Zum 80. Geburtstag von Quincy Jones:Leonardo des Pop

Quincy Jones

Quincy Jones verkörpert alles, was im Musikgeschäft möglich scheint: er ist Musik- und TV-Produzent, Jazzmusiker, Komponist, Arrangeur, Dirigent und Bandleader.

(Foto: DPA)

Er war Musik- und TV-Produzent. Er war Bandleader. Er war Dirigent. Er war irgendwie alles. Er hat noch Dinge gesehen, die uns heute wie ein Traum erscheinen. Nun wird unser Alles-Mann 80 Jahre alt.

Von Karl Bruckmaier

Alles Gute zum 80. Geburtstag, Quincy Jones. Sir. Er wird geboren in Chicagos South Side. Er trägt ein Messer mit vier. Mit zehn findet er sich in Seattle wieder. Er ist das einzige dunkelhäutige Kind an seiner Schule. Er singt natürlich Gospel. Mit vierzehn trifft er Ray Charles. Er spielt um sieben Uhr mit Ray im Country Club. Er spielt um zehn Uhr mit Ray in schwarzen Clubs. Er spielt nach Mitternacht mit Ray für Stripper und Spieler und Soldaten. Und danach noch etwas Bebop. Er spielt wie Miles, weil er nicht wie Dizzy spielen kann.

Er wird nach Boston geschickt, um Musik zu studieren. Mit 18 spielt er in Lionel Hamptons Band. Er spielt dort drei Jahre lang, sechs Tage die Woche. Er bekommt 17 Dollar pro Abend. Er schläft in Hotels für Schwarze. Er geht auf Toiletten für Schwarze. Er isst in Restaurants für Schwarze. Er sieht Elvis Presley. Er wird nach Paris geschickt, um Musik zu studieren. Er beginnt, sich als Künstler zu sehen und zu verstehen.

Er wird von Plattenfirmen angestellt, um Jacques Brel aufzunehmen. Er wird von Plattenfirmen angestellt, um Charles Aznavour aufzunehmen. Er wird von Plattenfirmen angestellt, um Sarah Vaughan und Billy Eckstein aufzunehmen. Er lernt von Nat King Cole, dass man eine schnelle Karriere haben kann oder eine langsame. Er entschließt sich für die schnelle Karriere.

Der Leonardo des Pop

Mit 28 produziert er seinen ersten Pophit. Mit 30 schreibt er seine erste Filmmusik. Er arrangiert, dirigiert und produziert. Er nimmt mit Frank Sinatra auf. Er hört die Beatles. Er macht eine Platte namens "Quincy Jones Plays Hip Hits". Er hört Bossa Nova und macht eine Platte namens "Big Band Bossa Nova". Er sieht James Brown und macht eine Platte namens "Quincy's Got a Brand New Bag". Er sieht die Mondlandung und macht eine Platte namens "Walking in Space". Er arbeitet mit Paul Simon, Aretha Franklin und Count Basie.

Mit 40 platzt eine Ader in seinem Gehirn. Er entscheidet sich nun für die langsamere Karriere. Danke für den Tipp, Nat. Er beginnt, sich selbst als Star zu sehen und zu verstehen. Er arbeitet von jetzt etwas weniger, etwas wählerischer. Er entdeckt Comedy für sich. Er arbeitet mit Will Smith, Whoopie Goldberg, Richard Pryor und Bill Cosby. Mit 45 lernt er bei Dreharbeiten Michael Jackson kennen. Er hält ihn am ersten Tag für einen Tanzclown. Er bietet ihm am zweiten Tag an, sein nächstes Album zu produzieren. Er kreiert aus Schmalz, Disco und funky Gitarren das Gesamtkunstwerk Michael Jackson. Er produziert "Off the Wall". Er produziert "Thriller".

Mit 50 ist ihm klar, dass es nach einer Million verkaufter Alben pro Woche nur noch bergab gehen kann. Er produziert "We Are the World". Er produziert "Bad". Er steigt ins Filmgeschäft ein. Er erwirbt die Rechte an "Die Farbe Lila". Er produziert, Steven Spielberg führt Regie. Er überredet Miles Davis kurz vor dessen Tod, in Montreux noch einmal seine Musik in den Arrangements von Gil Evans zu spielen. Er dirigiert das Konzert. Er hat nun mehr als zwanzig Grammys. Er erhält bei der Oscar-Zeremonie den Jean Hersholt Humanitarian Award. Er steigt ins Fernsehgeschäft ein. Er produziert "Der Prinz von Bel-Air".

Mit 60 organisiert er die Feierlichkeiten zur Amtseinführung von Präsident Bill Clinton mit. Er wird kultureller Sonderbotschafter der USA. Er widmet sich von nun an verstärkt dem Geschäft mit Musikrechten. Mit 70 gründet er wohltätige Stiftungen. Er veröffentlicht 2010 nach 15 Jahren Pause ein von der Kritik wenig respektvoll aufgenommenes Album mit südamerikanisch inspirierter Musik und einem Staraufgebot von Akon bis Amy Winehouse. Er hat den Kontakt zu den Klängen der Gegenwart verloren. "So what", würde Miles sagen.

Mit 80 ist Quincy Jones einer der letzten Lebenden, deren Werk noch in die Zeit vor den elektronischen Massenmedien hineinreicht. Er hat noch Dinge gesehen, die uns heute wie ein Albtraum erscheinen. Er hat noch Dinge gesehen, die uns heute wie ein Traum erscheinen. Er hat noch Musik gehört, die für uns Heutige unwiederbringlich verloren ist. Er hat einen Teil dieser Musik für uns gerettet. Er ist ein Künstler. Er ist ein Star. Er kennt noch den Unterschied. Und er hat ihn für uns überwunden. Er ist der Leonardo des Pop. Er ist unser Alles-Mann.

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