Zum 50. Münchner "Tatort":Das abgrundtief bayerisch Böse

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Zum 50. Mal widmen sich die Kommissare Batic und Leitmayr den dunklen Mächten Münchens. Zum Jubiläum dankt ihnen ihr Regisseur

Dominik Graf

Mit den Schauspielern Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl drehte der Regisseur Dominik Graf 1995 den Münchner Tatort "Frau Bu lacht". Es war aus heutiger Sicht gewissermaßen ein Fall der Frühzeit, denn Nemec und Wachtveitl ermitteln seit 1991 als Kommissare Ivo Batic und Franz Leitmayr - am 28. September lösen sie in der ARD ihren 50. Fall. Der Bayerische Rundfunk stellte die Produktion mit dem Titel "Liebeswirren" am Montag vor - hier eine gekürzte Fassung der Rede von Dominik Graf auf die Münchner Ermittler.

"Liebeswirren" heißt der 50. Münchner Tatort, der am 28. September im Ersten ausgestrahlt wird - zum Jubiläum gab es aber nun erst mal Tortenwirren für Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl (links)alias Ivo Batic und Franz Leitmayr. (Foto: Foto: dpa)

Es ist ja erst mal so: Wenn irgendjemand auf der Welt seine Fußstapfen auf dem Pflaster der Stadt, in der er lebt und arbeitet, vergoldet verdient, dann sind das Polizisten. Und außer den Polizisten sind es nur noch Schauspieler, die Polizisten spielen. Und sonst niemand.

Lieber Miro Nemec, lieber Udo Wachtveitl - eure Vorgänger im Münchner ARD-Dienst waren ja schon beträchtliche Kaliber: Gustl Bayrhammer, Helmut Fischer - und halt, nein Walter Sedlmayr war's nicht, obwohl man das immer irgendwie zuerst einen kurzen Moment lang glaubt, aber der spielte stattdessen lieber die Gegner von Gustl Bayrhammer, und zwar waren das abgrundtief böse Bayern, wie es sie im Leben bei uns in München immer schon zuhauf gab, und im Film und Fernsehen immer schon etwas zu wenig.

Also ihr beide hattet jedenfalls ein vergleichsweise hartes Erbe 1991 anzutreten. Ihr wart aber andererseits auch sofort bei Amtsantritt eine derart deutliche Abkehr des Münchner Tatorts von jener älteren Nachkriegs-Männer-Kommissars-Generation, dass man schon im ersten Moment eures Auftretens das Gefühl hatte: So, das war jetzt aber höchste Zeit, dass zwei solche kommen. Denn München war halt 1991 einfach schon ganz anders als es das München unserer Eltern gewesen war.

Wie Brüder

Und ihr wart nicht nur jünger, ihr wart auch in ganz anderer Hinsicht komplett neu. Denn ihr hattet nicht eine Schimanski-hafte Typologie aufzufahren; ihr hattet keine speziellen Attitüden, ihr habt nicht von Anfang gesagt, der eine von uns ist so und der andere ist so, der eine isst am liebsten beim Italiener, der andere im Schnellrestaurant - ihr wart eher wie Brüder, und das war auf lange Sicht ein viel moderneres Team-Konzept als die sich gerne ewig befehdenden Mannschaftskollegen aus Duisburg, Hamburg, Berlin, Köln, was weiß ich wo... Ihr wart von Anfang an wie ein verblüffendes Januskopf-Paar, und ihr seid das (nun auch noch irgendwie beide fast zeitgleich etwas grauer geworden) wahrhaftig geblieben.

Batic und Leitmayer, Leitmayer und Batic prägt ein fast unmerkliches allmähliches Eingehen auf die Fälle, auf die Welten und Menschen, die euch begegnen, jeder auf seine Weise schlüpft allmählich emotional wie in einen Handschuh hinein in die fremdesten, multikulturellen oder extremst deutschen Milieus. Ich sag nur Chinesen, Thailänder, Schafhirten, Kunsthändler, Wandergesellen... Ohne dass man es wirklich immer sofort merkt, wann's genau passiert, dass ihr mit Leib und Seele drin seid.

An die Nieren

Aber ihr ermittelt euch bis ins Zentrum dieser Welten hinein, ihr werdet unterstützt von den zumeist immer noch witzigsten Dialogen aller Tatorte, und es scheint stets an der Oberfläche etwas Leichtes, Lockeres in der Art, wie ihr euch vorwärtsbewegt. Eigentlich merkt man meist erst gegen Ende an einer gewissen Dann-doch-Zerzaustheit, wie sehr es Batic und Leitmayer jedes Mal an die Nieren gegangen ist.

Ich glaube ja, dass diese sanfte Melancholie, diese Einsicht in den Lauf der menschlichen Dinge - die auf mich ebenso stark wirkt wie euer Zorn manchmal - auf die Dauer sehr wirksam war beim Publikum. Man liebt euch auch deshalb, weil ihr das Leben nehmen könnt, so wie es ist - bis eben auf die Momente, in denen auch bei euch ganz entschieden Schluss sein muss mit lustig. Die Leute mögen solche Charaktere, es hat etwas Kalifornisches, oft so gelassen auf die wahrlich bösen Mächte Münchens zu reagieren. So wie München ja auch im Herzen eigentlich so ein Sunshine-State ist, mit tiefschwarzen Schatten im Zentrum.

Eure Generation - und meine - hat in München nun mal vor allen Dingen der AFN der siebziger, achtziger Jahre geprägt, mit seinen großartigen Discjockeys und ihren Witzen und natürlich mit der Musik. Wenn man durch unsere niegelnagelneuen Auto-Unterführungen der Olympia-Zeit durchfuhr, zum Beispiel unterm Prinz-Karl-Palais, dann verstummte meist der Sender - obwohl der AFN nur 200 Meter entfernt war in der Kaulbachstraße - und man sang die Songs im Auto eine halbe Minuten lang solo weiter, in der Hoffnung, dass man beim Auftauchen aus dem Tunnel wieder halbwegs im Einklang mit dem Lied war.

Das moderne München

Es stimmt schon, der Nachkriegs-Muff der Wadlzwicker und Bärbeisser war schon weitgehend raus aus den bayrischen Polizeibüros, als ihr dann 1991 anfingt. Das Nachkriegs-München des Wiederaufbaus, der rauchgeschwängerten Luft, der dicken Baulöwen, der Olympia-Gewinnler und -verlierer, aber auch eben das AFN-München, das Discosound-München, sozusagen unser München, wenn ihr so wollt, das war bereits im Verschwinden begriffen. Es wurde seit Anfang der neunziger Jahre schleichend ersetzt durch ein Wellness-München, ein Nichtraucher-München, ein Fahrradweg-München, ersetzt durch den Versuch einer Light-Version dieser Stadt, möglichst ohne Drogen, ohne Kriminalität.

Aber es gibt keine Light-Version einer Großstadt, niemals, das werden die Politiker auch noch lernen müssen, es wird ihn immer auch in München geben, den Dreck, das Elend, die Gier, das Rotlicht, den Sex. Polizisten wissen das besser.

Heute ist es so, dass sich die Zeit, die Fälle, die Stadtviertel, die armen Schweine und die Arschlöcher, die Vorgesetzten, die Huren, die schönen Frauen der besseren und der weniger guten Gesellschaft - dass sich alle wie in eine Baumrinde bei euch eingegraben haben scheinen. Das moderne München ist nicht nur in der veränderten Natur der Kriminalität und der Fälle eingezeichnet... ihr seid es selbst, die die Fälle inzwischen "anhaben" wie ein Kostüm.

Und wenn man die 50 Tatorte dann schließlich so Titel für Titel vor einem liegen hat, dann sind es doch nicht so viele, weil man merkt, dass man die meisten davon kennt, sie mit Freuden gesehen hat und sie einem von der "Chinesischen Methode" bis zu fast allen Filmen in den letzten Jahren im Gedächtnis geblieben sind - und weil man sich ja auch noch viel mehr Filme von euch wünscht.

Ich danke euch für das, was ihr mir und uns allen für Freude, Spannung und Entspannung geschenkt habt - und was für einen einzigartigen Blick ihr uns auch noch geschenkt habt, auf diese Stadt in genau dieser Zeit.

© SZ vom 16.09.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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