Zum 100-sten Geburtstag: Ausstellung in Barcelona:Dalistische Kurven

"Dalinal" wirkt auch keine Wunder mehr.Der Meister aller exakt gemalten Bohnen hat tatsächlich einmal für ein "Mittel gegen angeborene Mittelmäßigkeit" geworben, dem er seinen Namen lieh. Davon hätten die Macher der groß angelegten Dali-Werkschau ohne Risiken und Nebenwirkungen ein wenig mehr einnehmen sollen.

MANFRED SCHWARZ

Leiden Sie an angeborener Mittelmäßigkeit? An Schwachsinn? An Lebensekel - oder gar an Impotenz? ¸¸Nehmen Sie Dalinal, den künstlichen Funken, der ihren Geist entflammt!"

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Ende 1945, in Europa qualmen noch die Ruinen, erscheint in New York die erste Ausgabe der Dalí News, die sich, natürlich, im Untertitel als ¸¸Monarch der Tageszeitungen" bezeichnet, komplett vom Meister selbst verfasst ist und aus Nachrichten, Reportagen, Enthüllungen, Kritiken und Analysen besteht, die ausnahmslos einen einzigen Gegenstand haben: Salvador Dalí. Eine perfekte Mimikry. Auch Werbeannoncen fehlen nicht: ¸¸Dalinal" wird reißerisch angepriesen, ein Lebenselixier für Lebensmüde; hinter dem geschwungenen Flakon erkennt man eine abgetakelte, gebeugte, von Fliegen umschwärmte Männerkontur. Aber steckt in dieser Flasche nun eine exotische Wunderarznei, eine bewusstseinserweiternde Droge - oder ein Fake aus dem Bauchladen des Kurpfuschers? Heilt Dalinal, wie es verspricht, wirklich den ¸¸zeitweiligen intellektuellen Überdruss" - auch den, der sich einstellt, wenn man zu ausgiebig in die opulenten, ja byzantinischen Bildwelten des Künstlerfürsten eintaucht?

Die überaus reich bestückte und glänzend arrangierte Schau im Caixa-Forum von Barcelona, Höhepunkt im spanischen Veranstaltungsreigen zum Dalí-Jahr 2004, sucht nach Antworten. Es ist dem Kurator Fèlix Fanés zu verdanken, dass sich die Hauptausstellung zum 100. Geburtstag des Künstlers nicht als Festtagsparade und glitzernde Waffenschau erregter, übereifriger Dalí-Exegese darbietet oder gar als Hymnus auf die heroischen Eroberungen im Reich des Irrationalen, die der Katalane, der sich gerne mit Christopher Kolumbus verglich, für sich reklamierte.

Auch vermied es Fanés, Dalís ausufernd-pompöses und tolldrastisches, kaum zu überblickendes Spätwerk, das man freilich schon in seiner Lebensmitte beginnen lassen muss, rehabilitieren oder wenigstens neu diskutieren zu wollen - wenn es auch vielleicht reizvoll wäre, einmal seine zahlreichen kulinarischen Porträts der Mid-Century-Schickeria, der spendablen Hollywood-Nabobs und der ach-so-exzentrischen amerikanischen Millionärsgattinnen zusammenzustellen oder Dalís Ausflüge auf die Spielwiesen der zeitgenössischen Kunst der sechziger und siebziger Jahre, zu Op- und Pop-Art, zum Tachismus und zur Kybernetik, kunsthistorisch zu untersuchen.

Fanés, ein ausgewiesener Experte für den prä-surrealistischen Dalí, langjähriger Leiter des ¸¸Zentrums für Dalí-Studien' in Figueras und heute Professor für Kunstgeschichte an der Universität von Barcelona, überrascht das Publikum mit einem wendigen Ausfallschritt. Statt Dalí vor den geläufigen Vorwürfen in Schutz nehmen zu wollen, er habe den Surrealismus und seine eigene künstlerische Bedeutung für eitlen Ruhm und schnelles Geld verkauft, zieht Fanés eben gerade jene besonders im Zwielicht des Kommerzes stehenden Werkkomplexe heran - Modeentwürfe, Werbegestaltung, die Arbeiten für Hollywood, für Hochglanzmagazine oder für den ¸¸surrealistischen" Pavillon der Weltausstellung von 1939 - und das allein, um Dalis Standort in der Künstlergeschichte des 20. Jahrhunderts neu zu bestimmen.

¸¸Dalí. Massenkultur" lautet der vorsichtige und vage Titel der Ausstellung, die nun nicht den Künstler und die Massenkultur des 20. Jahrhunderts in Beziehung zueinander setzt, sondern Dalís Arbeiten für den Massenmarkt versammelt (und dies in erstaunlicher Vielfalt, mit zahllosen wenig bekannten oder längst vergessenen Trouvaillen). Damit bietet er eine neue Lesart an: Natürlich mag hier im großen Stil abgesahnt und ausgeschlachtet worden sein, und überall lauert pompöser Kitsch und peinliche Trivialität wie ein gewiefter Taschendieb. Natürlich ist all dies gemacht für allergrößte Verbreitung, für sofortigen Verzehr - aber eben nicht allein und nicht ohne einen gewissen programmatischen Hintergrund.

Aus der Sackgasse der Dalí-Rezeption bietet die Ausstellung einen Königsweg an. Dalí soll als Heldenfigur der modernen Massenkultur für die Kunstgeschichte gerettet werden. Zwischen Duchamp und Warhol, zwischen den Lebensreformbestrebungen des Jugendstils, der ¸¸Anti-Kunst" der Dadaisten und Futuristen und der ungenierten Alltäglichkeit und Massenverträglichkeit der Popkultur möchte man in Barcelona Salvador Dalí als Transformator, als Hochleistungsmotor der Jahrhundertmitte, eingefügt und neu gewürdigt gesehen.

Der Künstler, so erläutert Fèlix Fanés im Gespräch, sei anders als sein großer Gegenspieler Picasso nicht in erster Linie als omnipotenter Schöpfer, sondern als intellektueller Künstler zu verstehen, der nicht nur auf die moderne Massenkultur reagierte und ihre Anregungen verarbeitete, sondern sich auch nicht scheute, unmittelbar auf ihrem Terrain zu agieren und ins alltägliche Leben zu ¸¸intervenieren". Man kann unschwer Parallelen, nicht zuletzt strategische und geschäftliche, zwischen Salvador Dalí und Andy Warhol erkennen: Er sei der ¸¸größte akademische Maler des 20. Jahrhunderts" war, lobte ihn einmal ein amerikanischer Kritiker. Darüber hinaus besaß er aber auch einen brillanten Intellekt und luzide Sprachkraft. Dalí selbst hat einmal treffend bemerkt, dass er eigentlich zu intelligent gewesen sei, um ein wirklich großer Maler zu werden.

Bestens profitierte er jedoch davon, als er sich anschickte, in Amerika die Rolle seines Lebens zu übernehmen: als Entertainer eines skandalsüchtigen und klatschverliebten Massenpublikums. Dies ist es vor allem, was die Ausstellung, trotz aller Revisionsversuche, letztlich vor Augen führt: die versierte Lancierung und multiple Verwendung der Marke ¸¸Dalí".

Auch wenn man heute, anders als etwa der strenge Zuchtmeister André Breton, Dalís frivole Selbstvermarktung und hemmungslose Geschäftstüchtigkeit als Meisterstreich eines virtuosen Schelms unter den Schildbürgern der Mediengesellschaft betrachten mag, und auch wenn man in der Popularisierung der surrealistischen Ikonografie kein Verbrechen und keine Kulturrevolution, allenfalls vielleicht schlechten Geschmack erkennen mag - der allfällige Ausverkauf seiner längst stereotypen Bildrequisiten, die vorhersehbaren, in homöopathischen Dosierungen verabreichten ¸¸chocs", die ewig gleichen Clownerien und Tricks, die kulinarische Provokation und die stets wohlfeile Exzentrik bleiben letztlich schal und ermüdend.

¸¸Tiefe, echte Monotonie" hatte André Breton schon den Werken Dalís der späten dreißiger Jahre attestiert, und dieser Monotonie entgeht auch nicht der Ausstellungsbesucher, trotz der über vierhundert versammelten Objekten aus den unterschiedlichsten Entstehungszusammenhängen. Es sind stets die gleichen Elemente im einmal bestückten Setzkasten des Paranoikers aus dem Paris der Surrealisten, mit denen der berühmte Entertainer noch auf den amerikanischen Boulevards jongliert, den breiten Straßen des Ruhms: Neurosen in der Endlosschleife.

So vermag es auch die Jubiläumsausstellung in Barcelona nicht, einen neuen, erregenden Blick auf das Werk Salvador Dalís zu bieten. Der Dalí, dem wir in den Entwürfen für Hollywood-Filme von Alfred Hitchcock bis Walt Disney begegnen, in den Werbegrafiken für Damenstrümpfe und Whiskey, Seidenstoffe und Kosmetikartikel, in den Designs von Platten-Covern und Parfüm-Flakons, Damen-Hüten und Herrenkrawatten, in den Titelbildgestaltungen von Zeitschriften wie Vogue und Harper"s Bazaar - er bleibt letztlich immer der, den wir schon kennen. Dalinal wirkt auch keine Wunder. Bleiben wir also lieber bei Alka-Seltzer, das zumindest die Kopfschmerzen vertreibt und für das Dalí in den swinging sixties einen Werbespot als exaltiertes Happening inszenierte - man sieht es in der Ausstellung wie auch andere Werbefilme, für Autos, Fluglinien oder gar Schokolade, mit dem flamboyanten Jet-Set-Dalí in tragender Rolle.

Das Phänomen, die Kunstfigur, das Spektakel Dalí wird vielleicht wirklich als das größte Werk des Künstlers Salvador Dalí überdauern. Zumindest im letzten Raum der Ausstellung ist man davon endgültig überzeugt. Abgedunkelt, vom melancholischen Lichtwurf träger Discokugeln sporadisch erhellt, sieht man dort zur Musik von Velvet Underground monumental an die Wände projizierte Filmaufnahmen aus Andy Warhols Factory. Sie zeigen, ganz magischer Moment, das müde, doch mit ikonenhafter Strenge getragene Gesicht des fast schon greisen Meisters, minutenlang kaum bewegt, hypnotisch starrend, ohne nur einmal mit den Augen zu blinzeln: König der schillernden, der allerartistischsten Posen.

Bis zum 23. Mai 2004 im Caixa-Forum, Barcelona. Anschließend in Madrid, St. Petersburg (Florida) und Rotterdam. Der Katalog ist bislang nur auf spanisch erschienen und kostet im Museum 35 Euro.

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