Zum Einsturz des Kölner Stadtarchivs:Das war kein Zufall

Wie in einem drittklassigen Horrorfilm: Der Künstler Marcel Odenbach spricht über die Verantwortungslosigkeit in Köln.

Catrin Lorch

Der Einsturz des Stadtarchivs - ein hausgemachtes Unglück, symptomatisch für den Umgang mit Kultur in Köln: das sagen Künstler und Galeristen. Es sei endlich an der Zeit, Verantwortung zu übernehmen. Zu den Unterzeichnern eines offenen Briefes an die Stadt gehören Kölner Galerien und Künstler wie Rosemarie Trockel und Marcel Odenbach, der an der Kunsthochschule für Medien als Professor lehrt. Er hat erst vor fünf Monaten den Nachlass seiner Familie dem Stadtarchiv übergeben.

Zum Einsturz des Kölner Stadtarchivs: Einsatzkräfte der Polizei durchsuchen den Trümmerhaufen.

Einsatzkräfte der Polizei durchsuchen den Trümmerhaufen.

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Inwiefern trifft Sie der Verlust des Archivs?

Marcel Odenbach: Zum einen als Kölner, zum anderen habe ich als Künstler, der mit Geschichte arbeitet, das Archiv auch für meine Zwecke genutzt. So stammte das Material zu "Happening und Fluxus", meiner Ausstellung vor zwei Jahren im Kunstverein, aus diesem Archiv. Der Kunstverein hat seine Akten dort verwahrt, auch die Kunsthalle. Man hatte immer das Gefühl, dass dort alles am sichersten ist, konservatorisch und wissenschaftlich betreut wird.

SZ: Darum haben sich die Bürger immer für das Archiv eingesetzt.

Odenbach: Auch meine Familie, aus der fünf Architekten stammen, hat unsere Unterlagen dem Stadtarchiv anvertraut. Mein Urgroßvater war Stadtverordneter, er hat in der Stadt Klöster und Kirchen gebaut, war auch Architekt der jüdischen Gemeinde. Mein Großvater Hein Nöcker hat in den zwanziger und dreißiger Jahren hier Bauten der Neuen Sachlichkeit entworfen - nur durch einen Zufall haben die Pläne, Akten, Dokumentationen der Architektur und vor allem Fotografien - unter anderem aus dem Studio Schmölz - die Kriegszeiten überlebt. Vor fünf Monaten haben wir uns dann auf Bitten der Stadt dazu entschlossen, das Material herzugeben. Gerade in Köln, wo der Krieg so viel zerstört hat, war es doch immer ein Wunder, dass so viel Papier überlebt hatte. Die Bauten waren schon weg, jetzt ist das Papier auch fort.

SZ: Was werfen Sie der Stadt vor?

Odenbach: Köln hat genug gelitten unter unüberlegten Aktionen der Stadtverwaltung. Das Unglück war kein Zufall, es gab Hinweise. Seit Monaten sind Risse im Gebäude dokumentiert. Es ist wie in einem drittklassigen Horrorfilm: Die Stadt wird in ihre Bautätigkeit eingesogen, erst verschwanden Kunstverein und Haubrichhof in einer Baugrube, dann kam die überdimensionierte ruinöse Messeplanung. Der U-Bahn-Bau hat schon die ganze Struktur des Severins-Viertels zerstört, ein Kirchturm kippte, in St. Maria im Kapitol ist die Decke abgestürzt. Der Boden ist sandig, durchlöchert von seiner Geschichte, von römischen Bauten, mittelalterlichen Kellern. Die U-Bahn-Strecke verläuft auch unter der Philharmonie und dem Dom. Aber die Stadt hat bewusst nicht hingeguckt. Jetzt müssen sich Leute verantworten. Das ist keine Naturkatastrophe und kein Kollateralschaden.

SZ: Handelt denn die Stadt nicht?

Odenbach: OB Schramma sagt, wir müssen alles tun, damit das nicht noch einmal passiert. Das geht gar nicht: Weil es so ein Archiv nicht mehr gibt. Immer diese "Et-kütt-wie-et-kütt"-Mentalität. Ich weiß nicht, ob die Bürger der Stadt jemals wieder etwas überlassen werden.

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