Einer seiner Lieblingssätze lautete, Menschen seien nun mal nicht normal. "Keiner ist es. Also kann ich auch keine normalen Rollen spielen", sagte Philip Seymour Hoffman einst der Frankfurter Rundschau. Das war 2009, er hatte bereits einen Oscar erhalten für seine so eigenwillige wie überzeugende Darstellung des exzentrischen Schriftstellers Truman Capote (2006), und er konnte sich die besten Rollenangebote mittlerweile herauspicken.
Trotzdem spielte der einst als "fulminantester Nebendarsteller der Welt" bezeichnete US-Schauspieler weiterhin am liebsten - und am besten - genau jene Charaktere, die eben nicht ganz normal waren. Und denen er mit seiner ganzen Leibesfülle trotzdem eine Selbstverständlichkeit einhauchen konnte, eine Allgemeingültigkeit, die beeindruckend war. Selbst den erbärmlichsten Gestalten, sogar den übelsten Außenseitern schenkte er in seinen Rollen Verständnis und Sympathie. Eine außergewöhnliche Portion Empathie war da im Spiel.
Burschikose Herzlichkeit, berührende Verletzlichkeit
So war es schon in "Flawless" (1999), wo er den transsexuellen Rusty mimt, der sich um einen Schlaganfallpatienten in seiner Nachbarschaft kümmert - und damit die Macho-Denke des Mannes nachhaltig erschüttert. "Zwischen burschikoser Herzlichkeit und berührender Verletzlichkeit", lobte die Süddeutsche Zeitung damals seine Darstellung. So war es auch als Stalker in "Happiness", als Snob in "Der talentierte Mr. Ripley" und in fast allen Filmen von Paul Thomas Anderson ("Magnolia", "The Master", "Boogie Nights"), zu dessen männlicher Muse Hoffman avancierte - so wie Robert De Niro einst Martin Scorseses Muse war.
Erst nachdem der blonde Barde mit dem gemütlichen Äußeren eine überaus stolze Reihe von Nebenrollen in engagierten Independent-Verfilmungen vorweisen konnte, ließ Hollywood ihn Hauptrollen übernehmen. Und konnte dann kaum genug bekommen von seinem eindringlichen Spiel. Sogar in Blockbustern ("Mission Impossible 3" und "Roter Drache") war er nun zu sehen. Ob als legendärer Rockkritiker in "Almost Famous", als obsessiver Spieler unter dem Deckmantel des biederen Bankangestellten in "Owning Mahony", als lüsterner Pfarrer in "Cold Mountain" oder als schüchterner Junggeselle in "Jack in Love": Seine Figuren blieben in Erinnerung, weil sie anrührten.
Recherche, Vorbereitung, Vorstellungskraft, das sei schon alles und doch sehr harte Arbeit, sagt er 2009 der Süddeutschen Zeitung, nach dem Geheimnis seiner Intensität befragt. Und dass sein mimisches Spiel nicht so herausragend sei, deshalb müsse er mehr aus seiner Körperlichkeit heraus agieren als andere. Bodenständigkeit, Humor und nicht zuletzt die Außenseiter-Erfahrungen als Übergewichtiger, die er in Hollywood wohl immer wieder hat machen müssen, halfen ihm dabei.
Der US-Theaterregisseur Peter Sellars soll einst über ihn gesagt haben: "Man findet einen derartig mächtigen, atemberaubenden Schauspieler mit einer so perversen Imagination in jeder Generation nur einmal." Und wenn dieser Einzigartige seinen Spieltrieb nicht gerade in einem Kinofilm loswerden konnte, dann spielte er Theater, seit mehr als 20 Jahren.
Hoffman, Vorstadt-Scheidungskind aus dem Staate New York, der sich schon mit Anfang 20 nach Abschluss des Colleges wegen Alkohol- und Drogenabhängigkeit einer damals erfolgreichen Therapie unterzog, wie er später erzählte, war der Sohn einer ebenfalls spätberufenen Mutter: einer Menschenrechts- und Frauenrechtsaktivistin, die sich mit 37 Jahren nach der Scheidung von Philips Vater, einem leitenden Xerox-Angestellten, für ein Jurastudium einschrieb und anschließend als Anwältin und Familienrichterin arbeitete. Philipp Seymour Hoffman, eines ihrer vier Kinder, war nur ein Jahr älter, als er mit 38 Jahren seinen Oscar in Händen hielt.
Nadel im Arm
Womöglich wären weitere gefolgt. Wenn er nicht an diesem Sonntag im Alter von 46 Jahren in seiner Wohnung in New York tot aufgefunden worden wäre. Wie es heißt, mit einer Nadel im Arm. Wie es US-Medienberichten zufolge weiter heißt, habe der Schauspieler schon im Mai vergangenen Jahres erneut eine Therapie gemacht. Wie es aber auch erst kürzlich hieß, plante Hoffman gerade einen neuen Film und wollte für "Ezekiel Moss" die Regie übernehmen - mit Amy Adams und Jake Gyllenhaal in den Hauptrollen, ein "übernatürliches Drama".
Sein eigenes, ganz persönliches Drama hat Hoffman nun viel zu früh das Leben gekostet. Die Welt hätte gerne noch mehr von dem Schauspiel-Genie gesehen, das auf den ersten Blick so gar nicht ins glamouröse Hollywood passte - und doch gerade in den schwierigsten Rollen glänzte.
Nur wenige Stunden nach seinem Tod sammelten sich Hunderte Trauernde vor seinem Zuhause in Greenwich Village. Er hinterlässt drei Kinder und deren Mutter, die Kostümbildnerin Mimi O'Donnell.