Zum Tod von Helmut Dietl:Abschied vom Virtuosen des Hintersinns

Den Stoff für seine Filme fand er in der Bussi-Bussi-Gesellschaft seiner Heimat München. Doch Helmut Dietl interessierte sich auch für die Sehnsüchte der Deutschen und das Prominenten-Milieu der Berliner Republik.

Von Bernd Graff

In einem seiner letzten großen Interviews begegnete Helmut Dietl seinem da fast schon gewissen Schicksal mit augenzwinkernder Melancholie. Lungenkrebs hatte man im Oktober 2013 bei ihm festgestellt, einen Monat später gab er das Interview: "Krebs - das hat mir gerade noch gefehlt", meinte er.

Doch so beiläufig, wie es hier anklang, war diese Diagnose gar nicht. Denn die Ärzte hätten ihm nur noch eine eher weniger als zehnprozentige Heilungschance gegeben, er selber fand die klassischen Krebs-Behandlungsmethoden Chemotherapie und Bestrahlung wenig erfolgversprechend. Doch gewundert habe ihn die Diagnose nicht. Zwar habe er schon lange mit dem Rauchen aufgehört, aber er habe wohl "über eine Million Gitanes" in seinem Leben geraucht. "Es ist geradezu ein Wunder, dass es so lange gut gegangen ist." Dietl war da noch nicht einmal siebzig Jahre alt.

Gitanes, das waren die Zigaretten im Maispapier, die so unfassbar lässig an der Lippe klebten - damals in den späten Sechzigerjahren, als französisches Savoir Vivre nach dem Pariser Mai, den Studentenunruhen, in Deutschland so unglaublich angesagt war.

Helmut Dietl, geboren am 22. Juni 1944 in Bad Wiessee/Oberbayern, war in München aufgewachsen, hatte hier am Schwabinger Realgymnasium Abitur gemacht und anschließend Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte studiert, eher so vor sich hin, er machte keinen Abschluss.

München erlebte damals Demos, Rebellion, Revolten und Umwälzungen aller Art: Der "Neue Deutsche Film" wurde dort erfunden und krempelte alle cineastischen Traditionen um. Rainer Werner Fassbinder machte "action-theater" für ein völlig neues Publikum. Das Musical "Haare/Hair" im Theater an der Brienner Straße provozierte mit vollständig nackten Darstellern.

Gleichzeitig diskutierte die Republik über die Filmchen des Sex-Aufklärers Oswalt Kolle, auch in Münchner Wohngemeinschaften und Kommunen wird die Revolution ausgerufen - dank der frei erhältlichen Anti-Baby-Pille ist damit die sexuelle Revolution gemeint, Werner Enke und Uschi Glas halten in dem Münchner Film "Zur Sache Schätzchen" der Spießergesellschaft den Spiegel vor.

Er hatte etwas, was der Studentenbewegung fehlte

Und auf diese Gemengelage aus Veränderung und Ausprobieren trifft der Gitanes rauchende Helmut Dietl, ein junger Mann mit etwas, das den heiteren, aber auch verbiesterten Agitatoren der Studentenbewegung in München eigentlich völlig abgeht: Dietl hat wirklich Humor.

Sein komisches Talent konnte er allerdings erst später ausleben. Denn Helmut Dietl begann als Aufnahmeleiter beim Fernsehen, später wurde er Regieassistent bei den Münchner Kammerspielen. Seine erste Inszenierung für die Kammerspiele war "Lass ma's bleiben". Er wechselte dann zu einer freien Produktionsfirma, wo er als Dramaturg und Produzent unter anderem Bernhard Wickis "Das falsche Gewicht" und "Die Eroberung der Zitadelle" betreute.

"Deutsche Antwort auf Woody Allen"

Erst mit den legendären "Münchner Geschichten", um Menschen aus seiner Nachbarschaft gewissermaßen, debütierte Dietl ab 1973 im TV-Vorabendprogramm als Regisseur. Endgültig bekannt machte ihn die TV-Serie "Der ganz normale Wahnsinn", die unter dem Titel "Der Durchdreher" 1979 sogar als Kinofilm herauskam.

Die Fachkritik feierte Dietl und sein mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnetes Werk als die "deutsche Antwort auf Woody Allen".

Weil Dietl dann endlich einmal etwas anderes als München um sich herum haben wollte, - "immer die gleichen Gesichter, die gleichen Sprüche" - ging er eine Zeit nach Los Angeles, kehrte aber bald nach Deutschland zurück, um ab 1983 die zehnteilige ARD-Vorabendserie "Monaco-Franze - der ewige Stenz" zu drehen.

Das war sein endgültiger Durchbruch. Diese äußerst erfolgreiche Produktion lief auch im Hauptprogramm des zweiten Österreichischen Fernsehens und im Dritten Programm des Bayerischen Fernsehens und wurde bei der Wiederholung im Hauptabendprogramm der ARD im Jahr 1987 zum Sommerhit des Jahres.

Sonde im Fleisch der Münchner Spießer

Danach folgte der Riesenerfolg "Kir Royal", ein TV-Sechsteiler, den Dietl für den WDR drehte. Unvergessen sind diese Ur-Münchner Geschichten um den Klatschkolumnisten "Baby Schimmerlos", von Franz Xaver Kroetz unnachahmlich verkörpert.

Eigentlich porträtierte Dietl sich aber darin selber. Denn Kroetz war wie sein Münchner Regisseur eine Sonde im Fleisch der Münchner Spießer und Adabeis, jemand, der genau hinsah und sofort begriff, mit wem er es zu tun hatte. Dietl und Schimmerlos waren alles andere als schimmerlos.

"Kir Royal" bekam natürlich den Grimme-Preis, so etwas würden öffentlich-rechtliche Sender heute ja gar nicht mehr produzieren. Der WDR wollte die Zusammenarbeit mit Dietl - "ein Glücksfall" - sogar unbedingt fortsetzen, dieser aber sah - wie er der Süddeutschen Zeitung 1991 gestand - im "Fernsehen nicht mehr seine Heimat" und erklärte, sich künftig thematisch nicht mehr auf Lebensbeschreibungen aus dem bayerischen Raum beschränken zu wollen.

Und jetzt hob das Dietl-Raumschiff der genauen Beobachtung erst recht ab.

Bittersüßer Charme

Zwei Jahre lang schrieb er am Drehbuch für seinen ersten, 1992 realisierten Kinofilm. "Schtonk" hieß er - und wieder ging es um Journalismus, diesmal um die Realsatire um die gefälschten Hitler-Tagebücher, die Dietl mit Uwe Ochsenknecht, Götz George und Christiane Hörbiger in den Hauptrollen umsetzte.

Dietl wollte mit "Schtonk" keine dokumentarische Behandlung der stern-Affäre verwirklichen, sondern mit seiner Satire einen "Film über Deutschland" und über die "Sehnsüchte der Deutschen" machen. Und die bestanden darin, "das schier Unmögliche, das Unglaubliche wahr zu machen".

Er sei ein "Virtuose des Hintersinns, des bittersüßen Charmes und eines manchmal beißenden Sarkasmus", schrieb der Focus damals. Das war er erst recht nach seinem zweiten Kinospielfilm "Rossini oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief" aus dem Jahr 1997.

Diese mit einem Filmband in Gold für den besten Film des Jahres und mit drei weiteren Preisen ausgezeichnete Gesellschaftssatire kreiste wieder um die Bussi-Bussi-Gesellschaft und Filmschickeria seiner Heimatstadt.

Vier Ehen und eine lange Liaison

Ende 1995 hatte Dietl einen Fünfjahresvertrag mit dem Privatsender Sat.1 abgeschlossen, in dessen Rahmen er sich als Autor, Regisseur und Executive Producer um die Entdeckung und Förderung von jungen Talenten sowie von "unterhaltsamen Qualitätsprogrammen" verdient machte. Für den Privatsender produzierte er auch Jo Baiers hoch gelobtes Psychogramm "Wambo" um den ermordeten bayerischen Volks-Schauspieler Walter Sedlmayr.

Mit der Kinokomödie "Vom Suchen und Finden der Liebe" lieferte Dietl 2005 zusammen mit dem Drehbuchautor Patrick Süskind eine sehr persönliche Adaption des "Orpheus und Eurydike"-Stoffes als Tragikomödie. Moritz Bleibtreu spielt die suizidale Hauptfigur Mimi, die wie Dietls Alter Ego wirkt. Die Kritiken fielen hier aber eher mäßig aus, der filmdienst sprach von einem "pseudoklassizistischen, etwas behäbigen Tanz auf einem längst erloschenen Vulkan."

Dietl war mehrfach verheiratet: Zuerst mit der Journalistin Katharina Wichmann, dann mit der Schauspielerin Barbara Valentin, dann mit der Französin Denise Cheyresy. Danach war er ein Jahrzehnt lang mit der Schauspielerin Veronica Ferres - "Meine Vroni" - liiert, die auch in mehreren seiner Filme mitspielte. Eine vierte Ehe schloss Dietl 2002 mit der Regisseurin und Filmproduzentin Tamara Duve, einer Tochter des SPD-Politikers Freimut Duve, die im Juli 2003 die gemeinsame Tochter Serafina Marie zur Welt brachte.

Getroffen von der Ablehnung

Obwohl Dietls Schaffen um München kreiste, wohnte er auch einige Jahre in Berlin-Mitte. Hier entstand auch 2012 das Kinostück "Zettl", eine Persiflage auf den Politikbetrieb der Hauptstadt, mit Bully Herbig, Ulrich Tukur, Harald Schmidt, Senta Berger, Dieter Hildebrandt, Karoline Herfurth, Dagmar Manzel, Sunnyi Melles, Gert Voss, Christoph Süß, Götz George und Hanns Zischler zwar hochrangig besetzt, aber von der Kritik nahezu einhellig verrissen.

Die Geschichte um den ehrgeizigen Chauffeur im Prominenten-Milieu der "Berliner Republik", der zum Chefredakteur eines neuen Boulevard-Magazins aufsteigt, verfing nicht wirklich und wurde vom Publikum weitestgehend ignoriert.

Helmut Dietl berichtete damals, wie sehr ihn die Ablehnung getroffen habe. Und deutete da auch an, dass es einen Zusammenhang zwischen dieser Kränkung und seiner Erkrankung geben könnte.

Am 30. März 2015 ist Helmut Dietl seinem schweren Leiden erlegen.

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