Zum Tode von Ulrich Mühe:Ein anderes Leben

Die Stasi wurde zum späten Thema des brillanten Schauspielers Ulrich Mühe, der von Deutschland alles kannte: Den Traum der DDR und die Lust am Markt der gewendeten Republik.

Hans-Jürgen Jakobs

Er war, wenn man so will, der Schauspieler der deutschen Einheit.

Großgeworden im Sozialismus der DDR, fürs bedeutende Theater entdeckt von Heiner Müller, dann einer der Mitinitiatoren der Großdemonstration am 4. November auf dem Berliner Alexanderplatz, später mit vielen TV-Rollen bei ARD und ZDF und einer Kinokarriere - von Bernhard Wickis "Das Spinnennetz" bis zur Rolle des Stasihauptmanns Gerd Wiesler in "Das Leben der Anderen".

Das war das aufregende, wechselhafte, verzehrende und viel zu kurze Leben des Ulrich Mühe. Am Sonntag ist er im Alter von 54 Jahren an Magenkrebs gestorben.

Die Arbeit zu Florian Henckel von Donnersmarcks Oscar-Film "Das Leben der Anderen" hatte noch einmal alte Wunden aufgerissen, das Klima der Verdächtigungen und des nicht immer leisen Terrors in der DDR gegenwärtig gemacht. Ulrich Mühe enthüllte im vorigen Jahr angebliche informelle Stasikontakte seiner zweiten Frau Jenny Gröllmann; die Birthler-Behörde hatte ihm das bestätigt. Die Beschuldigte wehrte sich dagegen erfolgreich vor Gericht. Wissentlich habe sie nie mit der Stasi kooperiert. Die Sache mit IM "Jeanne" wurde zum menschlichen Drama.

Jenny Gröllmann starb im August 2006, knapp ein Jahr vor ihrem langjährigen Partner. Bis zu seinem Tod war Ulrich Mühe mit der Schauspielerin Susanne Lothar verheiratet; die beiden lebten mit zwei Kindern in Berlin.

Seinen letzten großen Auftritt hatte Mühe Ende Februar bei der Oscar-Verleihung in Los Angeles, als er mit Regisseur Donnersmarck sowie Schauspieler Sebastian Koch ausgezeichnet wurde. Da wirkte er schon angeschlagen, genoss aber auf seine - stille, scheue - Art den Triumph.

In diesem Film hatte sich der Schauspieler, der im Westen zu Geld und Ruhm gekommen war, noch einmal mit dem Osten beschäftigt. Das war neu für ihn. Er spielte den Stasi-Mann Wiesler, und er spielte damit auch sich selbst und die DDR. Jenes Land, an das er lange geglaubt hatte, dessen Helden für ihn zunächst die Arbeiter waren, genau wie es die Führung wollte. Jenes Land, mit dem er einen politischen Auftrag verband und die Suche nach dem Menschen, nach dem wahren Wert.

Doch in einem fulminanten Spiegel-Porträt anläßlich der Oscar-Verleihung bekannte er auch: "Shakespeare ist schon mehr gewesen als dieses kleine, verpisste Land. Ich wollte das hinter mir lassen. Auch weil es am Deutschen Theater so eine Bunkermentalität gab. Da stand die Luft."

Mit diesem Land war er fertig, aber er war damit nicht im Reinen. Ulrich Mühe erzählte auch, es am liebsten so wie Regisseur Donnersmarck machen zu wollen und träume davon, nach Kalifornien zu ziehen: "Ich würde hier gern vier, fünf Jahre leben und arbeiten." Aber er wusste auch, dass es ihm nicht gelänge, so wie dem 34-jährigen Donnersmarck, das Thema DDR und Stasi einfach abzustreifen. Also blieb er.

Dieser Wanderer zwischen den Welten, Grenzgänger zwischen Ost und West, hat die großen Kämpfe in sich ausgetragen. Er war keiner, der mit dem Theatervolk trinkend um die Häuser zog. Er war ein Suchender, einer mit eingebauter Distanz. Einer, der darunter litt, am Set nur von Erich Honecker erzählen zu können und nicht von Indien-Reisen oder Auslandsstudien.

Es blieb ihm, natürlich, das Ethos der Arbeit: "Prominenz ist ein auf Zeit verliehenes Privileg. Das bekomme ich vom Publikum. Ich rede von Prominenz, die man sich redlich erarbeitet und die einem dann zufällt." Und sein Lieblingssatz von Heiner Müller, dessen Stück "Aufruhr" er 2004 inszenierte, war der Spruch eines Dieners in "Macbeth": "Arbeit, die wir gern tun, ist keine" - woaruf Macbeth antwortet: "Arbeit ist Arbeit."

Es fiel ihm reichlich zu. Die Wandlungsfähigkeit, seine Variationsmöglichkeiten, sein Ausdruck, sein Gefühl - das hat viele in der Branche begeistert. Er war ein Theatermann, gereift durchs Bühnenspiel. Der Sohn eines Kürschnermeisters aus dem sächsischen Grimma, der an der Theaterhochschule Leipzig studiert hat, wurde von Heiner Müller an die Berliner Volksbühne geholt. 1982 trat er in "Macbeth" auf, Mühe stieg zum umjubelten Theaterstar auf.

Im August 1983 wurde er Mitglied des Ensembles des Deutschen Theaters. Er spielte auch oft im DDR-Fernsehen und im DDR-Kino. "In der DDR war die Figur, die man spielte, wichtig, nicht der Marktwert als Star", sagte er einmal.

Die Karriere setze sich nach der Wende auch unter den Bedingungen der realen Marktwirtschaft fort. 1989 brillierte Ulrich Mühe in der Salzburger Thomas-Langhoff-Inszenierung der "Jüdin von Toledo". Er gab überzeugend die Hauptrolle in "Der kleine Herr Friedemann" nach einer Erzählung von Thomas Mann. Mit seiner Frau Susanne Lothar spielte er die besten Rollen, etwa in "Funny Games". Eindrucksvoll auch der Auftritt als Dr. Robert Kolmaar in der ZDF-Serie "Der letzte Zeuge".

Mühe ist wiederholt mit Preisen bedacht worden, allein zweimal mit dem Bayerischen Filmpreis (1988 und 2006) sowie mit einem Deutschen Filmpreis in Gold für "Das Leben der Anderen".

Dieser Stasi-Film ist nun eine Art Vermächtnis. Die Zuschauer werden ihn künftig anders sehen. Wie sagte seine Frau Susanne Lothar so treffend: "Ulrich Mühe ist dieser Film."

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