Zum Tod der Sängerin France Gall:Meisterin der ironischen Erotik

Französische Sängerin France Gall gestorben

Mit 16 landete sie ihre ersten Hits, die Serge Gainsbourg eigens für ihre Stimme schrieb: France Gall.

(Foto: dpa)

Ihre Texte handelten oft zweideutig von Sexualität, Männer traten in diesen Liedern allenfalls als Komparsen auf. Nun ist die französische Chan­so­ni­e­re France Gall gestorben.

Von Thomas Steinfeld

Das Leichte kann etwas sehr Schwieriges sein, vor allem, wenn man es nicht versteht. "Poupée de cire, poupée de son" sang France Gall im Jahr 1965, mit einer unsicheren Stimme, wie sie noch einem Kind zugehören könnte (die Sängerin war damals 18 Jahre alt). Serge Gainsbourg, nicht nur selber Chansonnier, sondern auch der Impresario des französischen Pops der Sechziger und Siebziger, hatte dieses Lied geschrieben. Der Refrain beginnt mit der Zeile "Puppe aus Wachs, Puppe aus Klang", der vermeintliche Schlager entpuppt sich als Selbstgespräch einer jugendlichen Sängerin, die sich zur Schallplatte gepresst und als Bild vertrieben findet, ohne doch die Fantasien einlösen zu können, die ihre Hörer mit ihrer medialen Existenz verbinden. Das Lied endet mit den Worten: "Eines Tages werde ich meine Lieder leben / Puppe aus Wachs, Puppe aus Klang, / Ohne mich vor der Hitze der Jungen zu fürchten". Die Verse sind nicht nur selbstreflexiv, sondern enthalten auch ein beträchtliches Maß an ironischer Erotik.

Das Lied gewann den Grand Prix d'Eurovision. Als es kurz darauf auf Deutsch erschien, lautete der Titel "Das war eine schöne Party", und jede Erinnerung an frivole Zweideutigkeiten war getilgt. Und während in Frankreich mit solchen Liedern ein eigenes Genre entstand, das den Namen "Yé-yé-Pop" erhielt (als französische Variante des britischen "Yeah, yeah, yeah"), wurde aus France Gall in Deutschland eine Schlagersängerin, mit beträchtlichem Erfolg ("Zwei Apfelsinen im Haar", 1968; "Ein bisschen Goethe, ein bisschen Bonaparte", 1970) und mit nicht minder großem Verlust an Geist.

Der "Yé-yé-Pop" war hingegen ein Versuch, die Intellektualität und Intimität des Chansons zu wahren und an die veränderten Bedingungen des musikalischen Betriebs anzupassen: in kleinen Formen, mit der Verstärkertechnik des Pop, mit einem eher kunstlosen Gesang. Es waren vor allem Frauen, die das neue Genre gestalteten: Sylvie Vartan, Jane Birkin, Françoise Hardy und eben France Gall. Und je genauer man auf die Texte hört, desto weniger wird man auch nur ein Lied finden, das nicht von Sexualität handelt - reflektiert, gebrochen, aber auf eine Weise frei, für die sich heute nur schlecht ein aktuelles Beispiel finden würde, zumal Männer in diesen Liedern allenfalls als Komparsen auftreten.

Die Luftigkeit ihres Genres schien irgendwann nicht mehr in die Gegenwart zu passen

Das Lied "Polichinelle" (das ist die französische "Pulcinella", 1967) gilt einer Puppe, die sich im Bett der Sängerin in einen leibhaftigen Prinzen verwandelt, aber augenblicklich wieder ihre ursprüngliche Gestalt annimmt, wenn die Mutter das Zimmer betritt. Und als France Gall darauf angesprochen wurde, dass es in ihrem Lied über "Les sucettes" ("Die Dauerlutscher", 1966) womöglich um Doppelsinniges gehen könnte, tat sie zwar erstaunt - man glaubt ihr die Überraschung aber nicht, weil das Amoralische in diesem Genre durchgesetzt war, auf eine spielerische Art, die manchmal an die Filme Eric Rohmers ("Die Sammlerin", 1967) erinnert.

France Gall war indessen selbstbewusst und klug genug, um zu wissen, dass nicht nur der deutsche Schlager, sondern auch der "Yé-yé-Pop" für sie ein Ende nehmen musste. In Frankreich begann sie Mitte der Siebzigerjahre, oft in einer Zusammenarbeit mit dem Komponisten Michel Berger, Lieder zu singen, aus denen das Zweideutige verschwunden, die Leichtigkeit aber geblieben war: einfach, aber berührend, beiläufig, aber überraschend präzise, so wie in dem Liebeslied "La déclaration" (1974) oder aber auch in "Ella, elle l'a" (1988), einer Hommage an Ella Fitzgerald, die nicht nur in Frankreich, sondern auch in vielen anderen Ländern zu einem Erfolg wurde.

Seit den Neunzigern, seit dem Tod ihres Komponisten und Ehemannes Michel Berger, lebte France Gall zurückgezogen. Sie dürfte gewusst haben, warum sie die öffentlichen Auftritte aufgab: Während das "Yeah, yeah" mitsamt seinem in den Sechzigern geschaffenen Repertoire an Formen und Figuren lebendig blieb, so robust und männlich, wie es ist, gibt es an den "Yé-yé-Pop" und seine Filiationen allenfalls nur vage Erinnerungen.

Nicht nur die Luftigkeit und Direktheit dieses Genres, sondern auch dessen Freundlichkeit scheinen nicht mehr in die Gegenwart zu passen. "Die Jungen umarmen die Mädchen / Die Mädchen in langen Hosen / Während wir, die Mädchen, / die Jungen lieben / mit ihren langen Haaren", hieß es in France Galls Lied "Nous ne sommes pas des anges" ("Wir sind keine Engel", 1965). Am vergangenen Sonntag starb France Gall im Alter von siebzig Jahren in einem Krankenhaus bei Paris.

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