Zum 60. Geburtstag von Herbert Grönemeyer:Grönemeyers "Bochum" ist der schönste deutsche Pop-Song

Herbert Grönemeyer wird 60

Musiker, Schauspieler, Philanthrop: Herbert Grönemeyer, Anfang der Achtziger.

(Foto: dpa)

1984 sang Herbert Grönemeyer die ultimative Ode an die deutsche Kartoffeligkeit - eine Würdigung zum 60. Geburtstag des Sängers, Schauspielers und Philanthropen.

Von Julian Dörr

Am Anfang steht immer das "Steigerlied": "Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt. Und er hat sein helles Licht bei der Nacht schon angezündt'." Ob diese Zeilen, mit denen Herbert Grönemeyer seinen Song "Bochum" live beginnt, bei jedem Zuhörer diese Gänsehautschauer auslösen, oder ob das doch aus der Herkunft des Autors und der saarländischen Bergmannstradition rührt, ist nicht ganz klar. Das Saarland, der Pott, tief im Westen liegen sie beide. Die Menschen sind sich im Herzen ähnlich.

Aber auch wer seine Jugend nicht im Schatten von Fördertürmen und kohleschwarzen Häuserfronten verbracht hat, kann "Bochum" als den schönsten deutschen Pop-Song aller Zeiten erfahren. Das Album dazu, "4630 Bochum", war 1984 der Durchbruch für Grönemeyer. Das Plattencover ist heute eine Erinnerung an die alte BRD, die mit jedem Jahr und aus vielen guten Gründen ein kleines bisschen mehr vergessen wird.

"Bochum" aber hat über all die Jahre nichts an seiner zugerußten Strahlkraft verloren. Eine klassische Piano-Ballade im Gewand eines saftigen Achtziger-Synthie-Poppers inklusive eines ironisch noch ungebrochenen Saxofon-Solos. So klischeehaft, diese Liebeserklärung an die Stadt im Pott. Doch das ist nur die Oberfläche. Die ganze Wahrheit ist: Herbert Grönemeyer hat in die deutsche Seele geblickt und ihr einen Song geschrieben.

"Du bist keine Schönheit", heißt es in "Bochum". Und weiter: "Vor Arbeit ganz grau." Das ist großer Arbeiter-Kitsch auf Springsteen-Niveau, der auch immer schon mehr war als der Highway-Malocher mit dem dicken Bizeps. Wer hat gesagt, dass Dichter und Denker nicht auch nach Schweiß stinken dürfen?

Nur "Bochum" erfasst das Deutschsein in seiner ganzen Kartoffeligkeit

Der US-amerikanische Musikkritiker Robert Christgau hat einmal "Waterloo Sunset", den großen London-Song der Kinks, als den schönsten Song in der englischen Sprache bezeichnet. Es ist der Traum eines Großstadtromantikers, in dem Menschen wie Fliegen um U-Bahnstationen schwirren. Und man muss nie den Sonnenuntergang über Waterloo Station gesehen haben, um die nebelfeuchte britische Melancholie zu spüren, die in diese Zeilen kriecht.

Wo "Waterloo Sunset" der Essenz der Britishness nachspürt, nähert sich "Bochum" dem deutschen Wesen. Bisschen klischeehaft, bisschen platt, geschmacklich nicht immer ganz treffsicher. Was bei den Kinks cheeky ist, schnodderig, ist bei Grönemeyer pathetisch. "Du hast'n Pulsschlag aus Stahl, man hört ihn laut in der Nacht", singt er in "Bochum" - eines dieser herrlichen, leicht schiefen Bilder. Klar gibt es intelligentere Lieder über dieses Land ("Die neue Seltsamkeit" von Tocotronic ist so eines und unbedingt empfehlenswert), aber kein Stück Pop hat das Deutschsein in seiner ganzen Kartoffeligkeit so ironiefrei umarmt wie "Bochum".

"Hast im Schrebergarten deine Laube, machst mit 'nem Doppelpass jeden Gegner nass, du und dein VfL", heißt es da. Der Schrebergarten und der Fußball, das sind noch immer wichtige Teile der gesamtdeutschen Lebensrealität. Vielleicht wohnt dort, irgendwo zwischen reaktionärem Mief, provinzieller Spießigkeit, Selbstmacherfleiß und Weltmeisterlaune, auch die deutsche Seele.

Herbert Grönemeyer wird 60. Und er holt noch immer alle ab. Ob Malocher oder Schöngeist, ob am Kneipentresen oder beim "Refugees Welcome"-Konzert. Die Schönheit von "Bochum" liegt in seiner einfachen und zeitlosen Botschaft: Das Leben ist harte Arbeit. Damit es auch viel besser bleibt, als man glaubt.

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