Zum Tod von Mikael Nyqvist:Bis in die verwahrlostesten Winkel menschlicher Widerwärtigkeiten

Wem immer etwas fehlt, der ist immer auf der Suche. Zum Tod des großen Menschenentdeckers Mikael Nyqvist.

Nachruf von Jakob Biazza

Vielleicht doch erst ein Witz. Vor ein paar Jahren erzählt von Mikael Nyqvist. Am Telefon leider nur, aber manche Menschen können ja selbst durchs Telefon noch eine Präsenz aufbauen, als würden sie sich jeden Moment im Zimmer materialisieren. Der Schauspieler bewarb gerade "Mission: Impossible - Phantom Protokoll", in dem er den Antagonisten von Tom Cruise spielte. Einen, zumal für eine US-Blockbuster-Produktion, seltsam speckig-schwitzenden Irren, der in der Vernichtung größerer Teile der Menschheit das Heil der Welt sieht. Es ging in dem Gespräch also um das Urböse, um dunkle Seelenanteile und die Quellen von Gewalt und Fanatismus. Und gefühlt stand Nyqvist nun eben quasi im Raum. Beziehungsweise lümmelte er eher auf der Couch, wenn man nach dem Gesprächston ging - ein seltsam rauer, halbgestönter Singsang, fast wie bekifft, aber dabei hellwach:

"Wissen Sie, was der Unterschied zwischen einem Pessimisten und einem Optimisten ist?"

Und als der Interviewer verneinte, wie sich das für die Choreografie eines solchen Witzes gehört, erklärte er:

"Der Pessimist sagt: 'Schlimmer kann es nicht werden.' Und der Optimist sagt: 'Doch, kann es!'"

Und man muss das ja genau so machen. Dieser ganze Dunkle-Seiten-Kram ist schließlich eines der unerträglicheren Klischees, die Journalisten Schauspielern anhängen, sobald die einmal einen Menschen spielen, der andere aus nicht sonderlich lauteren Gründen meuchelt. Nyqvist war auf diese Rolle in seinen letzten Jahren recht deutlich gebucht - in Thrillern wie eben "Mission: Impossible" oder in "John Wick". Selbst der Mikael Blomkvist, den er in der Verfilmung von Stieg Larssons Millennium-Trilogie gab, hatte ja etwas Dunkles. Zuletzt war er als Jugendpfleger Paul Schäfer zu sehen, der in "Colonia Dignidad" als Anführer einer urchristlichen Sekte in der chilenischen Provinz zum Teil entführte Kinder missbrauchte. Das ultimative Böse. Klar, dass da mal ein Witz hermuss.

Mikael Nyqvist war ein gewaltiger Menschenentdecker

Oder nein, genauer: Klar, dass bei Nyqvist ein Witz hermusste. Als Brechung. Denn das war es ja, was die Kunst des am 8. November 1960 in Schweden geborenen Schauspielers so groß machte. So groß, weil so verwirrend. Seine Bösewichte waren bis in die verwahrlostesten Winkel menschlicher Widerwärtigkeiten ausrecherchierte Seelen. Spielte er Fanatiker, las er Mao und Charles Manson. Und trotzdem war da immer noch ein Augenzwinkern. Ein Hauch Ironie. Vielleicht sogar Humor. Und ganz vielleicht sogar Liebe.

Sein Kurt Hendricks sei ja nun "kein Typ, der Kinder frisst", verteidigte er die "Mission: Impossible"-Rolle. Ein paar Jahre später, als er dann doch den Kinderfresser Paul Schäfer spielte, erklärte er der SZ, es gäbe einen Mechanismus, der erstaunlich gut funktioniere: "Wenn sich ein Schuft von seiner netten Seite zeigt, sind die Zuschauer sofort von ihm hingerissen. Du bist ständig ein Fiesling und auf einmal gibst du dich liebenswürdig. Und die Leute denken sofort, ach, der hatte vorher nur einen schlechten Tag."

In diesem Sinne war Nyqvist ein gewaltiger Menschenentdecker. Einer, der noch in der idealtypischsten Bösewicht-Rolle eine Nuance fand. Etwas Lustiges, etwas Absurdes, etwas Menschliches.

Die Küchenpsychologie würde das bestimmt auf seine Vergangenheit als Adoptivkind zurückführen. Seit er fünf war, wusste er, dass die Menschen, die ihn aufzogen, nicht seine leiblichen Eltern waren. Erst als er selbst Vater wurde, suchte er seinen eigenen. Das habe ihn in allem beeinflusst, was er tat, sagte er dazu. "Die Suche nach meinen Wurzeln und der Anspruch, mehr zu verstehen als nur das Hier und Jetzt."

Wem immer etwas fehlt, der ist immer auf der Suche. Wer nur lang genug sucht, der findet irgendwann eben auch die ganz schwierigen Zwischennoten.

Und im Zweifel bleibt immer der Humor. Er schätze an amerikanischen Blockbustern, erzählte er ebenfalls vor ein paar Jahren, vor allem "diese ganzen Stunts! Wir machen so etwas in Schweden ja nicht." Bei einem dieser Stunts, es war beim Dreh für "Mission: Impossible", musste Nyqvist kopfüber hängend seinen Part spielen. Den speckigen Irren, mit den irren Zwischentönen. Und Regisseur Brad Bird fragte ihn: "Was ist dein Subtext, Mike?"

Und "Mike", der eben die Choreografie von guten Witzen versteht, brüllte Bird an: "Nicht kotzen zu müssen!"

Nun ist der sehr düstere und sehr lustige Schauspieler Mikael Nyqvist an Lungenkrebs gestorben. Er hinterlässt eine Frau und zwei Kinder.

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