Zum Tod Wolfgang Wagners:Bayreuth war sein Neverland

Da lachte er, da blitzten seine Augen: Christoph Schlingensief wird Wolfgang Wagner als Schlitzohr in Erinnerung behalten, manch anderer als fürsorglichen Organisator. Worte zum Abschied in Bildern.

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Pierre Boulez, Wagner, dpa

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Da lachte er, da blitzten seine Augen: Christoph Schlingensief wird Wolfgang Wagner als Schlitzohr in Erinnerung behalten, manch anderer als fürsorglichen Organisator. Worte zum Abschied in Bildern.

Als Allererstes fällt mir ein die sehr große Loyalität Patrice Chéreau und mir gegenüber beim "Ring". Mir fiele noch eine ganze Menge mehr ein zu sagen, aber ich habe leider wegen anstehender Proben keine Zeit.

Pierre Boulez, Komponist, Dirigent, leitete unter anderem den Jahrhundert-"Ring" ab 1976

Texte: SZ vom 23.3.2010/ Foto: dpa

Christoph Schlingensief, Wagner, dpa

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Man wirft mir immer vor, ich würde über meinen früheren Arbeitgeber herziehen. Aber ich muss ganz ehrlich sagen: egal, wie groß der Stress und die Gehässigkeiten an diesem Ort waren - in Bayreuth zu arbeiten, war für mich die allergrößte Freude. Ein Riesenglück! Ich habe dort so viel gelernt - das ist eine Belohnung fürs Leben. Was habe ich mich gefreut, wenn Wolfgang Wagner gegen den Willen seiner Frau Kontakt mit mir aufnahm, um ganz großartige Geschichten über die Wollunterhose von Winnie zu erzählen oder über Furtwängler, der bei dem Versuch, ein Blumenmädchen zu verführen, auf der Judenwiese beinahe vom Mähdrescher überrollt worden wäre! Da lachte Wolfgang, da blitzten seine Augen. Er war ja auch ein Schlitzohr.

Lustig fand ich auch, dass er immer mitten durch die Proben latschte und seine Kommentare abgab. Einmal hat er heimlich einen Hasen von meiner Bühne genommen, weil er dachte, ich merke das gar nicht. Solche Spielchen ... das war eigentlich klasse. Ich habe mich oft und gut mit ihm gestritten. Seine drei Hauptsätze waren: "Machen Sie doch, was Sie wollen! Sie haben künstlerische Freiheit! Das interessiert mich nicht mehr!" Dann rauschte er davon. Aber zwei Minuten später war er wieder da und nahm auf seinem Klappstuhl Platz. Er war ein Mensch, der auftauchte. Während Gudrun oben in ihrem Zimmer an ihrer Abhöranlage saß. Ich glaube, Bayreuth war ein bisschen so das Neverland von Wolfgang Wagner. Wenn er da durchging, und es wurde gearbeitet, war für ihn das größte Glück erreicht.

Christoph Schlingensief, Regisseur des "Parsifal", 2004

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Tankred Dorst, Wolfgang Wagner, ddp

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Er war eine starke Persönlichkeit. Ich sehe ihn um sein Festspielhaus herumgehen - ein strenger Hausvater, der nach dem Rechten sieht -, sehe ihn, wie er auf der Probe die Sitzreihen hochkommt zum Regietisch, um dort sein Missfallen zu äußern: Was soll der zerbrochene Küchenstuhl, der Autoreifen in dem archaischen Steinbruch? Warum sind da Wände mit Graffiti beschmiert? Seine ästhetischen Vorstellungen waren nicht die meinen. Warum hat er eigentlich immer wieder Künstler eingeladen, in seinem Haus zu inszenieren, deren künstlerische Absichten er bestenfalls toleriert aber wohl nicht geteilt hat: Chéreau, Müller, Marthaler, Schlingensief? Ich sehe ihn lächeln, das eigenartige Lächeln bleibt mir in Erinnerung, nicht spöttisch, eher distanzierend, das eigentlich nicht zu seinem trotzigen, cholerischen Charakter passte. Das Lächeln eines alten Mannes, der sich nicht mehr einlassen will auf all das, was er in seiner Zeit erlebt hat.

Tankred Dorst, Schriftsteller und Dramatiker, Regisseur der Neuinszenierung des "Ring des Nibelungen" 2006

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Nike Wagner, dpa

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Ein streitbares Leben im Dienst Richard Wagners und der Bayreuther Festspiele ist zu Ende gegangen. Wolfgang Wagner stand in einer reichen Familientradition, die auf den großen Musikdramatiker weist, die aber auch zu einem anderen Zukunftsmusiker führt - zu Franz Liszt. Als Intendantin des Kunstfestes Weimar "pèlerinages", das sich als Huldigung an Franz Liszt versteht, möchte ich in meinem und dem Namen meiner Mitarbeiter den Angehörigen und Freunden zum Tod von Wolfgang Wagner, eines Urenkels von Franz Liszt, aufrichtig kondolieren.

Nike Wagner, Literaturwissenschaftlerin, Festivalchefin und Nichte Wolfgang Wagners

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Stefan Herheim, Wolfgang Wagner, ddp

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Es ist vor allem das Gefühl einer unausweichlichen Endgültigkeit, das sich beim Gedenken an den verstorbenen Jahrhundertmenschen Wolfgang Wagner auftut. Mit ihm geht nicht nur eine Ära, sondern eine gefühlte Zeitrechnung zu Ende, in der das Moment künstlerischen Schaffens für viele Menschen als geistige Überwindung der Relativität von Zeit und Raum fassbar wurde. In dankbarer Bewunderung eines langen Lebens im Dienste des Glaubens an die Kunst sind meine Gedanken bei den Töchtern Eva und Katharina, die ihren Vater verloren haben. Möge der Geist des Lebens ihnen und uns allen noch viele Momente höchster Lust auf dem Grünen Hügel bescheren.

Stefan Herheim, Regisseur des "Parsifal", 2008

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Klaus Schlutz, Wolfgang Wagner, dpa

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Ein unvergesslicher Mann von ebenso kantiger wie gütiger Natur und voller Humor! Mutig in seinen künstlerischen Entschlüssen, wirtschaftlich akkurat und das alles mit einem Gedächtnis, das nichts vergaß - im Schlechten wie im Guten. Für alle Mitwirkende im Festspiel-Ensemble war er ein starker Regent und fürsorglicher Organisator, von dem ich viel gelernt habe. Nach seinem Verständnis der "Bayreuther Idee" war dieser liebens- und verehrenswerte Mann fast sechs Jahrzehnte lang der ideale Festspielleiter.

Klaus Schult, Intendant, Dramaturg, von 2002-2008 in der Bayreuther Festspielleitung

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