Contenance und "ihr ungeheures Lachen."

Um Loriot ist es in letzter Zeit stiller geworden. Zwar gab es auch in den neunziger Jahren äußerst erfolgreiche Unternehmungen, die Bildende Kunst, die Musik und Literatur mit Humor und Ironie zu vermitteln. Er trat auf mit Walter Jens im ausverkauften Hamburger Schauspielhaus, um Ausschnitte aus dem Briefwechsel zwischen Friedrich dem Großen und Voltaire zu lesen. In den Münchner Kammerspielen las er 1996 aus Thomas Manns Werken. In diesem Jahr war er übrigens eigenen Angaben zufolge der meistgespielte Bühnenautor in Deutschland.

Die Kommunikationsstörung beim Frühstücksei

"Die getreulichste Spiegelung der bundesrepublikanischen Wirklichkeit findet sich zweifellos bei Loriot", schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung und stellte fest: "Er allein hat die Archetypen der Bonner Republik entworfen, Männlein wie Weiblein." Im April 2006 kündigte Loriot in der ZDF-Talkshow Johannes B. Kerner nochmals seinen endgültigen Abschied vom Fernsehen und seinen Rückzug ins Privatleben an. Das Medium sei ihm zu schnell für seine Komik geworden. Nur mit gelegentlichen Auftritten im Theater, so mit der Lesung seiner Zwischentexte zu Leonard Bernsteins Candide nach Voltaire im Münchner Gärtnerplatztheater, ließ er sich noch in die Öffentlichkeit locken, ebenso mit einer Antrittsvorlesung anlässlich der Bestellung zum Honorarprofessor an der Berliner Universität der Künste.

"Ein Preuße karikiert mit preußischer Präzision den preußischen Ernst auf preußische Weise - hoch gebildet, hoch verdichtet und auf sprachlich unerreichtem Niveau", hat der Tages-Anzeiger einmal konstatiert. Stimmt, und stimmt auch wieder nicht ganz. Vom SZ-Magazin gefragt, was Loriot denn selber für seinen besten Sketch halte, antwortete er: "Vielleicht das Frühstücksei, es berührt ein Thema, das mir immer sehr am Herzen lag: die Kommunikationsstörung."

Um die zu behandeln, hat er ein Leben lang hart am Komischen im Wirklichen gearbeitet - und nicht dabei gelacht. Wieder sagte er dem SZ-Magazin: "Komik funktioniert nur bei perfektem Timing und exaktem Rhythmus. Die Entscheidung, ob etwas komisch ist oder nicht, ist in den Monaten vorher am Schreibtisch gefallen. Wenn einem beim Drehen Zweifel kommen, ist man erledigt. Und wenn man nach Abschluss der Dreharbeiten am Schneidetisch einen unabänderlichen Fehler entdeckt, möchte man aus dem Leben scheiden."

Am Montag ist nicht Loriot in Ammerland am Starnberger See verstorben.

Hinweis in eigener Sache: Die Süddeutsche Zeitung verabschiedet sich in ihrer Mittwochsausgabe von Loriot mit den besten Worten. Hermann Unterstöger bedankt sich auf Seite Drei mit einem großen Nachruf. Axel Hacke, Bully Herbig, Christoph Walz und viele andere schreiben im Feuilleton, wie der große Vicco von Bülow ihr Leben geprägt hat.

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