Zum Tod des Schauspielers Hansjörg Felmy:Wie man die Requisite an die Wand spielt

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Mürrisch, geschieden, Frikadellen essend, und dann auch noch im Columbo-Mantel: Warum der Tatort-Kommissar trotzdem so gut war - bevor ihm die Drehbücher zu dumm wurden.

Gerhard Matzig

Es versteht sich von selbst, dass auch sein Kommissar mit all den plakativen Erkennungszeichen ausgestattet wurde, die noch stets als nötig erachtet werden, um aus einer Fernseh-Existenz so etwas wie eine Marke zu machen. Der in Essen ermittelnde "Tatort"-Kommissar Heinz Haferkamp, den Hansjörg Felmy 20 mal zwischen 1974 und 1980 mit großem Erfolg gespielt hat, trug zum Beispiel einen Regenmantel, bei dem man nicht so genau wusste, ob er eine Reverenz an Chandlers literarischen Privatdetektiv Philip Marlowe sein mochte - oder eine Analogie zur Knautschversion des TV-Inspektors Columbo.

Haferkamp geht in die Luft - im Tatort "Zwei Leben". (Foto: Foto: WDR)

Zudem musste sich Felmy in seiner Rolle als Haferkamp vornehmlich von Frikadellen ernähren, viel zu viel trinken, mehr als genug rauchen - und im Übrigen seine exquisite Jazzplatten-Sammlung pflegen. Mürrisch, einsilbig, geschieden, melancholisch, aber auch kühl bis zum Sarkasmus: All das musste er obendrein sein.

Dem großen Schauspieler Felmy wird man mit der Darstellung seiner mit Chiffren überreich beladenen "Tatort"-Einsätze nicht gerecht; es war seine populärste, bei weitem aber nicht die wichtigste Darstellung dieses Filmschauspielers und Bühnendarstellers. Und trotzdem eignet sich Haferkamp wie kaum eine andere Figur seines Repertoires, um Felmys Spielkraft zu beschreiben.

Denn Felmy spielte seinen Regenmantel, die Frikadellen, Weingläser und sogar die aufgesetzte Melancholie so souverän und verachtungsvoll an die Wand, dass das Publikum schon nach wenigen Folgen auf diese Zuschreibungen sehr gut hätte verzichten können. Felmys Kunst verdankte sich nicht der Requisite. Und auch nicht den Drehbüchern. Obwohl er das Glück hatte, sie etwa von Wolfgang Becker oder Wolfgang Staudte zu bekommen - es waren einige der besten in der langen Geschichte des "Tatorts".

Felmys Schauspielkunst beruhte nicht auf dem präzisen Einsatz von vorgegebenen Äußerlichkeiten, sondern auf der Fähigkeit, eine Figur, eine Situation oder eine Atmosphäre aus sich selbst heraus und nach eigenen Regeln glaubwürdig zu erfinden, auf den Punkt zu verdichten und letztlich zu dominieren.

Felmy siegte stets über Haferkamp. Denn man wollte ihm nicht dabei zusehen, wie er melancholisch an der Bar sitzt und das Weinglas anschaut - sondern, wie er klug und, darin lag ein irritierend wichtiges Moment seines Spiels, erst verstehend, dann auch voller Verständnis auf das Verbrechen blickt. Indem er das Verbrechen verstand, im Sinne der kühlen Analyse, konnte er es aufklären. Aber es war doch stets ein Verstehen, das ihn, den Polizisten, an die Seite des Kriminellen rückte. Erst daraus bezogen die Haferkamp-Filme ihre einzigartige Melancholie.

Dieser Kommissar wusste um die Abgründe, weil er ihnen nahestand. Mit Jazz, Wein und traurigem Geschiedensein-Blick hatte das nichts zu tun.

"Da lese ich lieber ein Buch"

Man kann deshalb auch verstehen, dass Felmy schließlich nicht gerade versöhnt aus der "Tatort"-Produktion ausstieg, um sich allmählich sogar ganz vom Fernsehgeschäft zu verabschieden. Die Drehbücher wurden ihm zu dumm. Denn letzten Endes hat die Requisite doch gewonnen: Der ARD-Kommissar heutigen Zuschnitts ist zum Action-Helden degradiert worden oder muss seine komplette Biographie zum Einsatz bringen, muss sich wahlweise in die Hauptverdächtige verlieben oder mit der Tätigkeit des Alleinerziehens überfordert sein, damit sich überhaupt irgendeine Geschichte erzählen lässt.

Felmy aber war einer der letzten Kommissare (und einer der beliebtesten), die durch ihr fulminantes Spiel aus einem hölzernen Beamtenbüro samt Betriebskantine, in Essen, Hamburg, Stuttgart, Saarbrücken oder anderswo, einen Schauplatz dramaturgischer Größe zu machen wussten. Über seinen Nachfolger Schimanski (Götz George) sagte Felmy: "Ach Gott, der ist schon immer durch Türen gesprungen, nicht wahr?" Und zu Lena Odenthal (Ulrike Folkerts), bemerkte er noch weit ungnädiger: "Da lese ich lieber ein Buch."

Fernsehen, fand Felmy zuletzt, grenze an Masochismus. Das sagte ein Mensch, der, 1931 als Sohn eines Fliegergenerals in Berlin geboren, vom Gymnasium in Braunschweig flog, erst Schlosser, dann Buchdrucker werden wollte, um schließlich zum Schauspielunterricht am Staatstheater Braunschweig zu finden. Er erlernte die Bühnenkunst als Handwerk außerdem in Aachen und Köln - und debütierte schließlich 1949 in "Des Teufels General". Doch einige Jahre später wurde er für den Film entdeckt.

Und tatsächlich fand er dort seine einprägsamste Rolle. In Kurt Hoffmanns Satire "Wir Wunderkinder" (1958), in der das Lachen die Differenz zwischen Drittem Reich und Wirtschaftswunder ausfüllen sollte, gelang es Felmy, die Existenz eines furchtsam-aufrechten Rebellen inmitten einer opportunistisch biegsamen Welt glaubhaft zu machen.

Gut möglich, dass er sich auch ein wenig selbst spielte. Am Freitag ist Hansjörg Felmy in seinem Haus in Niederbayern mit 76 Jahren nach langer Krankheit gestorben.

© SZ vom 29.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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